35
Top Rezension
Colonia statt Corona. No. 4: Parma per sempre!
Bei "Parma" hat jeder so seine eigenen Assoziationen. Die Feinschmecker denken an Parma-Schinken und Parma-Käse (a.k.a. Parmesan), mein Freund Miro, der bei der EU-Kommission arbeitet (nein, er ist nicht für die Allergenregeln bei Parfüms zuständig), denkt wahrscheinlich an die EFSA, die in Parma ansässige EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit, Historiker denken vielleicht an das Haus Bourbon-Parma (Parma war vor Gründung des italienischen Nationalstaats für lange Zeit österreichisch oder französisch), und Literaturfreunde an Stendhals Roman "Die Kartause von Parma", in der es aber nicht um Kartäusermönche, sondern um Liebe und Politik geht. Parfümfreunde denken, ja klar, an Acqua di Parma, vielleicht DIE bekannteste italienische Duftmarke, jedenfalls im Herrensegment.
Dabei ist das eine die "blaue Reihe" von AdP mit einer breiten Vielfalt von meist wohl doch recht ordentlich gemachten Sommerwässerchen: ich denke, es ist dem Haus damit sehr gut gelungen, das moderne Nischensegment zu besetzen und viel Geld zu verdienen. Ich bin da letztlich kein Experte, aber könnte mir denken, dass diese Serie eine ähnliches (vielleicht nicht ganz so prestigebewusste und abzock-unempfindliche) Käuferklientel anspricht wie die ebenso blaue von Tom Ford.
Das andere ist: Dieser Duft hier (und seine Flanker): DAS ORIGINAL.
In "Colonia" von Acqua di Parma begegnet uns (historisch sicher nicht korrekt, aber im Sinne einer gefühlten Wahrheit) so etwas wie das italienische Ur-Cologne, das ultramontane Gegenstück zu 4711 und Farina Gegenüber. Gerade in der Eröffnungsphase ist die Verwandtschaft zu den deutschen und französischen Kölnischwässern und Colognes in der Tradition der Kölner Häuser, aber auch z.B. von Guerlains Impérial, deutlich zu spüren: Da wird an eine vorhandene Tradition ganz klar angeknüpft, weshalb es für den gut passenden Namen "Colonia" auch neun Punkte gibt.
Der Auftakt ist perfekt zitronig; und diese Zitrone hält exakt die Mitte zwischen cremigweicher Verschleierung und spitzer, harter oder scharfer Pieksigkeit. Es ist eine wundervoll kräftig mittel- bis dunkelgelb leuchtende, runde, solide verbaute, sanfte und doch starke Zitrone, mit leicht grünen und bitterfrischen zitrischen Weggefährten (ich hätte hier auf Bergamotte und Pomeranze getippt und lag damit nahe dran).
Nach etwa 20 Minuten machen sich stärker florale Einschläge erkennbar, Rose hätte ich nicht vermutet, ein dezidierter (gar schwerer) Rosenduft ist es auch definitiv nicht, mehr eine unspezifische, aber sehr schöne florale Aspiration. Auch Rosmarin und Eisenkraut nehme ich nicht gesondert wahr, aber an, dass die beiden für die stabilen, kernigen und männliche Bass-Unterlegung sorgen, auch ohne dass man sie eigens rausriecht. In dieser Phase changiert Colonia ganz wundersam zwischen einer floral-zarten Zitrik und einem knackigen Zitronensorbet, womöglich mit Pistazien drauf.
Hier denke ich, wow, das ist so ein für sich stehender Duft, an dem genauso wenig zu optimieren ist, wie an einem Parmesanlaib, einer Zypresse oder dem Dom von Parma. Das Ding steht einfach so in der Welt und man hofft, für immer, oder jedenfalls noch ein paar tausend Jahre. Nach einer knappen Stunde tritt dann allerdings eine Entwicklung ein, die mich etwas irritiert, es betritt nämlich der Lavendel spürbar die Bühne und füllt diese dann für etwa eine Stunde auch raumgreifend aus. Lavendel in Kölnischwässern ist nun ja maximal klassisch, der ist auch in 4711; aber mir kommt das hier zu dominant vor; für meine Nase wird die Zitrik hier (vorübergehend) zu stark verdrängt. Das mag aber einen sehr subjektiven Touch haben. Ich mag eigentlich Lavendel sehr, scheine ihn aber seit einigen Monaten immer besonders stark wahrzunehmen, vielleicht stärker, als er da ist.
Ab der dritten Stunde gewinnt die Zitrik verlorenes Terrain zurück, Lavendel bleibt moderat anwesend, und zugleich tritt die zuerst holzige, dann wundervoll-klassisch ins Seifig-Zartsüße verlöschende Basis hinzu. Großartiger, unglaublich harmonischer Abgang!
Wenn man von meiner Lavendel-Irritation absieht, gefällt mir Colonia ausgezeichnet, allerdings nehme ich in fast als etwas überklassisch wahr. So klassisch, dass ich ihn fast etwas altherrenhaft finde, was bei mir etwas sagen will, denn ich bin nun auch keine fünfundzwanzig mehr und werde bei Etiketten wie "Opaduft" normalerweise eher neugierig. Aber meine Meinung scheint ja keine allgemeine Meinung zu sein: Wenn ich mir hier anschaue: 385 Besitzer, und davon viele mit ziemlich hippen und clubtauglichen Nicknames, die eher weniger an Bildungsbürger im Ruhestand denken lassen. Schön, dass diesen Duft anscheinend seine Jugendfrische geblieben ist; ich gönne und wünsche ihm mindestens noch hundert Jahre. Parma per sempre!
Zwei Nachbemerkungen noch:
Ein freundlicher Parfumo hat unter No 1 dieser kleinen Serie die Anmerkung hinterlassen, man sage, schwere Zeiten seien gut für leichte Düfte. Daran scheint etwas zu sein. Die No 3 dieser Serie wurde 1938 lanciert, in der Zeit des Anschlusses Österreichs, des Münchner Abkommens und der Spätphase des spanischen Bürgerkriegs. Dieser hier datiert tatsächlich von 1916. Was für Deutsche und Franzosen "Verdun" ist, war für die Italiener und Österreicher das Flüsschen Isonzo, an dem in mehreren Kriegsjahren hintereinander, und so auch 1916, die Blüte der italienischen Jugend im Matsch, in Granatenhagel und Maschinengewehrfeuer ihr Leben ließ. Es war ein jahrelanges Patt, ironischerweise "siegten" am Ende, 1918 die Österreicher: die italienische Front brach zusammen und der Weg durch Norditalien nach Rom stand offen. Aber genau in diesem Augenblick ließ die Spanische Grippe und die die politischen Auflösungserscheinungen des k.u.k.-Reichs auch die österreichische Armee kollabieren. Und so blieb alles was es war: ein großes Unentschieden, militärische Lage so wie vier Jahre zuvor, nur mit unendlichen Massengräbern zusätzlich, solchen, wie sie Norditalien, wenn überhaupt, dann in der Antike zuletzt gesehen hatte. Und mitteldrin in diesem Schlamassel, ein paar Dutzend Kilometer hinter der Front, wurde 1916 dieses leichte, heitere Sommerwässerchen geschaffen, das bis heute ein Gute-Laune-Bringer ist. Verrückt, oder?
AdPs Parma nimmt für mich eine Zwischenstellung ein: Es lässt seine Verwandtschaft zur deutsch-französischen Tradition ganz leichter, flüchtiger, zitrisch-kühler Colognes deutlich erkennen. Zugleich kann es mit seiner guten Performance, differenzierten Duftentwicklung und einer Haltbarkeit, die mit fünf bis sechs Stunden so manches moderne 300-Euro-Angeber-Nischen-EdP in den Schatten stellt, bedenkenlos Ambitionen anmelden, in der Welt der "richtigen Parfüms" mitzuspielen.
Dabei ist das eine die "blaue Reihe" von AdP mit einer breiten Vielfalt von meist wohl doch recht ordentlich gemachten Sommerwässerchen: ich denke, es ist dem Haus damit sehr gut gelungen, das moderne Nischensegment zu besetzen und viel Geld zu verdienen. Ich bin da letztlich kein Experte, aber könnte mir denken, dass diese Serie eine ähnliches (vielleicht nicht ganz so prestigebewusste und abzock-unempfindliche) Käuferklientel anspricht wie die ebenso blaue von Tom Ford.
Das andere ist: Dieser Duft hier (und seine Flanker): DAS ORIGINAL.
In "Colonia" von Acqua di Parma begegnet uns (historisch sicher nicht korrekt, aber im Sinne einer gefühlten Wahrheit) so etwas wie das italienische Ur-Cologne, das ultramontane Gegenstück zu 4711 und Farina Gegenüber. Gerade in der Eröffnungsphase ist die Verwandtschaft zu den deutschen und französischen Kölnischwässern und Colognes in der Tradition der Kölner Häuser, aber auch z.B. von Guerlains Impérial, deutlich zu spüren: Da wird an eine vorhandene Tradition ganz klar angeknüpft, weshalb es für den gut passenden Namen "Colonia" auch neun Punkte gibt.
Der Auftakt ist perfekt zitronig; und diese Zitrone hält exakt die Mitte zwischen cremigweicher Verschleierung und spitzer, harter oder scharfer Pieksigkeit. Es ist eine wundervoll kräftig mittel- bis dunkelgelb leuchtende, runde, solide verbaute, sanfte und doch starke Zitrone, mit leicht grünen und bitterfrischen zitrischen Weggefährten (ich hätte hier auf Bergamotte und Pomeranze getippt und lag damit nahe dran).
Nach etwa 20 Minuten machen sich stärker florale Einschläge erkennbar, Rose hätte ich nicht vermutet, ein dezidierter (gar schwerer) Rosenduft ist es auch definitiv nicht, mehr eine unspezifische, aber sehr schöne florale Aspiration. Auch Rosmarin und Eisenkraut nehme ich nicht gesondert wahr, aber an, dass die beiden für die stabilen, kernigen und männliche Bass-Unterlegung sorgen, auch ohne dass man sie eigens rausriecht. In dieser Phase changiert Colonia ganz wundersam zwischen einer floral-zarten Zitrik und einem knackigen Zitronensorbet, womöglich mit Pistazien drauf.
Hier denke ich, wow, das ist so ein für sich stehender Duft, an dem genauso wenig zu optimieren ist, wie an einem Parmesanlaib, einer Zypresse oder dem Dom von Parma. Das Ding steht einfach so in der Welt und man hofft, für immer, oder jedenfalls noch ein paar tausend Jahre. Nach einer knappen Stunde tritt dann allerdings eine Entwicklung ein, die mich etwas irritiert, es betritt nämlich der Lavendel spürbar die Bühne und füllt diese dann für etwa eine Stunde auch raumgreifend aus. Lavendel in Kölnischwässern ist nun ja maximal klassisch, der ist auch in 4711; aber mir kommt das hier zu dominant vor; für meine Nase wird die Zitrik hier (vorübergehend) zu stark verdrängt. Das mag aber einen sehr subjektiven Touch haben. Ich mag eigentlich Lavendel sehr, scheine ihn aber seit einigen Monaten immer besonders stark wahrzunehmen, vielleicht stärker, als er da ist.
Ab der dritten Stunde gewinnt die Zitrik verlorenes Terrain zurück, Lavendel bleibt moderat anwesend, und zugleich tritt die zuerst holzige, dann wundervoll-klassisch ins Seifig-Zartsüße verlöschende Basis hinzu. Großartiger, unglaublich harmonischer Abgang!
Wenn man von meiner Lavendel-Irritation absieht, gefällt mir Colonia ausgezeichnet, allerdings nehme ich in fast als etwas überklassisch wahr. So klassisch, dass ich ihn fast etwas altherrenhaft finde, was bei mir etwas sagen will, denn ich bin nun auch keine fünfundzwanzig mehr und werde bei Etiketten wie "Opaduft" normalerweise eher neugierig. Aber meine Meinung scheint ja keine allgemeine Meinung zu sein: Wenn ich mir hier anschaue: 385 Besitzer, und davon viele mit ziemlich hippen und clubtauglichen Nicknames, die eher weniger an Bildungsbürger im Ruhestand denken lassen. Schön, dass diesen Duft anscheinend seine Jugendfrische geblieben ist; ich gönne und wünsche ihm mindestens noch hundert Jahre. Parma per sempre!
Zwei Nachbemerkungen noch:
Ein freundlicher Parfumo hat unter No 1 dieser kleinen Serie die Anmerkung hinterlassen, man sage, schwere Zeiten seien gut für leichte Düfte. Daran scheint etwas zu sein. Die No 3 dieser Serie wurde 1938 lanciert, in der Zeit des Anschlusses Österreichs, des Münchner Abkommens und der Spätphase des spanischen Bürgerkriegs. Dieser hier datiert tatsächlich von 1916. Was für Deutsche und Franzosen "Verdun" ist, war für die Italiener und Österreicher das Flüsschen Isonzo, an dem in mehreren Kriegsjahren hintereinander, und so auch 1916, die Blüte der italienischen Jugend im Matsch, in Granatenhagel und Maschinengewehrfeuer ihr Leben ließ. Es war ein jahrelanges Patt, ironischerweise "siegten" am Ende, 1918 die Österreicher: die italienische Front brach zusammen und der Weg durch Norditalien nach Rom stand offen. Aber genau in diesem Augenblick ließ die Spanische Grippe und die die politischen Auflösungserscheinungen des k.u.k.-Reichs auch die österreichische Armee kollabieren. Und so blieb alles was es war: ein großes Unentschieden, militärische Lage so wie vier Jahre zuvor, nur mit unendlichen Massengräbern zusätzlich, solchen, wie sie Norditalien, wenn überhaupt, dann in der Antike zuletzt gesehen hatte. Und mitteldrin in diesem Schlamassel, ein paar Dutzend Kilometer hinter der Front, wurde 1916 dieses leichte, heitere Sommerwässerchen geschaffen, das bis heute ein Gute-Laune-Bringer ist. Verrückt, oder?
AdPs Parma nimmt für mich eine Zwischenstellung ein: Es lässt seine Verwandtschaft zur deutsch-französischen Tradition ganz leichter, flüchtiger, zitrisch-kühler Colognes deutlich erkennen. Zugleich kann es mit seiner guten Performance, differenzierten Duftentwicklung und einer Haltbarkeit, die mit fünf bis sechs Stunden so manches moderne 300-Euro-Angeber-Nischen-EdP in den Schatten stellt, bedenkenlos Ambitionen anmelden, in der Welt der "richtigen Parfüms" mitzuspielen.
23 Antworten


Gut geschrieben.