Colonia (Eau de Cologne) von Acqua di Parma

Colonia 1916 Eau de Cologne

FvSpee
26.04.2020 - 09:38 Uhr
35
Top Rezension
8.5Duft 7Haltbarkeit 6Sillage 7Flakon

Colonia statt Corona. No. 4: Parma per sempre!

Bei "Parma" hat jeder so seine eigenen Assoziationen. Die Feinschmecker denken an Parma-Schinken und Parma-Käse (a.k.a. Parmesan), mein Freund Miro, der bei der EU-Kommission arbeitet (nein, er ist nicht für die Allergenregeln bei Parfüms zuständig), denkt wahrscheinlich an die EFSA, die in Parma ansässige EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit, Historiker denken vielleicht an das Haus Bourbon-Parma (Parma war vor Gründung des italienischen Nationalstaats für lange Zeit österreichisch oder französisch), und Literaturfreunde an Stendhals Roman "Die Kartause von Parma", in der es aber nicht um Kartäusermönche, sondern um Liebe und Politik geht. Parfümfreunde denken, ja klar, an Acqua di Parma, vielleicht DIE bekannteste italienische Duftmarke, jedenfalls im Herrensegment.

Dabei ist das eine die "blaue Reihe" von AdP mit einer breiten Vielfalt von meist wohl doch recht ordentlich gemachten Sommerwässerchen: ich denke, es ist dem Haus damit sehr gut gelungen, das moderne Nischensegment zu besetzen und viel Geld zu verdienen. Ich bin da letztlich kein Experte, aber könnte mir denken, dass diese Serie eine ähnliches (vielleicht nicht ganz so prestigebewusste und abzock-unempfindliche) Käuferklientel anspricht wie die ebenso blaue von Tom Ford.

Das andere ist: Dieser Duft hier (und seine Flanker): DAS ORIGINAL.

In "Colonia" von Acqua di Parma begegnet uns (historisch sicher nicht korrekt, aber im Sinne einer gefühlten Wahrheit) so etwas wie das italienische Ur-Cologne, das ultramontane Gegenstück zu 4711 und Farina Gegenüber. Gerade in der Eröffnungsphase ist die Verwandtschaft zu den deutschen und französischen Kölnischwässern und Colognes in der Tradition der Kölner Häuser, aber auch z.B. von Guerlains Impérial, deutlich zu spüren: Da wird an eine vorhandene Tradition ganz klar angeknüpft, weshalb es für den gut passenden Namen "Colonia" auch neun Punkte gibt.

Der Auftakt ist perfekt zitronig; und diese Zitrone hält exakt die Mitte zwischen cremigweicher Verschleierung und spitzer, harter oder scharfer Pieksigkeit. Es ist eine wundervoll kräftig mittel- bis dunkelgelb leuchtende, runde, solide verbaute, sanfte und doch starke Zitrone, mit leicht grünen und bitterfrischen zitrischen Weggefährten (ich hätte hier auf Bergamotte und Pomeranze getippt und lag damit nahe dran).

Nach etwa 20 Minuten machen sich stärker florale Einschläge erkennbar, Rose hätte ich nicht vermutet, ein dezidierter (gar schwerer) Rosenduft ist es auch definitiv nicht, mehr eine unspezifische, aber sehr schöne florale Aspiration. Auch Rosmarin und Eisenkraut nehme ich nicht gesondert wahr, aber an, dass die beiden für die stabilen, kernigen und männliche Bass-Unterlegung sorgen, auch ohne dass man sie eigens rausriecht. In dieser Phase changiert Colonia ganz wundersam zwischen einer floral-zarten Zitrik und einem knackigen Zitronensorbet, womöglich mit Pistazien drauf.

Hier denke ich, wow, das ist so ein für sich stehender Duft, an dem genauso wenig zu optimieren ist, wie an einem Parmesanlaib, einer Zypresse oder dem Dom von Parma. Das Ding steht einfach so in der Welt und man hofft, für immer, oder jedenfalls noch ein paar tausend Jahre. Nach einer knappen Stunde tritt dann allerdings eine Entwicklung ein, die mich etwas irritiert, es betritt nämlich der Lavendel spürbar die Bühne und füllt diese dann für etwa eine Stunde auch raumgreifend aus. Lavendel in Kölnischwässern ist nun ja maximal klassisch, der ist auch in 4711; aber mir kommt das hier zu dominant vor; für meine Nase wird die Zitrik hier (vorübergehend) zu stark verdrängt. Das mag aber einen sehr subjektiven Touch haben. Ich mag eigentlich Lavendel sehr, scheine ihn aber seit einigen Monaten immer besonders stark wahrzunehmen, vielleicht stärker, als er da ist.

Ab der dritten Stunde gewinnt die Zitrik verlorenes Terrain zurück, Lavendel bleibt moderat anwesend, und zugleich tritt die zuerst holzige, dann wundervoll-klassisch ins Seifig-Zartsüße verlöschende Basis hinzu. Großartiger, unglaublich harmonischer Abgang!

Wenn man von meiner Lavendel-Irritation absieht, gefällt mir Colonia ausgezeichnet, allerdings nehme ich in fast als etwas überklassisch wahr. So klassisch, dass ich ihn fast etwas altherrenhaft finde, was bei mir etwas sagen will, denn ich bin nun auch keine fünfundzwanzig mehr und werde bei Etiketten wie "Opaduft" normalerweise eher neugierig. Aber meine Meinung scheint ja keine allgemeine Meinung zu sein: Wenn ich mir hier anschaue: 385 Besitzer, und davon viele mit ziemlich hippen und clubtauglichen Nicknames, die eher weniger an Bildungsbürger im Ruhestand denken lassen. Schön, dass diesen Duft anscheinend seine Jugendfrische geblieben ist; ich gönne und wünsche ihm mindestens noch hundert Jahre. Parma per sempre!

Zwei Nachbemerkungen noch:

Ein freundlicher Parfumo hat unter No 1 dieser kleinen Serie die Anmerkung hinterlassen, man sage, schwere Zeiten seien gut für leichte Düfte. Daran scheint etwas zu sein. Die No 3 dieser Serie wurde 1938 lanciert, in der Zeit des Anschlusses Österreichs, des Münchner Abkommens und der Spätphase des spanischen Bürgerkriegs. Dieser hier datiert tatsächlich von 1916. Was für Deutsche und Franzosen "Verdun" ist, war für die Italiener und Österreicher das Flüsschen Isonzo, an dem in mehreren Kriegsjahren hintereinander, und so auch 1916, die Blüte der italienischen Jugend im Matsch, in Granatenhagel und Maschinengewehrfeuer ihr Leben ließ. Es war ein jahrelanges Patt, ironischerweise "siegten" am Ende, 1918 die Österreicher: die italienische Front brach zusammen und der Weg durch Norditalien nach Rom stand offen. Aber genau in diesem Augenblick ließ die Spanische Grippe und die die politischen Auflösungserscheinungen des k.u.k.-Reichs auch die österreichische Armee kollabieren. Und so blieb alles was es war: ein großes Unentschieden, militärische Lage so wie vier Jahre zuvor, nur mit unendlichen Massengräbern zusätzlich, solchen, wie sie Norditalien, wenn überhaupt, dann in der Antike zuletzt gesehen hatte. Und mitteldrin in diesem Schlamassel, ein paar Dutzend Kilometer hinter der Front, wurde 1916 dieses leichte, heitere Sommerwässerchen geschaffen, das bis heute ein Gute-Laune-Bringer ist. Verrückt, oder?

AdPs Parma nimmt für mich eine Zwischenstellung ein: Es lässt seine Verwandtschaft zur deutsch-französischen Tradition ganz leichter, flüchtiger, zitrisch-kühler Colognes deutlich erkennen. Zugleich kann es mit seiner guten Performance, differenzierten Duftentwicklung und einer Haltbarkeit, die mit fünf bis sechs Stunden so manches moderne 300-Euro-Angeber-Nischen-EdP in den Schatten stellt, bedenkenlos Ambitionen anmelden, in der Welt der "richtigen Parfüms" mitzuspielen.
23 Antworten
nasivinnasivin vor 5 Jahren
Cooler Kommentar - ich kenne zu meiner Schande diesen Klassiker nicht, ich bin im Moment "oudwoodisiert" und "creedisiert", werde aber mal probieren. Nun steht ja der Frühling schüchtern vor der Tür, er überlegt, ob er anklopfen soll oder doch noch zuwartet.
MonsieurTestMonsieurTest vor 5 Jahren
Exzellenter Kommentar und Kontextaufhellungen zum italienischen Klassiker. Danke!
BastianBastian vor 5 Jahren
Danke für diesen tollen Kommentar. Informativ und mit Leidenschaft geschrieben.
MTSMTS vor 5 Jahren
Wenn selbst der Kommentar eine dufte Sache ist.
Gut geschrieben.
StanzeStanze vor 6 Jahren
2
Mir war der zu proto-kölsch und auch zu männlich. Ich schenkte die Probe einem jungen männlichen Kollegen, der es schrecklich altmodisch fand. Dazu kommentierte eine italienische Kollegin Acqua di Parma mache aber gutes Parfum. Ich hätts lieber irgendeinem Parfumo geben sollen.
KonsalikKonsalik vor 6 Jahren
Einer der Klassiker, die mir noch unbekannt ist. Wird nach diesem Kommentar aber sicher geändert. Kaiserin-Zita-Pokal!
AugustoAugusto vor 6 Jahren
Ausgezeichneter Kommentar und Einordnung dieses klassisch wie von Dir beschrieben in der Duftlandschaft stehenden Duftes. Pokal voller Colonia, na klar, aus dem großen Humpen...
TtfortwoTtfortwo vor 6 Jahren
Tatsächlich kenne ich den nicht, und das, obwohl dieser ja sozusagen die Keimzelle und das Urei der inzwischen ganz schön angewachsenen Parma-Familie ist. Sehr lesenswerter Kommentar wieder, mit jeder Menge "Muß ich unbedingt vertiefen"-Anregung. Famos.
ExUserExUser vor 6 Jahren
1
Mein Lieblingsparma! Hervorragender Kommentar.
ParmaParma vor 6 Jahren
1
Ich hatte mich doch tatsächlich erst persönlich angesprochen gefühlt ;) Jetzt weißt du auch, wo mein Nickname herkommt :) Schöner Kommi!
FloydFloyd vor 6 Jahren
Den könnte ich mir gut in einem italienischen Cafe in einer kleinen Gasse vorstellen. Nicht diesen Sommer natürlich. Und Danke wieder für die schöne Geschichtsstunde!
Helena1411Helena1411 vor 6 Jahren
3
Etwas Geschichte zu diversen Lebensbereichen und auch eine wie immer hervorragende Duftbeschreibung. Was soll ich sagen: Pokal!
FittleworthFittleworth vor 6 Jahren
5
Das ist einer meiner Lieblingsdüfte. Dein Kommentar ist wie immer sehr differenziert und informativ. Danke!
SiebenkäsSiebenkäs vor 6 Jahren
1
Klasse weitere Ergänzung deiner famosen Cologne-Serie mit einem Duft, den ich trotz des Colonia im Namen gar nicht so recht als Cologne abgespeichert habe. Natürlich ist er eines, und eins der ganz klassischen dazu. Deine historischen Schlaglichter aus der Entstehungszeit waren mir völlig unbekannt, auch dafür gebührenden Dank und einen wohlverdienten kölschen Prachtpokal!
Melisse2Melisse2 vor 6 Jahren
1
Schöne detaillierte Duftbeschreibung (die unterschiedlichen Aspekte der Zitrone z.B., sehr anschaulich). Auch die Ausflüge in die Geschichte sind immer interessant. Ich habe den Duft nur mal im Vorbeigehen in der Parfümerie getestet und habe mir nun vorgenommen, ihm meine Aufmerksamkeit nochmal ausführlicher zu widmen.
ParfümleinParfümlein vor 6 Jahren
5
Super Kommentar, ich bin begeistert, denn er ist gleichzeitig interessant, informativ und ich kann mir den Duft vorstellen. Wirklich schön - einen Präzisionspokal für Dich!
HarleyHarley vor 6 Jahren
1
Toller und treffender Kommentar zu einem unverzichtbaren echten Klassiker, der italienisches Lebensgefühl vermittelt. Pokal !
SeeroseSeerose vor 6 Jahren
Irgendwie find ich insgesamt, dass die Vorlage oder/und Quintessenz aller Colognes ist. Historisch waren andere viel eher da, ich weiß.
PollitaPollita vor 6 Jahren
Danke für eine mal wieder sehr interessante und kurzweilige Geschichtsstunde. Sehr schön!
YataganYatagan vor 6 Jahren
Großartiger Kommentar als Rundumschlag zu einem unverzichtbaren Duft.
SchatzSucherSchatzSucher vor 6 Jahren
1
Wieder viele Informationen mit Leichtigkeit serviert und meine Aufmerksamkeit auf einen Duft gelenkt, den ich noch nicht kenne. Landet mal auf der Merkliste.
MörderbieneMörderbiene vor 6 Jahren
1
Obschon nicht mein favorisiertes Cologne fürwahr ein Klassiker seines Genres. Der Deine schönen Worte umfänglich verdient.
BehmiBehmi vor 6 Jahren
Ich finde deine Kommentare nicht nur unglaublich treffend,sondern auch immer unfassbar lehrreich,vielen vielen Dank dafür, es ist mir jedes Mal eine Freude von dir zu lesen!