Apicius
Top Rezension
30
Von Knooppunt zu Knooppunt!
Es macht großen Spaß, die Parfums eines talentierten Newcomers zu entdecken, der sich nicht um die Gepflogenheiten der Branche kümmert und einfach sein eigenes Ding macht. Bei Spyros Drosopoulos paart sich Talent mit individuellem Geschmack, unabhängiges Denken mit eigenem Stil. Es ist einfach mal richtig gut, Parfums kennen zu lernen, die so noch nicht von anderen vorgemacht wurden, und die sich deutlich von den Konventionen abheben.
Grün-blumige Düfte müssen zart und dürfen etwas frisch sein. Ihr Bereich sind vor allem die Pastellfarben, und die Bilder, die sie zeichnen, könnten von Monet stammen. In dieser Weise begegnet uns etwa der bekannte Duft Tilleul von d'Orsay, der mit seinen Schmetterlingsflügeln als Role Model für die gesamte Duftrichtung „Blumenwiese“ gelten könnte.
Doch nicht im Impressionismus findet Spyros Drosopoulos seine Inspiration, sondern bei Jan Vermeer van Delft, der im 17. Jahrhundert gelebt und gewirkt hat. Die Genrebilder dieses Barockmalers zeigen uns die Menschen in ihrer Umgebung und in ihrer Zeit, und das in einer Eindrücklichkeit, die uns fast die Gerüche der gezeigten Szenen in die Nase steigen lassen.
So gelingt mit dem Melkmeisje – der Magd mit dem Milchkrug – dem Parfumeur ein schlüssiger Gegenentwurf zu Zartheit und Fragilität des französischen Lindenblüten-Parfums. So ein niederländisches Melkmeisje weiß, was zu tun ist, wenn die Kuh mit prallem Euter von der Weide kommt, da wird nicht lange gefackelt. Die ist nicht so verzärtelt, die packt zu, und wer beim Duft zarter Lindenblüten ins Träumen gerät, für den hat sie nur ein Schulterzucken übrig.
In kräftigen, sonnigen Farben wird der holländische Frühsommer gezeichnet – vielleicht etwas zu optimistisch, denn wir tun mal so, als würde es da nicht ständig regnen. Radeln wir mit dem Melkmeisje von Knooppunt zu Knooppunt, an Wiesen und Feldern vorbei, und nehmen wir wahr, was uns dabei in die Nase steigt!
Es sind kräftige Noten, die einfach Freude machen. Neben der Lindenblüte glaubte ich vor allem, Spuren von Ginster, Rapsblüte, Lupine zu erkennen, und natürlich grüne Wiese. Das Zusammenspiel der Blumen ist opulent; es ergibt sich ein seltsamer, irgendwie „fettiger“, fast harziger Eindruck – fast so, als wären bestimmte Aldehyde beteiligt. Dieser Effekt ist für mich auch die Überraschung des Dufts, der Melkmeisje aus dem Bereich des Üblichen hervorhebt.
Tatsächlich fällt es aber schwer, einzelnes heraus zu riechen. Meine Versuche, etwas zu benennen, beziehen sich eher auf den Stil und den Gesamteindruck als auf das tatsächliche Vorhandensein einer bestimmten Note.
Immerhin kann ich sagen, dass beim Verblassen eine leichte Honignote zurückbleibt, deren leichte Süße den Duft gestützt hat.
Etwas Kritik ist aber doch zu üben. Die Baruti-Parfums tragen den Zusatz „Extrait de Parfum“. Mit hoher Duftkonzentration verbindet der Käufer lange Haltbarkeit, und die ist bei Melkmeisje nun wirklich nicht gegeben. Das spektakuläre holländische Panorama verblasst nach drei Stunden, und seine Reste sind so hautnah, dass man nachlegen möchte. An sich ist das vollkommen in Ordnung: wenn ein Parfum so gut gelungen ist wie Melkmeisje, können Kompromisse akzeptiert werden. Aber dass ein Duft hoch konzentriert und dennoch flüchtig sein kann – das Bedarf der Erklärung.
Aufgrund der Namensgebung ist Melkmeisje als Damenduft eingeordnet worden. Das würde ich so nicht mehr unterstützen. Eher beinhaltet Melkmeisje ein Gegenkonzept zu traditioneller Weiblichkeit in Parfums, die ja mit zart-blumigen Noten assoziiert wäre. Trotz Jan Vermeer ist Melkmeisje als zeitgemäßes Parfum zu sehen, denn es zeigt eine Alternative zur Gestaltung von grün-blumig in der traditionellen Parfümerie auf.