Original Vetiver von Creed

Original Vetiver 2004

Siebenkäs
17.01.2020 - 05:42 Uhr
35
Top Rezension
9Duft 7Haltbarkeit 6Sillage 7Flakon

Entscheidung

Ziemlich genau sieben Wochen lag seine Promotionsfeier jetzt zurück. Es kam ihm viel länger vor. Und dabei irgendwie unwirklich. Doktor in Jura. Auch noch Summa cum laude. Und das in Havard.
Wie hatte er das nur geschafft?
Er steuerte den Toyota um ein besonders tief aussehendes Matschloch herum. Obwohl der raubeinige Allrad-Jeep damit sicher kein Problem gehabt hätte.
Genau so hatte er es im Grunde die ganzen Jahre gemacht.
Immer den gröbsten Löchern ausgewichen. Stromlinien-förmig vorwärts. Alle Beziehungen genutzt. Keine unangenehmen Fragen gestellt.
Und jetzt das Angebot, in einer der mächtigsten Kanzleien der ganzen Ostküste einzusteigen.
Zu seinem Abschluss hatten sie ihm eine handgearbeitete Blaser Repetierbüchse geschenkt. Purer Luxus, mit das Teuerste, was es speziell für Drückjagden gab.
Es waren vielleicht noch 4 oder 5 Meilen bis zum Jagdhaus, wo sie sich heute treffen würden. Wo er sein neues Prachtgewehr einweihen sollte.
Wieder stieg ihm der frisch-grüne Duft in die Nase. Nein, es war nicht der Wald, die Fenster des Toyata waren zu. Es war der Creed-Duft, den ihm Linda geschenkt hatte. Sie war vor ein paar Monaten einfach in sein Leben geplatzt. Völlig unpassend. Umwelt-Aktivistin. Ziemlich radikal und kompromisslos. Und dennoch hatten sie sich auf Anhieb sehr gut verstanden. Eigentlich wußte er überhaupt nicht, wieso. Sie trafen sich, redeten, lachten. Gingen zusammen in kleine, preiswerte Lokale, wo keiner seine Freunde hinging. Sie erzählte ihm von ihrer Origanisation, ihren Geldproblemem und Rechts-streitereien. Und er von seinen Dozenten und reichen Kommilitonen.
Und dann hatte sie ihm irgendwann Original Vetiver geschenkt. „Passt zu dir...“, hatte sie nur gesagt.
Und irgendwie stimmte das. Er kannte Vetiver noch von seinem Vater. Vetiver von Guerlain, das eigentliche Original. Für ihn jedenfalls. Wie anmaßend von Creed das Wort „Original“ zu beanspruchen.
Aber – der Duft war einfach besonders. Anders als erwartet. Irgendwie um die Ecke gedacht. Er hatte nichts ruppiges, wie er es von Vetiver eigentlich erwartete. Eher etwas Verspieltes, dabei doch Mutiges. Etwas von Wiese, ja auch von Gräsern im Sommer, aber auch eine gewisse hölzerne Tiefe, Stabilität, Widerstandskraft. Und vor allem eine Leichtigkeit, nicht leise, sondern fröhlich irgendwie. Vielleicht auch frech.
Irgendwann hatte sie ihn mal gefragt, ob er nicht lieber als Anwalt da arbeiten wollte, wo er etwas Wichtiges bewirken könnte. In ihrer Organisation zum Beispiel. Sie hatten beide darüber gelacht. Sie hatte schon einen speziellen Humor.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er gar nicht so weit von ihr entfernt war. Ein paar Meilen weiter gabelte sich der Weg, links ging es Richtung Belchertown und zur Jagdhütte, rechts nach Springfield, wo Linda lebte.
Er spielte kurz mit einem Gedanken. Einer schrägen Phantasie-vorstellung. Das hatte er schon immer gern getan. Mitten in der Vorlesung aufstehen und dem Professor einen Latte Macchiato ins Gesicht schütten. Natürlich hatte er niemals auch nur entfernt ähnliches getan. Aber die Vorstellung erfrischte ihn.
Ein bisschen wie dieses Creed-Parfüm. Er schnupperte. Vor allem roch es – natürlich. Ja, gar nicht gekünstelt. So echt wie... Linda.
Er fuhr jetzt durch eine weite heideartige Landschaft, die sich nach Norden ausbreitete bis zum Waldrand, wo die Gabelung nach Springfield lag.
Auf der linken Seite des Weges wurde der Boden immer sumpfiger, Wasserlöcher spiegelten die dicken Wolkengebirge, die mittlerweile aufgezogen waren.
Plötzlich fiel ihm ein Wort ein, dass den Duft ganz gut charakterisierte. Ein bisschen theatralisch vielleicht -
aber roch er nicht nach Freiheit?
Mit einem Mal trat er heftig auf die Bremse. Mit einem Ruck stand der Toyota still. Er stieg aus, öffnete den Kofferraum und nahm die Blaser Büchse heraus. Das teure Wurzelholz des Schafts schimmerte im frühen Abendlicht. Ein paar Blesshühner stiegen aus dem Moor neben ihm auf. Er nahm die Büchse in beide Hände und zögerte kurz.
Dann warf er sie in weitem Bogen hinaus in den Sumpf. Es platschte, einen Moment lang schien sie ungerührt auf der Morastdecke zu schweben. Dann begann sie langsam zu versinken bis sie schließlich ganz in der unergründlichen Tiefe verschwand. Nur ein paar Luftblasen verieten die Stelle, wo sie untergegangen war.
Er startete den Toyota und fuhr schnell weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. An der Kreuzung bog er rasant nach rechts ab in die tiefen Wälder, hinter denen Springfield liegt.

21 Antworten
ExUserExUser vor 4 Jahren
2
Schöne Kurzgeschichte. Hat mir gefallen. Und ein toller Duft ist das sowieso :)
KingAureliusKingAurelius vor 5 Jahren
Irgendwie Cringe aber ok
AzaharAzahar vor 6 Jahren
Jetzt hab ich Lust auf "Moorhuhn 2" gamen.
SamsamaranSamsamaran vor 6 Jahren
Schön geschrieben. Du hast deine Gedanken 8 in eine unterhaltsame Geschichte verwoben. Ich habe es gerne gelesen! Gerne mehr davon!
Parzival852Parzival852 vor 6 Jahren
tolle Geschichte - bin richtig eingetaucht. Den Duft finde ich aber doch zu künstlich, um nach Freiheit zu riechen.
VerbenaVerbena vor 6 Jahren
Sehr gute Entscheidung. ;)
AolaniAolani vor 6 Jahren
Mit Deiner Sprache malst Du Bilder in meinem Kopf, die mich noch einige Zeit begleiten!
FvSpeeFvSpee vor 6 Jahren
Ich denke, dass er die teure Büchse im Sumpf versenkt hat, ist kein gutes Zeichen für seine Zukunft mit Linda. Eine wirklich theatralische Geste, etwas unsolide. In den Mühen der Ebene, mit dem kleinen Festgehalt der Umweltorganisation und wenn Linda nicht mehr die Neue ist, wird er andere Qualitäten brauchen. Aber wer weiß. Ich wünsch ihm viel Glück! Sehr, sehr gerne gelesen. Ob mein geliebter Lehmann-Springfield nach diesem Springfield benannt ist???
StulleStulle vor 6 Jahren
1
So ein schöner Kommentar! Macht auch irgendwie Hoffnung :) Es freut mich ausserordentlich, dass dir einer meiner liebsten Düfte ebenfalls gefällt!
FlirtyFlowerFlirtyFlower vor 6 Jahren
Mega Geschichte, aber irgendwie hab ich den Bogen verpasst, was in der Büchse war. Trotzdem mega Geschichte!
MicscentMicscent vor 6 Jahren
Eine tolle Beschreibung in der Verpackung einer sehr schönen Geschichte. Elegant geschrien. Pokal für Dich und was neues zum probieren für mich! VG Michael
BirdeeBirdee vor 6 Jahren
Linda hat Geschmack. ;)
DOCBEDOCBE vor 6 Jahren
1
Normalerweise mag ich „Geschichten-Kommentare“ nicht so sonderlich, aber deine Story zum Duft hat mir wirklich gut gefallen.
YataganYatagan vor 6 Jahren
Sehr guter Kommentar und ich finde: Er passt wirklich famos zum Duft! Grüße von Sylt (dekadenterweise)!
ParmaParma vor 6 Jahren
Es sind die Brüche, die das Leben interessant machen. Fantastischer Kommi! Literarisch und unheimlich gut zu lesen. Ein klasse Duft, der mir eine Spur zu glatt und eine Spur zu seifig ist. Ist aber immer eine Empfehlung für Leute, denen Vetiver zu schwierig ist.
0815abc0815abc vor 6 Jahren
So eine schöne Geschichte. Ich war mittendrin. Danke und Rebhuhn Pokal.
JackoJacko vor 6 Jahren
Den Creed empfinde ich im Direktvergleich feiner als den Mugler Cologne. Und ansonsten ist er eben ein vielleicht untypischer, aber sehr schöner Vetiver, vielleicht liegt es auch am Vetiverblatt.
SonnenwendeSonnenwende vor 6 Jahren
Erst habe ich gedacht was für ein A...., doch dann zeigst du so erfrischend sympathische Seiten dieser fiktiven? Person. Schräg, abenteuerlustig und mit dem Herz auf der richtigen Seite, daß ich sehr neugierig bin, welcher Duft diese Wandlung zu vollbringen vermmag. Deine Geschichten sind in jedem Fall immer genial.
SchatzSucherSchatzSucher vor 6 Jahren
Oh da hast Du wieder einmal schöne Bilder gezeichnet und eine herrliche Geschichte zu diesem schönen Duft verfasst! War mir wieder eine Freude. Der Duft ist toll, ich bleibe aber beim Mugler Cologne :-)
TurbobeanTurbobean vor 6 Jahren
Na, dann hat er ja die Kurve noch gekriegt. Glückwunsch! Der Duft von Freiheit möge ihn stets begleiten. Und vielleicht auch Linda. Ein besonderer Kommentar zu einem besonderen Duft.
PollitaPollita vor 6 Jahren
Die Hühnervögel am Leben gelassen, das freut auch das Parfumo-Huhn :)
Wunderschöne Geschichte, very British. Schöne Lektüre zur Mittagszeit. Und den Duft mag ich bestimmt auch, der klingt ein bisschen wie Tom Fords Grey Vetiver, oder lieg ich da falsch?