10.01.2013 - 07:58 Uhr

Michelangela
85 Rezensionen

Michelangela
Top Rezension
58
DAS PURE ENTSETZEN!
Als der bekannte Parfumeur Jean Carles im Auftrag von Elsa Schiaparelli ein unvergleichlich erotisches, vulgäres und unwiderstehliches Parfüm zusammenbraute und unter dem Namen "Shocking" (das Entsetzen) veröffentlichte, erzählte man sich, dass man den Kiefer von Coco Chanel auf die Pflastersteine der Rue du Faubourg Saint Honoré schlagen hörte!
Erstaunen oder pures Entsetzen?
~
Obwohl ich unverhohlene Verehrung für Mademoiselle Gabrielle hege, mußte ich herzlich lachen, als ich diesen Satz während meiner Recherchen zu lesen bekam! Die Feindschaft der beiden Damen ist leicht nachzuvollziehen: Strebte Coco Eleganz, Contenace und Schlichtheit in ihren Kreationen an, so präsentierte Elsa die ihren eher schrill, provokant und skandalös.
Zwei gegensätzliche Personen mit zwei ebenso gegensätzlichen Parfums.
Während Chanel N°5 unverhohlen elegant und nur hinter vorgehaltener Hand als "sexy" beschrieben wurde, galt Shocking als die Inkarnation des Verwerflichen und vulgären!
~
Shocking beginnt mit einem vollen Bouquet überreifer Orangenblüten, kräftigem, dunklen Estragon und einer betörenden, fast schon berauschenden Duftverlockung der Narzisse. Das ganze wird von exotischen Nelken untermalt, auf denen zuvor ein paar Zibetkatzen ihre persönliche Visitenkarte hinterlassen haben. Zerwühlte schlüpfrige Laken, gehüllt in den Duft von Moschus, Opiaten und süßem, angenehm duftenden Lustschweiß - eine handvoll Rosenblüten - zerdrückt von warmen, sich liebenden Körpern - die nun auf einem weichen Mantel aus Eichenmoss ruhen.....
Ein Duft wie eine Droge, bei dem man immer sicher sein kann, dass einige Menschen ihn abgöttisch lieben und andere ihn absolut ekelerregend finden würden!
~
Natürlich machte dieser Duft Schlagzeilen...
was sonst hätte man auch von einer Designerin erwarten können, die unsere Welt schon mit dem Hummer-Kleid, Trompe L'oeil Pullover oder einem Schuh-Hut erschütterte.
~
Fast 20 Jahre gehörte Shocking zu den begehrtesten Parfums der Welt.
Von den Tagen an, als der blasse Prinz Edward für eine "Bürgeliche" ein Königreich wegwarf, durch den zweiten Welt Krieg bis ins Zeitalter von Sophia Loren, Marilyn Monroe und Jayne Fonda hatte Shocking seinen Höhepunkt. Es war das Parfüm der Femmes Fatale, die Gardenien in ihrem Haar trugen, französische Zigaretten rauchten, Tango tanzten und den Namen jedes Nachtclubbesitzers zwischen Paris und New York kannten. Frauen, die sich trauten!
Und dann änderte sich der Zeitgeist....
Youth Dew und Charlie eroberten den Markt und Mitte der 70er Jahre war Shocking ebenso so schwer zu finden, wie es einem blinden Huhn mit einem Korn gelingen würde.
~
Die liebenswerten Verrücktheiten der Schiaparelli feierten ihre größten Triumphe in den exaltierten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg: Wiederaufbau; Restauration und Diors New Look schufen ein Klima, das schöngeistigen Paradisvögeln ihrer Art selten zuträglich ist. 1954 schloß Elsa Schiaparelli ihren Salon an der Place Vendome, zog sich zurück und schrieb ihre Memoiren.
Shocking wurde entworfen, um die eigene Persönlichkeit der Schiaparelli widerzuspiegeln, "shocking pink" nannte sie den Nerv der Farbe Rot - eine Signatur, ein Markenzeichen, nachdem sie auch ihre Biographie benannte: "Shocking Life".
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Doch das ist noch nicht alles...
Gemäß der Duft-Rezension wurde die Formel für Shocking von Martin Gras 1997 neu entworfen und das "neue und (angeblich) unverbesserte" Shocking von Schiapparelli Benessere 1998 wieder auf dem Markt eingeführt.
Aber das ist nicht mehr der Stoff der einstigen Legende! Es ist zwar dieselbe bernsteinfarbige Flüssigkeit wie beim Vintage und wird auch in einem Flakon, der wie ein Rumpf gestaltet ist, präsentiert, aber der Schein trügt!
Sobald sich die Aldehyde und der bergamottige Auftakt verzwiebelt haben, öffnet sich ein Herz aus dunklen Blüten, ein freundliches Aufflammen der betörenden Narzisse, dazu Nelke und Honig. Hier und da sticht eine krautige Note hervor, die sich aber nicht wirklich fassen lassen will. Die Katze im Duft wurde von Monsieur Gras einfach gekillt und durch ein Stofftier ersetzt. Ja gekillt - nicht nur Krallen, Barthaare und Schwanz gestutzt, sondern definitv TOT! Kein Pipi, keine verschwitzen Laken und auch keine schmutzigen Gedanken prägen das Bild...
Die pelzige Basis von Patchouli und Holz schmilzt nahtlos mit dem Honig zusammen und hinterlässt ein warmes, wohliges Gefühl.
Diese Version dürfte schon fast wieder für die höfliche Gesellschaft und die Frau des Hochwürden passen...
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Fazit und persönliche Erkenntnis:
Vor mir stehen ein kleines Vintage-Extrait und ein Sprühflakon der neuen Version. Auf jedem meiner Handrücken schwebt der Schleier der jeweiligen Version des Duftes.
Es ist ein unverkennbarer Unterschied auszumachen und dennoch ist und bleibt es Shocking.
Die Änderung der Formel hat so manchem eingefleischten Shocking-Fan das pure Entsetzen entlockt! Doch inzwischen ist es ja allgemein bekannt, dass Düfte reformuliert werden und ich erfreue mich der Tatsache, dass ich "überhaupt" noch in den Genuss kommen darf, so eine alte Legende in olfaktorischer Form miterleben zu dürfen. Auch wenn die Special Effekts etwas verändert wurden - die Geschichte lebt weiter.
Daher möchte ich keinesfalls behaupten, dass die Neuauflage schlecht ist. KEINESFALLS! Doch bei der Neuauflage handelt es sich nicht mehr um einen skandalösen Duft! Ich erlaube mir, ihn in die Kategorie von Düften wie z.B. "Tabu" von Dana oder "Habanita" von Molinard einzustufen. Dunkel, weich und sehr lasziv - aber ein "Entsetzen" kann er mir nicht entlocken! Wenn ich in der Stimmung dafür bin - wenn es kalt ist und ich will, dass mich etwas Großes und Warmes hält - greife ich danach. Er hat eine wunderbare Silage und überdauert fast den ganzen Tag.
~
Was das Vintage betrifft:
So öffne ich noch einmal das kleine Extrait und einen Augenblick träume ich davon, eine von jenen schockierenden Ladies zu sein, die sich frech und ganz selbstbewusst - mit übergeschlagenen Beinen, im Hummerkleid an der Reling eines Überseedampfers platzieren, während die Blitzlichter der Paparazzis auf sie hinabprasseln....
Was für ein großes Glück, noch einen pre'97 Flakon in die Finger zu bekommen....
~
Kurze Info über Elsa Schiaparelli:
Sie war und bleibt der Paradiesvogel unter den Pariser Couturiers: Schillernd, shocking - wie sie auch dieses Parfum taufte - und exzentrisch aus Lust, Laune und Überzeugung. Elsa Schiaparelli (1890-1973), gebürtige Römerin, Freundin der Dadaisten und Surrealisten und selbst Schöpferin von wundersamen Kunstwerken aus Stoff, Imagination und Inspiration, schrieb in der Zeit zwischen den Kriegen ein Kapitel Modegeschichte, das zu den originellsten und poetischsten der Haute Couture zählt. Als sie sich 1922 in Paris niederläßt - frisch geschieden, mittellos und eine dreijährige Tochter am Rockzipfel-, findet sie im Kreis der Avantgarde-Künstler nicht nur rasch Aufnahme, sondern auch ein Klima vor, das ihre verwegene, verspielte, jedenfalls unerschöpfliche Phantasie zum Handeln beflügelte...
Erstaunen oder pures Entsetzen?
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Obwohl ich unverhohlene Verehrung für Mademoiselle Gabrielle hege, mußte ich herzlich lachen, als ich diesen Satz während meiner Recherchen zu lesen bekam! Die Feindschaft der beiden Damen ist leicht nachzuvollziehen: Strebte Coco Eleganz, Contenace und Schlichtheit in ihren Kreationen an, so präsentierte Elsa die ihren eher schrill, provokant und skandalös.
Zwei gegensätzliche Personen mit zwei ebenso gegensätzlichen Parfums.
Während Chanel N°5 unverhohlen elegant und nur hinter vorgehaltener Hand als "sexy" beschrieben wurde, galt Shocking als die Inkarnation des Verwerflichen und vulgären!
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Shocking beginnt mit einem vollen Bouquet überreifer Orangenblüten, kräftigem, dunklen Estragon und einer betörenden, fast schon berauschenden Duftverlockung der Narzisse. Das ganze wird von exotischen Nelken untermalt, auf denen zuvor ein paar Zibetkatzen ihre persönliche Visitenkarte hinterlassen haben. Zerwühlte schlüpfrige Laken, gehüllt in den Duft von Moschus, Opiaten und süßem, angenehm duftenden Lustschweiß - eine handvoll Rosenblüten - zerdrückt von warmen, sich liebenden Körpern - die nun auf einem weichen Mantel aus Eichenmoss ruhen.....
Ein Duft wie eine Droge, bei dem man immer sicher sein kann, dass einige Menschen ihn abgöttisch lieben und andere ihn absolut ekelerregend finden würden!
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Natürlich machte dieser Duft Schlagzeilen...
was sonst hätte man auch von einer Designerin erwarten können, die unsere Welt schon mit dem Hummer-Kleid, Trompe L'oeil Pullover oder einem Schuh-Hut erschütterte.
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Fast 20 Jahre gehörte Shocking zu den begehrtesten Parfums der Welt.
Von den Tagen an, als der blasse Prinz Edward für eine "Bürgeliche" ein Königreich wegwarf, durch den zweiten Welt Krieg bis ins Zeitalter von Sophia Loren, Marilyn Monroe und Jayne Fonda hatte Shocking seinen Höhepunkt. Es war das Parfüm der Femmes Fatale, die Gardenien in ihrem Haar trugen, französische Zigaretten rauchten, Tango tanzten und den Namen jedes Nachtclubbesitzers zwischen Paris und New York kannten. Frauen, die sich trauten!
Und dann änderte sich der Zeitgeist....
Youth Dew und Charlie eroberten den Markt und Mitte der 70er Jahre war Shocking ebenso so schwer zu finden, wie es einem blinden Huhn mit einem Korn gelingen würde.
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Die liebenswerten Verrücktheiten der Schiaparelli feierten ihre größten Triumphe in den exaltierten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg: Wiederaufbau; Restauration und Diors New Look schufen ein Klima, das schöngeistigen Paradisvögeln ihrer Art selten zuträglich ist. 1954 schloß Elsa Schiaparelli ihren Salon an der Place Vendome, zog sich zurück und schrieb ihre Memoiren.
Shocking wurde entworfen, um die eigene Persönlichkeit der Schiaparelli widerzuspiegeln, "shocking pink" nannte sie den Nerv der Farbe Rot - eine Signatur, ein Markenzeichen, nachdem sie auch ihre Biographie benannte: "Shocking Life".
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Doch das ist noch nicht alles...
Gemäß der Duft-Rezension wurde die Formel für Shocking von Martin Gras 1997 neu entworfen und das "neue und (angeblich) unverbesserte" Shocking von Schiapparelli Benessere 1998 wieder auf dem Markt eingeführt.
Aber das ist nicht mehr der Stoff der einstigen Legende! Es ist zwar dieselbe bernsteinfarbige Flüssigkeit wie beim Vintage und wird auch in einem Flakon, der wie ein Rumpf gestaltet ist, präsentiert, aber der Schein trügt!
Sobald sich die Aldehyde und der bergamottige Auftakt verzwiebelt haben, öffnet sich ein Herz aus dunklen Blüten, ein freundliches Aufflammen der betörenden Narzisse, dazu Nelke und Honig. Hier und da sticht eine krautige Note hervor, die sich aber nicht wirklich fassen lassen will. Die Katze im Duft wurde von Monsieur Gras einfach gekillt und durch ein Stofftier ersetzt. Ja gekillt - nicht nur Krallen, Barthaare und Schwanz gestutzt, sondern definitv TOT! Kein Pipi, keine verschwitzen Laken und auch keine schmutzigen Gedanken prägen das Bild...
Die pelzige Basis von Patchouli und Holz schmilzt nahtlos mit dem Honig zusammen und hinterlässt ein warmes, wohliges Gefühl.
Diese Version dürfte schon fast wieder für die höfliche Gesellschaft und die Frau des Hochwürden passen...
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Fazit und persönliche Erkenntnis:
Vor mir stehen ein kleines Vintage-Extrait und ein Sprühflakon der neuen Version. Auf jedem meiner Handrücken schwebt der Schleier der jeweiligen Version des Duftes.
Es ist ein unverkennbarer Unterschied auszumachen und dennoch ist und bleibt es Shocking.
Die Änderung der Formel hat so manchem eingefleischten Shocking-Fan das pure Entsetzen entlockt! Doch inzwischen ist es ja allgemein bekannt, dass Düfte reformuliert werden und ich erfreue mich der Tatsache, dass ich "überhaupt" noch in den Genuss kommen darf, so eine alte Legende in olfaktorischer Form miterleben zu dürfen. Auch wenn die Special Effekts etwas verändert wurden - die Geschichte lebt weiter.
Daher möchte ich keinesfalls behaupten, dass die Neuauflage schlecht ist. KEINESFALLS! Doch bei der Neuauflage handelt es sich nicht mehr um einen skandalösen Duft! Ich erlaube mir, ihn in die Kategorie von Düften wie z.B. "Tabu" von Dana oder "Habanita" von Molinard einzustufen. Dunkel, weich und sehr lasziv - aber ein "Entsetzen" kann er mir nicht entlocken! Wenn ich in der Stimmung dafür bin - wenn es kalt ist und ich will, dass mich etwas Großes und Warmes hält - greife ich danach. Er hat eine wunderbare Silage und überdauert fast den ganzen Tag.
~
Was das Vintage betrifft:
So öffne ich noch einmal das kleine Extrait und einen Augenblick träume ich davon, eine von jenen schockierenden Ladies zu sein, die sich frech und ganz selbstbewusst - mit übergeschlagenen Beinen, im Hummerkleid an der Reling eines Überseedampfers platzieren, während die Blitzlichter der Paparazzis auf sie hinabprasseln....
Was für ein großes Glück, noch einen pre'97 Flakon in die Finger zu bekommen....
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Kurze Info über Elsa Schiaparelli:
Sie war und bleibt der Paradiesvogel unter den Pariser Couturiers: Schillernd, shocking - wie sie auch dieses Parfum taufte - und exzentrisch aus Lust, Laune und Überzeugung. Elsa Schiaparelli (1890-1973), gebürtige Römerin, Freundin der Dadaisten und Surrealisten und selbst Schöpferin von wundersamen Kunstwerken aus Stoff, Imagination und Inspiration, schrieb in der Zeit zwischen den Kriegen ein Kapitel Modegeschichte, das zu den originellsten und poetischsten der Haute Couture zählt. Als sie sich 1922 in Paris niederläßt - frisch geschieden, mittellos und eine dreijährige Tochter am Rockzipfel-, findet sie im Kreis der Avantgarde-Künstler nicht nur rasch Aufnahme, sondern auch ein Klima vor, das ihre verwegene, verspielte, jedenfalls unerschöpfliche Phantasie zum Handeln beflügelte...
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