Gentleman Givenchy (Eau de Parfum) von Givenchy

Gentleman Givenchy 2018 Eau de Parfum

3lbows
06.01.2022 - 06:03 Uhr
77
Top Rezension
8.5Duft 10Haltbarkeit 8Sillage 10Flakon

Tragbarkeit ist unterbewertet! Von der Kunst, angenehm aufzufallen ohne aufzufallen...

Zu den Anfangszeiten meiner Parfumleidenschaft war ich noch vollauf begeistert von für Fragrance-game Neulinge geradezu exotisch wirkenden Düften wie Dior Homme Intense (2011) und Valentino Uomo Intense (2016) . Pudrig als Männerparfum – das geht? Und wie!
Doch der Reiz des Neuen machte in den letzten zwei Jahren der Einsicht Platz, dass nicht alles, was ansprechend duftet auch tragbar ist.
So paradox das klingt, aber je länger ich mich nun in der Duftwelt bewege, und je interessanter und facettenreicher, oder salopp - abgefahrener meine Dufterfahrungen werden, desto mehr zieht es mich hin zum Gewöhnlichen, zum Tragbaren – zumindest was Düfte angeht, die ich auch als Flakon besitzen, und in meiner täglichen Rotation verwenden möchte. Olfaktorisch herausfordernde Kompositionen, von Oud-geschwängerten Stallorgien bis hin zu filigranen Leisetretern, die sich auch auf den dritten Schnüffler noch nicht erschließen sind wichtige Meilensteine einer jeden Duftreise, erweitern meinen Horizont und machen – schlicht – Spass.
Aber bei allen Apellen, man möge doch tragen, was einem gefällt, so sind wir doch hier in der Mehrzahl keine bunten Gockel, die von The Muse über Fahrenheit Eau de Toilette bis hin zu Black Afgano Extrait de Parfum alles rotieren, was ein geruchliches Statement zu setzen im Stande ist. Soweit wage ich mich aus dem Fenster zu lehnen. Ich gehe gerne einen Schritt weiter und behaupte, dass auch und gerade viele der Wässerchen aus den Parfumo Toplisten was die eigentliche Funktion als angenehm wahrnehmbare Körperbeduftung angeht schnell an ihre Grenzen stoßen. Wer schon einmal 5 Tage in Folge mit Herod eingedieselt in´s Büro marschiert ist weiß, was ich meine. Die Linie zwischen begehrtem Alpha-Männchen und schrulligem Fragrance Guy ist eine sehr dünne.
Vielen Nischendüften fehlt es einfach an Gelegenheiten und Anlässen – und nicht zuletzt, der Passung. Damit meine ich die Kongruenz zum Träger, zu dessen Stimmung und Auftreten und letztlich auch dem Umfeld, in dem er sich bewegt. Dabei sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefragt – des Duftes wohlgemerkt, nicht des Trägers. Ein Parfum, das es schafft, seinen Träger in eine interessante Aura zu kleiden, sein Auftreten zu unterstreichen und nicht mit Assoziationen an Rinder, Gebäck, Duschgel, Shisha Pfeiffen, Cognac oder sonstigen Kram zu überfahren – also Parfum im eigentlichen Sinne zu bleiben – ist in meinen Augen schon eine Kunst für sich. Wohlgemerkt: Solche Elemente können und sollen gerne eingewoben werden, aber das bitte mit Raffinesse! Sobald ein Spieler in der Pyramide dominant heraussticht und/oder nicht mit dem Rest der Noten harmoniert, stellt sich für mich schnell ein Ermüdungseffekt ein: Der Duft verliert, was ich vorher Passung nannte und ich möchte ihn, zumindest zeitweise, nicht mehr riechen, und auch nicht nach ihm riechen. Das mag dann vielleicht künstlerisch ansprechend sein, ist mir persönlich aber zu weit weg vom Kerngedanken eines Duftwassers.

Warum ich soweit aushole?

Die Alltagstauglichkeit, meiner Meinung weitgehend unterbewertet, ist die Paradedisziplin von Gentleman Givenchy Eau de Parfum . Ein würziges Grundgerüst (zunächst Pfeffer – in der Basis dann Patchouli) umrahmt eine milde, vanillige Süße. Zeitgleich spielt Lavendel auf, allerdings sparsam eingesetzt, nicht wie in Lavendel dominierten klassischen Aftershaves. Wer diese aber kennt, kann diese charakteristische Note zumindest in den ersten 4h als Gegenspieler zu den süß-würzigen Noten, die dem Duft diese parfümige, saubere Facette verleiht klar wahrnehen. Gleichermaßen präsent ist die Schwertlilie (Iris), die die würzigen Noten blumig kontrastiert und gleichzeitig süß ergänzt, was gerne als Lippenstift Akkord bezeichnet wird, insbesondere im Zusammenhang mit Dior Homme Intense (2011) . Hier nehme ich das allerdings eher als cremigen, fast buttrigen, sanften Grundton wahr, der wiederum die Kratzigkeit des Patchouli hervorragend abfängt. Parallel dazu erzeugen Vanille und Tolubalsam eine warme, leicht harzige Süße, die wenn man den Duft auf zwei Komponenten reduzieren wollte, zusammen mit der oben genannten pfeffrigen Würze den Ton angibt.
Weil die einzelnen Komponenten derart raffiniert und harmonisch verwoben sind, trägt Gentleman Givenchy Eau de Parfum niemals zu dick auf und bleibt stets im Rahmen eines dezent begleitenden Pflegeprodukts, im Gegensatz zu den vielen, laut schreienden Auto-Lufterfrischern, die um die Gunst der übwerwiegend jüngeren Käuferschaft buhlen. Das bedeutet nicht, dass man auf den Duft nicht angesprochen wird, oder er von Jüngeren nicht getragen werden kann – im Gegenteil: Für einen Träger ab, sagen wir 25 Jahren passt er in so gut wie jeder Situation, und da er sehr gut projiziert, wird man mit ihm auch wahrgenommen, jedoch nicht mit einer Duftwolke, die einem stets vorauseilt, sondern eher mit einer subtilen Aura, wie frisch eingecremt. Pfeffer und Lavendel drücken ihn dabei eindeutig in eine männliche, etwas reifere Ecke, auch wenn es sich im Grunde um einen süßen Duft handelt.
Für mich ist Gentleman Givenchy Eau de Parfum der perfekte Begleiter für den Alltag in der kalten Jahreszeit, aus den oben genannten Gründen insbesondere für´s Büro. Damit ist er für mich die erste Wahl unter den gängigen Iris-Süßlingen wie Dior Homme Intense (2011) und Valentino Uomo Intense (2016) , nicht zuletzt auch wegen seines Preises und seiner Performance, die den zuvor Genannten in nichts nachsteht.
19 Antworten
Passenger618Passenger618 vor 2 Jahren
Ich musste oft lachen mit deinen Vergleichen, aber du hast sowas von recht… Toll geschrieben!
JansiJansi vor 3 Jahren
Besser kann man es nicht ausdrücken. Bin inzwischen auch in dieser Phase, welche Du im ersten Teil beschreibst.
Habe da auch diverse Erfahrungen gemacht, um zu der Erkenntnis zu gelangen, Erlebnisse welche mir wertvoll sind (und teuer waren ;-))
MuckiMangoMuckiMango vor 3 Jahren
Super starke Rezension! Sprichst mir aus der Seele!
Wombat81Wombat81 vor 3 Jahren
1
Die Erfahrung, nach der Paradiesvogelphase mit allerhand überbordenden Nischendüften, zurück zum Tragbaren zu finden, teile ich so voll und ganz! Sehr gelungene Rezi!
NektariosNektarios vor 3 Jahren
Meine Güte,klasse geschrieben!
Ich empfinde den Duft sehr ähnlich, trotz meiner über 30 Düften ist er tatsächlich derjenige,den ich am meisten trage,genau aus den von dir genannten Gründen.
TradescantiaTradescantia vor 4 Jahren
3
Ich erlebe das ebenso. Und finde, dass viele Menschen, die keine Parfumfans sind, sehr sensibel reagieren können. Gerade das extrem ausladende, vieler neuer Nischenparfums, ist nicht immer passend.
Gunnar82Gunnar82 vor 4 Jahren
2
Dein Schreibstil ist eloquent ohne sich selbst darüber zu beweihräuchern. Klar, stringent und äußerst nachvollziehbar. Auch ich habe diese Entwicklung durchgemacht. Klar trinkt man gerne mal einen gereiften Rotwein, aber muss es denn immer der 82er Rothschild sein...ich meine nein.
ShindoShindo vor 3 Jahren
Die Analogie zum Wein gefällt mir! Ich habe auch den ein oder anderen Barolo im Keller, aber für das normale Wochenende benötigt man einen schönen "süffigen" gut gemachten "alltags" Wein der schmeckt.
Habe als ich in der Bank gearbeitet habe den Oft getragen und ein Azubi hat ihn sich dann gekauft. Immer wenn er Gentleman trug, empfand ich den Duft sehr, sehr angenehn.
SchmideeSchmidee vor 4 Jahren
1
Ich kenne die Gentleman-Reihe nur vom Proberiechen (wobei ich das EdT Intense klasse fand), aber über deinen ersten Absatz könnte ich meine Signatur druntersetzen. Ich könnt’s nur nicht so schön formulieren.
Auch ich bin von den Anfängen im Designer-Bereich über mehrere Nischendüfte a là Santal Royal, Wulong Chā, APOM & Co. wieder zurück in den Designer-Bereich, weil ich die Nischendüfte einfach zu selten einsetze oder diese mir für viele Anlässe zu schade sind.
Dicker Daumen nach oben!
MNGRMNGR vor 4 Jahren
6
Überaus feinsinnig. Eine der stärksten Rezensionen, die ich hier gelesen habe. In der Kommentar-Chronik dieses Duftes unangefochten und außer Konkurrenz. Vor allem die Zuspitzung: "Die Linie zwischen begehrtem Alpha-Männchen und schrulligem Fragrance Guy ist eine sehr dünne." ist m.E. On Fleek.
Fresh21Fresh21 vor 4 Jahren
1
... und mit dem oberen Teil sprichst du mir voll aus der Seele, den ich i.Ü. auch für deinen Blog geeignet finde:)
Fresh21Fresh21 vor 4 Jahren
Kenne den Duft, ist wirklich sehr gut, doch für mich leider zu süß. Das tut aber deiner exzellenten Duftbeschreibung keinen Abbruch, mein Lieber, sehr hilfreich!
ScentCapScentCap vor 4 Jahren
Du hast mir aus der Seele gesprochen, genau diese Entwicklung mache ich auch durch. In einem Punkt muß ich Dir aber wiedersprechen: Du lehnst die Assoziationen an Rinder ab, aber ein Duft nach gegrilltem Fleisch muß doch himmlisch sein ;-) ich habe ihn aber leider noch nicht gefunden.
FriesinFriesin vor 4 Jahren
Wieder nicht Zielgruppe, wieder gerne gelesen.
VrabecVrabec vor 4 Jahren
Ach, ich finde man sollte sich etwas Extravaganz erlauben können, jedenfalls bei Parfum. Natürlich im Rahmen des ertragbaren für unsere Mitmenschen ;) Diesen hier besitze ich auch, allerdings ist er mir zu süß..
PollitaPollita vor 4 Jahren
Assoziationen, an Rinder, Gebäck, Duschgel usw. Hab mich wunderbar amüsiert. Danke für diesen heiteren Beitrag;)
FrauLohseFrauLohse vor 4 Jahren
Jupp, ich sehe auch sehr große Schwankungen in Alltagstauglichkeit und Besonderheit. ;-)
KirinaKirina vor 4 Jahren
Einer meiner Allerliebsten! :)
ReagenzReagenz vor 4 Jahren
Ich habe alle drei und kann dir in deiner Aussage bestens folgen. Pokal dafür