03.12.2022 - 13:08 Uhr
SebastianM
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SebastianM
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Komparative Parfümistik: Shangri La vs. Mitsouko
Shangri La (2022) ist eine neue Ausgabe der Version Shangri La (2014), die nicht mehr erhältlich ist und die ich auch nicht kenne. Bei Hiram Green ist zu lesen:
I translated the beauty and purity of Shangri La into a contemporary interpretation of a classic chypre perfume.
[...]
It takes a good nose to distinguish the 2022 edition from the original Shangri La. The most noticeable difference is perhaps a lighter and warmer character with greater emphasis on floral and spicy notes. (*)
Mir gefiel Shangri La sehr gut. Es ist wirklich ein großartiges Chypre. Nach meiner Meinung kein klassisches, sondern ein orientalisches Chypre. Worin genau die "moderne Interpretation" bestehen soll, ist mir nicht ganz verständlich.
Die Inspiration für Shangri La ist sicherlich das klassische Chypre Mitsouko Extrait. Ihre Duftnotenlisten sind fast identisch. Bei den Kommentaren und Rezensionen zur Shangri-La-Version von 2014 wird auch häufig auf Mitsouko Bezug genommen. Außerdem gibt es dort eine vergleichende Besprechung von Polyanthes (auf Englisch), die ich aber nicht gelesen habe, bevor ich meine schrieb.
Ich habe also beide Parfüms parallel getestet: Shangri La (2022) auf dem linken, Mitsouko Extrait (aktuelle Thierry-Wasser-Version) auf dem rechten Handgelenk, je 1 Sprüher. Der SL-Zerstäuber sprühte spürbar kräftiger, aber das ist OK um die geringere Konzentration auszugleichen.
Mitsouko eröffnet bitterer, seifiger und würziger, Shangri La ist süßer, weniger zitrisch, weniger blumig, insgesamt weniger kontrastreich, pudriger. Mitsouko finde ich lebendiger und faszinierender im Auftakt. Nach ca. 1 Stunde entwickeln sich die beiden Düfte weiter auseinander. Shangri La verändert sich zunächst stärker in Richtung einer zimtig-pudrigen Würzigkeit und wird dadurch schwerer, Mitsouko wird heller und blumiger und ein bisschen luftig. Der Pfirsich ist in Mitsouko zu diesem Zeitpunkt deutlich prominenter. Er ist auch fruchtiger als in Shangri La. Mitsouko weist auch die präsentere und weichere Rose auf. Das wird nicht für alle ein Pluspunkt sein.
Witziger- und überraschenderweise kehrt sich die Entwicklungsrichtung etwa eine weitere Stunde später um: Mitsouko wird etwas würziger als zuvor und bei Shangri La kommt die Pfirsichnote nun besser zur Geltung. Trotzdem bleibt Shangri La bis zum Ende würziger als Mitsouko, ich rieche Nelke und Zimt. Unglücklicherweise tanzt der Zimt doch etwas aus der Reihe und will sich partout nicht brav einordnen - die einzige Unwucht in diesem Parfüm. Hier frage ich mich, ob die "greater emphasis on spicy notes" nicht doch ein kleiner Fehlgriff war.
Noch ein wenig später, und Mitsouko wird sinnlicher, die Rose ist zurückgetreten und ganz, ganz sanft indolischer Jasmin übernimmt die Führungsrolle bei den Blumen. Von Körperlichkeit ist Shangri La im Gegensatz dazu leider im gesamten Verlauf völlig frei. Obwohl ich weitere Blumennoten in Shangri La erahne, kann ich sie nicht identifizieren.
Nach weiteren 2 Stunden ist Mitsouko dann schon ziemlich hautnah (trotzdem an der Haut intensiv), während Shangri La noch etwas stärker abstrahlt. In Shangri La rieche ich noch stärkere Nelke und jetzt auch Muskat, es wirkt trocken und leicht süßlich. (Vielleicht soll das "modern" sein?) Aus Mitsouko hingegen ist der Jasmin wieder verschwunden, es wirkt auf mich nun ausgewogener und verwobener als Shangri La, dunkel-feucht und immer noch ein bisschen frisch. Beide haben eine typische Chypre-Basis mit einer guten Dosis Eichenmoos. Von nun an bleiben beide wie sie sind und werden langsam schwächer. Mitsouko verschwindet nach gut 6 Stunden. Shangri La hält noch ca. 2 Stunden länger, tut sich damit aber auch keinen großen Gefallen mehr.
Shangri La ist kein Mitsouko-Klon. Aber man tritt Hiram Green nicht zu nahe, wenn man Shangri La eine Hommage an Mitsouko nennt, und zwar eine Hommage, die - besonders in der ersten Hälfte des Verlaufs - viele wörtliche Zitate enthält. Ein Urteil will ich nicht fällen, denn ich bin voreingenommen: Mitsouko (und Jicky) gehören schließlich nach meiner Meinung zu den besten Parfüms, die es je gab und jemals geben wird. Man muss schon Mut besitzen, sich damit zu messen, und Können, um in dem Vergleich zu bestehen. Also Hut ab! Beide Parfüms sind faszinierender Stoff für Chypre-Enthusiasten.
Das erste Mal habe ich Shangri La übrigens gerochen, als ich es einer parfümbegeisterten Bekannten aufgesprüht habe. Ich war sofort hin und weg. Sie auch: sie hat gleich Schritte in die Wege geleitet, den Weihnachtsmann zu informieren.
-----
(*) Die deutsche Übersetzung des Zitats von Hiram Green: "Ich habe die Schönheit und Reinheit von Shangri La in eine zeitgemäße Interpretation eines klassischen Chypre-Parfüms übersetzt. [...] Man braucht eine gute Nase, um die Ausgabe von 2022 vom ursprünglichen Shangri La zu unterscheiden. Der auffälligste Unterschied ist vielleicht ein leichterer und wärmerer Charakter mit einer stärkeren Betonung von blumigen und würzigen Noten."
I translated the beauty and purity of Shangri La into a contemporary interpretation of a classic chypre perfume.
[...]
It takes a good nose to distinguish the 2022 edition from the original Shangri La. The most noticeable difference is perhaps a lighter and warmer character with greater emphasis on floral and spicy notes. (*)
Mir gefiel Shangri La sehr gut. Es ist wirklich ein großartiges Chypre. Nach meiner Meinung kein klassisches, sondern ein orientalisches Chypre. Worin genau die "moderne Interpretation" bestehen soll, ist mir nicht ganz verständlich.
Die Inspiration für Shangri La ist sicherlich das klassische Chypre Mitsouko Extrait. Ihre Duftnotenlisten sind fast identisch. Bei den Kommentaren und Rezensionen zur Shangri-La-Version von 2014 wird auch häufig auf Mitsouko Bezug genommen. Außerdem gibt es dort eine vergleichende Besprechung von Polyanthes (auf Englisch), die ich aber nicht gelesen habe, bevor ich meine schrieb.
Ich habe also beide Parfüms parallel getestet: Shangri La (2022) auf dem linken, Mitsouko Extrait (aktuelle Thierry-Wasser-Version) auf dem rechten Handgelenk, je 1 Sprüher. Der SL-Zerstäuber sprühte spürbar kräftiger, aber das ist OK um die geringere Konzentration auszugleichen.
Mitsouko eröffnet bitterer, seifiger und würziger, Shangri La ist süßer, weniger zitrisch, weniger blumig, insgesamt weniger kontrastreich, pudriger. Mitsouko finde ich lebendiger und faszinierender im Auftakt. Nach ca. 1 Stunde entwickeln sich die beiden Düfte weiter auseinander. Shangri La verändert sich zunächst stärker in Richtung einer zimtig-pudrigen Würzigkeit und wird dadurch schwerer, Mitsouko wird heller und blumiger und ein bisschen luftig. Der Pfirsich ist in Mitsouko zu diesem Zeitpunkt deutlich prominenter. Er ist auch fruchtiger als in Shangri La. Mitsouko weist auch die präsentere und weichere Rose auf. Das wird nicht für alle ein Pluspunkt sein.
Witziger- und überraschenderweise kehrt sich die Entwicklungsrichtung etwa eine weitere Stunde später um: Mitsouko wird etwas würziger als zuvor und bei Shangri La kommt die Pfirsichnote nun besser zur Geltung. Trotzdem bleibt Shangri La bis zum Ende würziger als Mitsouko, ich rieche Nelke und Zimt. Unglücklicherweise tanzt der Zimt doch etwas aus der Reihe und will sich partout nicht brav einordnen - die einzige Unwucht in diesem Parfüm. Hier frage ich mich, ob die "greater emphasis on spicy notes" nicht doch ein kleiner Fehlgriff war.
Noch ein wenig später, und Mitsouko wird sinnlicher, die Rose ist zurückgetreten und ganz, ganz sanft indolischer Jasmin übernimmt die Führungsrolle bei den Blumen. Von Körperlichkeit ist Shangri La im Gegensatz dazu leider im gesamten Verlauf völlig frei. Obwohl ich weitere Blumennoten in Shangri La erahne, kann ich sie nicht identifizieren.
Nach weiteren 2 Stunden ist Mitsouko dann schon ziemlich hautnah (trotzdem an der Haut intensiv), während Shangri La noch etwas stärker abstrahlt. In Shangri La rieche ich noch stärkere Nelke und jetzt auch Muskat, es wirkt trocken und leicht süßlich. (Vielleicht soll das "modern" sein?) Aus Mitsouko hingegen ist der Jasmin wieder verschwunden, es wirkt auf mich nun ausgewogener und verwobener als Shangri La, dunkel-feucht und immer noch ein bisschen frisch. Beide haben eine typische Chypre-Basis mit einer guten Dosis Eichenmoos. Von nun an bleiben beide wie sie sind und werden langsam schwächer. Mitsouko verschwindet nach gut 6 Stunden. Shangri La hält noch ca. 2 Stunden länger, tut sich damit aber auch keinen großen Gefallen mehr.
Shangri La ist kein Mitsouko-Klon. Aber man tritt Hiram Green nicht zu nahe, wenn man Shangri La eine Hommage an Mitsouko nennt, und zwar eine Hommage, die - besonders in der ersten Hälfte des Verlaufs - viele wörtliche Zitate enthält. Ein Urteil will ich nicht fällen, denn ich bin voreingenommen: Mitsouko (und Jicky) gehören schließlich nach meiner Meinung zu den besten Parfüms, die es je gab und jemals geben wird. Man muss schon Mut besitzen, sich damit zu messen, und Können, um in dem Vergleich zu bestehen. Also Hut ab! Beide Parfüms sind faszinierender Stoff für Chypre-Enthusiasten.
Das erste Mal habe ich Shangri La übrigens gerochen, als ich es einer parfümbegeisterten Bekannten aufgesprüht habe. Ich war sofort hin und weg. Sie auch: sie hat gleich Schritte in die Wege geleitet, den Weihnachtsmann zu informieren.
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(*) Die deutsche Übersetzung des Zitats von Hiram Green: "Ich habe die Schönheit und Reinheit von Shangri La in eine zeitgemäße Interpretation eines klassischen Chypre-Parfüms übersetzt. [...] Man braucht eine gute Nase, um die Ausgabe von 2022 vom ursprünglichen Shangri La zu unterscheiden. Der auffälligste Unterschied ist vielleicht ein leichterer und wärmerer Charakter mit einer stärkeren Betonung von blumigen und würzigen Noten."
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