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Top Rezension
In einem anderen Leben
Ich stehe mit meinem 68PS-Superflitzer an der roten Ampel. Ich bin ziemlich spät dran und daher ungeduldig. Ich schaue in der Gegend rum und erblicke dich. Ich habe sofort einen Stein im Magen.
Das letzte Mal als ich dich sah, hast du mich sehr gequält und tapfer angelächelt. Bis bald, sagtest du, aber es war ein Abschied für immer.
Ich ahnte nicht, was für ein Qual es für dich war, in meiner Nähe zu sein. WIr lernten uns in einer Phonetikvorlesung kennen. Schnell wurden wir Freunde, hatten wir doch die gleiche Art von Humor, mochten die gleichen Bands und hatten ähnliche Interessen. Du lachtest, wenn ich den Prof imitierte. Ich lachte, wenn du Witze erzähltest. Wir tauschten Bücher aus und diskutierten in den Pausen darüber.
Ich war so froh, einen echten Freund gefunden zu haben. Einen, mit dem man sich zusammen durch den Uni-Wahnsinn kämpft. Ich habe nicht begriffen, dass ich mehr für dich war. Vermutlich hätte es mir auffallen müssen, aber ich hatte noch nie ein Gespür dafür. Ich merkte nicht, dass deine Umarmungen mit mir immer etwas länger dauerten, als mit den anderen Kommilitonen. Auch nicht, wie du den Duft meiner Haare einsogst. Wenn du mir zur Begrüßung einen Handkuss aufdrücktest, dachte ich, es sei ein Scherz und lachte. Du hast dich immer zu mir gesetzt, und wie durch Zufall berührten sich unsere Arme oder dein Buch lag versehentlich zu Hause und wir mussten unsere Köpfe über meinem Exemplar zusammen stecken.
Irgendwann, nach vielen gemeinsamen Vorlesungen und Seminaren, hast du es nicht mehr ausgehalten. Du hattest immer gehofft, dass ich zu dir komme und aus dir und mir ein wir wird.
Aber es wurde nicht. Also bist du gegangen. Studium abgebrochen, weg aus meinem Leben.
Ich war traurig, aber ich begriff.
Nun stehst du da und wartest, dass die Fußgängerampel grün wird. Gut siehst du aus. Groß, immer noch athletisch, die dunklen Haare samt gepflegten Bart umrahmen dein Gesicht. Deine unverschämt langen Wimpern verbergen nur einen kleinen Teil deiner klugen, leuchtenden Augen. Du trägst einen schicken Anzug und einen Aktenkoffer. Du schaust nervös zur Uhr. Ob du noch immer nach Hugo riechst, frage ich mich. Denn das war früher dein Duft. So viele haben ihn getragen, aber für mich wird dieser Duft immer mit dir verbunden sein. Frisch, würzig, etwas holzig. Sehr 90er-Jahre-Style - aber es stand dir so gut.
Ich weiß nicht, was ich mehr möchte: Dass du mich siehst und ich dich noch ein Mal anlächeln kann, oder dass du an mir vorbei gehst, ohne Beachtung.
Damals schenktest du mir eine Mix-Kassette. Ich wusste nicht, dass das Teil deines Werbens war. Du hast deinen Lieblingssong von Metallica drauf gespielt. Ich bin nervös und schalte das Radio ein.
Manchmal gibt es so Zufälle im Leben - und an diesem Tag musste einges passieren, dass ich dich hier sehe. Ich musste spät dran sein, sonst ein schmerzlichst pünktlicher Mensch. Eine Straße war gesperrt und ich wurde umgeleitet. Und nun spielt der Radiosender "Nothing else matters". Du schaust auf. Du erkennst mich. Du strahlst mich an und winkst.
Ich winke zurück, etwas zögerlich lächelnd. Denn deine Augen sind nach der großen Überraschung und Freude, mich wieder zu sehen, wieder traurig. Mit gesenktem Kopf gehst du an mir vorbei. An der anderen Straßenseite drehst du dich um und schaust zu mir. Tapfer lächelnd. Du schaust mich lange an, dann berührst du mit deiner rechten Hand deine Brust. Auf's Herz. Ich habe Tränen in den Augen und einen Kloß im Hals. So merke ich nicht, dass meine Ampel auf grün gesprungen ist. Ich höre auch das Gehupe hinter mir nicht. Du lachst laut los und zeigst zur Ampel. Ich erschrecke, dann fahre ich los. Aber vorher schaue ich noch kurz zu dir. Immer noch tapfer lächelnd.
In einem anderen Leben, sagtest du mir damals. Bis dann.
Das letzte Mal als ich dich sah, hast du mich sehr gequält und tapfer angelächelt. Bis bald, sagtest du, aber es war ein Abschied für immer.
Ich ahnte nicht, was für ein Qual es für dich war, in meiner Nähe zu sein. WIr lernten uns in einer Phonetikvorlesung kennen. Schnell wurden wir Freunde, hatten wir doch die gleiche Art von Humor, mochten die gleichen Bands und hatten ähnliche Interessen. Du lachtest, wenn ich den Prof imitierte. Ich lachte, wenn du Witze erzähltest. Wir tauschten Bücher aus und diskutierten in den Pausen darüber.
Ich war so froh, einen echten Freund gefunden zu haben. Einen, mit dem man sich zusammen durch den Uni-Wahnsinn kämpft. Ich habe nicht begriffen, dass ich mehr für dich war. Vermutlich hätte es mir auffallen müssen, aber ich hatte noch nie ein Gespür dafür. Ich merkte nicht, dass deine Umarmungen mit mir immer etwas länger dauerten, als mit den anderen Kommilitonen. Auch nicht, wie du den Duft meiner Haare einsogst. Wenn du mir zur Begrüßung einen Handkuss aufdrücktest, dachte ich, es sei ein Scherz und lachte. Du hast dich immer zu mir gesetzt, und wie durch Zufall berührten sich unsere Arme oder dein Buch lag versehentlich zu Hause und wir mussten unsere Köpfe über meinem Exemplar zusammen stecken.
Irgendwann, nach vielen gemeinsamen Vorlesungen und Seminaren, hast du es nicht mehr ausgehalten. Du hattest immer gehofft, dass ich zu dir komme und aus dir und mir ein wir wird.
Aber es wurde nicht. Also bist du gegangen. Studium abgebrochen, weg aus meinem Leben.
Ich war traurig, aber ich begriff.
Nun stehst du da und wartest, dass die Fußgängerampel grün wird. Gut siehst du aus. Groß, immer noch athletisch, die dunklen Haare samt gepflegten Bart umrahmen dein Gesicht. Deine unverschämt langen Wimpern verbergen nur einen kleinen Teil deiner klugen, leuchtenden Augen. Du trägst einen schicken Anzug und einen Aktenkoffer. Du schaust nervös zur Uhr. Ob du noch immer nach Hugo riechst, frage ich mich. Denn das war früher dein Duft. So viele haben ihn getragen, aber für mich wird dieser Duft immer mit dir verbunden sein. Frisch, würzig, etwas holzig. Sehr 90er-Jahre-Style - aber es stand dir so gut.
Ich weiß nicht, was ich mehr möchte: Dass du mich siehst und ich dich noch ein Mal anlächeln kann, oder dass du an mir vorbei gehst, ohne Beachtung.
Damals schenktest du mir eine Mix-Kassette. Ich wusste nicht, dass das Teil deines Werbens war. Du hast deinen Lieblingssong von Metallica drauf gespielt. Ich bin nervös und schalte das Radio ein.
Manchmal gibt es so Zufälle im Leben - und an diesem Tag musste einges passieren, dass ich dich hier sehe. Ich musste spät dran sein, sonst ein schmerzlichst pünktlicher Mensch. Eine Straße war gesperrt und ich wurde umgeleitet. Und nun spielt der Radiosender "Nothing else matters". Du schaust auf. Du erkennst mich. Du strahlst mich an und winkst.
Ich winke zurück, etwas zögerlich lächelnd. Denn deine Augen sind nach der großen Überraschung und Freude, mich wieder zu sehen, wieder traurig. Mit gesenktem Kopf gehst du an mir vorbei. An der anderen Straßenseite drehst du dich um und schaust zu mir. Tapfer lächelnd. Du schaust mich lange an, dann berührst du mit deiner rechten Hand deine Brust. Auf's Herz. Ich habe Tränen in den Augen und einen Kloß im Hals. So merke ich nicht, dass meine Ampel auf grün gesprungen ist. Ich höre auch das Gehupe hinter mir nicht. Du lachst laut los und zeigst zur Ampel. Ich erschrecke, dann fahre ich los. Aber vorher schaue ich noch kurz zu dir. Immer noch tapfer lächelnd.
In einem anderen Leben, sagtest du mir damals. Bis dann.
19 Antworten


Ein alter Arbeitskollege, der in Rente gegangen ist hatte ihn immer getragen. Der passte wie die Faust aufs Auge. Ein ganz toller Duft!
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