Serenissima
Top Rezension
20
die Lieblingsschwester des Kaisers
Napoleon Bonaparte, Kaiser Napoleon I von Frankreich, war bekanntlich ein Familienmensch.
So war es für ihn auch selbstverständlich, Familienmitglieder als Regenten in den eroberten Gebieten einzusetzen.
Sie waren eigentlich mehr oder weniger "Statthalter"; denn schon damals lag die Macht allein in Paris!
Diese "Familien-Politik" folgte dem österreichischen Motto: "Tu felix Austria nube!"
Denn im Gegensatz zu "Andere mögen Krieg führen; Du, glückliches Österreich, heirate!", wollte er beides: Kriege führen und eine erfolgreiche Heiratspolitik betreiben.
Pauline (1780-1825) war Napoleon Lieblingsschwester.
Sie war charmant und lebenslustig, ihre Schönheit sprichwörtlich; Auftreten und Stil waren voller Grazie.
Heute würde man sagen: Pauline "rockte" die Pariser Salons! Sie war das Darling der dortigen High Society!
Alle großen Künstler ihrer Zeit rissen sich darum, diese kapriziöse junge Frau als Modell zu gewinnen.
(Ich höre hier schon: "Aha!". Ja, sie ist es: die "Ruhende Venus"/die "Borghese Venus" von Canova!)
Denn auch Antonio Canova gehörte zu denen, die im Namen der Kunst um die Gunst dieser Schönheit buhlten: mit Erfolg!
Sie saß, besser: lag ihm nackt Modell und so entstand eine der schönsten Statuen in weißem, fast jungfräulichen Marmor.
Noch heute ist sie in der Galleria Borghese in Rom zu bewundern; nicht nur Männer stehen fasziniert vor dem Bildnis dieser zeitlos schönen Frau!
Auch Pauline beugte sich der Heiratspolitik ihres Bruders; die zweite Ehe mit Camillo Borghese schloss sie aber nicht ungern.
Heiratete sie doch in eines der ältesten Adelsgeschlechter Italiens ein; mit ihrer Schwägerin Joséphine, der Kaiserin, konkurrierte sie nämlich zeit deren Lebens.
Als einziges Familienmitglied begleitete sie Napoleon ins erste Exil nach Elba.
Die Reise nach St. Helena musste er dann schon allein antreten: sie war bereits kränklich. 1825 starb diese unvergessene Frau mit nur 44 Jahren an Krebs; sie wurde auf dem ehemaligen Familiensitz in Rom bestattet.
Das 1795 in Grasse gegründete Haus Francois Rancé machte es sich zur Aufgabe, den Frauen der Familie Bonaparte jeweils einen eigenen Duft zu widmen: alle Schwestern und auch die Mutter Laeticia wurden so geehrt.
Die einzige Ausnahme in der "Collection Impériale" bildet Kaiserin Eugénie - die Gattin Napoleons III.
Schon 1807 versuchte man dort also die einzigartige Frische, den verspielten Geist, die Sinnlichkeit und Freude dieser Frau in einem Flacon einzufangen. Sie wurde bewundert und begehrt.
"Pauline" sollte "sophicated Emotions", "A Vision of Beauty" widerspiegeln und jede Frau, die diesen Duft trägt, mit dem gleichen persönlichen Zauber umgeben.
Nach den Unterlagen von Rancé sollen Baumwollblüte und Ylang-Ylang für Unschuld stehen; das wilde Veilchen und die weiße Rose für Charme; Patchouli, Zeder, Benzoe-Harz und Tonkabohne sollen einen Touch von Sinnlichkeit verbreiten.
All das war Pauline Borghese: all das ist "Pauline"?
Schauen wir mal:
Es begrüßt mich ein wahrhaftig zauberhaftes Entrée aus der bereits genannten Baumwollblüte (leider selten verwendet), einem schönen Orangenaroma und dem goldenen Flimmern von Ylang-Ylang.
Nun, "Unschuld" würde ich damit allerdings nicht unbedingt verbinden.
Charmant ist die nun folgende Duftentwicklung aber auf jeden Fall: allein schon die weiße Rose hat ihren großen Auftritt - ein unvergleichlicher Duftakkord.
Das wilde Veilchen versucht mit dieser Königin der Blumenwelt gleichzuziehen, muss aber ein wenig zurückstecken. Dafür bildet es aber einen zauberhaften Hintergrund.
Diesen veredelt Patchouli, wie immer mit seiner goldbraunen Duftschönheit; sinnlich dahinfließend, krönt es die bisherige Duftentwicklung - weckt spätestens jetzt die Sinne.
Die Süße der Tonkabohne wird durch die harzige Würze von Benzoe gedämpft, bevor die edle Libanonzeder ihr immer wieder gerngesehenes silber-seidiges Aroma in die wohlduftende Waagschale wirft: so entsteht ein vibrierendes Finale, dass "Paulines" duftende Sinnlichkeit schön unterstreicht.
Rancés "Pauline" ist, trotz der edlen Inhaltsstoffe, hell und leicht; es fehlt die "lockende Schwere" vieler älterer Duftschöpfungen.
So wurden wirklich die oben genannten Kriterien für diesen Duft erfüllt.
"Pauline" hält sich bei mir einige Stunden; morgens gesprüht, spüre ich am späten Nachmittag noch ihre Nähe. Wie viele, nicht allzu schwere, aber doch vollmundige Duftkunstwerke, verlässt sie mich leise und höflich.
Sie hinterlässt keine unangenehmen Duftreste - es bleibt ein zarter Hauch, der den Zauber dieses sehr femininen Wesens immer noch um mich legt.
Der hübsche Flacon mit der großen blauen Organza-Schleife verlockt aber auch ganz gern zum Nachsprühen.
Dieser Aufforderung kann man bedenkenlos nachkommen; es entsteht ein feiner Duftnebel - kein wirbelndes Chaos unterschiedlich reifer Duftnoten!
Bei Rancé heißt es: "Pauline carries away between heaven and earth!" (O-Ton!)
Ja, das unterschreibe ich gern: diese elegante, lebhafte Frau entführt in eine andere Welt, in eine andere Zeit.
Es lohnt sich, ihrem Locken zu folgen!