Es war nicht so, dass ich keine Lust hatte, meine Uroma zu besuchen - okay, vielleicht ein bisschen. Als Kind denkt man halt nicht, dass ein Treffen mit einer 89-Jährigen Dame der Höhepunkt des Tages wird. Aber was soll ich sagen? Der Apfelkuchen hat‘s rausgerissen. Dazu später mehr.
Es war eines von nur wenigen Treffen mit meiner Uroma Johanna, zudem auch das Letzte, und schon das Setting hätte aus einem dieser Filme stammen können, in denen alte Familiengeschichten plötzlich ganz große Dramen entfalten. Das große Drama blieb zwar aus, dennoch brannte sich dieser Tag in meiner Erinnerung ein.
Wir trafen uns im tiefsten Bayern in ihrer Wohnung im 12. Stock eines Hochhauses - so ein typischer Betonklotz aus einer Zeit, in der man dachte, große graue Wände wären die Zukunft. Aber der Balkon? Atemberaubend schön! Der Ausblick sah aus, als hätte man ihn für eine Postkarte gemalt. Sonnenschein, der zwischen Wattewolken durchblitzte, Berge mit Schnee auf den Spitzen, darunter Wälder, sanft fließende Bäche und jede Menge Kühe, die ihr Ding durchzogen.
Meine Uroma war schweigsam, fast ein bisschen einschüchternd. Kein liebevolles Geplauder, kein „Ach Kindchen, wie groß du geworden bist.“ Sie hatte diesen Blick drauf, den Leute kriegen, wenn sie im Leben mehr Probleme gelöst, als Kuchen gebacken haben. Zumindest dachte ich das zu diesem Zeitpunkt noch.
Fangen wir vorne an: Bevor wir überhaupt diesen legendären Balkon betraten, schleppte sie mich in ein Geschäft für traditionelle Trachtenmode, das Dirndl schneiderte und verkaufte. Ich, Norddeutsche bis in die Haarspitzen, war noch nie mehr Tourist als an diesem Ort. Meine Uroma marschierte rein, fixierte eine Verkäuferin mit ihrem durchdringenden Blick und keine 10 Minuten später hielt ich ein Dirndl in der Hand. Keiner diskutierte, keiner fragte, ob ich es haben wollte. Es war einfach klar: Ich kriege jetzt eins.
Heute weiß ich, dass es ein Geschenk zur Einschulung war und bestimmt wahnsinnig teuer gewesen sein muss. Als Kind weiß man so etwas nicht zu schätzen.
In der Umkleidekabine versuchte ich mich allein in das Kleid zu zwängen. Irgendwo war - warum auch immer - noch eine Nadel drin und ich trat drauf, barfuß. Autsch. Blut tropfte auf den ohnehin schon roten Teppich (bestimmt genau aus diesem Grund) und ich winselte ein bisschen, während Uroma mit verschränkten Armen draußen wartete. Ich zeigte ihr meine blutende Fußsohle und sie zuckte mit den Schultern. „Ja, und? Geht vorbei.“ Kein Mitleid, kein Pflaster. Stattdessen: „Komm, es gibt Apfelkuchen.“
In der Wohnung angekommen war der Kuchen schon im Ofen. Den hatte sie vorbereitet, bevor wir überhaupt losgegangen waren, als hätte sie geahnt, dass es mit mir in diesem Geschäft irgendwie eskalieren würde. Es roch so himmlisch, allein für diesen Geruch wäre ich freiwillig eine Woche lang bei ihr geblieben. Zimt, Apfel, Butter, die perfekte Dufttherapie.
Mit einer winkenden Handbewegung deutete sie mir, mich zu setzen. „Iss!“, befahl sie, als sie den Kuchen schließlich dampfend auf den Tisch ihres fabelhaften Balkons stellte.
Und dann saßen wir da, in zwölf Stockwerken Höhe, inmitten dieses grauen Hochhauses, und doch über allem schwebend. Der Apfelkuchen war gefährlich gut, er war ein Meisterwerk. Saftige, weiche, süß-saure Äpfel, perfekt verteilte Rosinen, als hätte sie ihren Abstand mit einem Lineal vermessen, ein Hauch von Karamell und ein buttriger Boden, knusprig und weich zu gleich. Ich übertreibe nicht, er war die absolute Offenbarung.
Ich nahm meinen Mut zusammen und sagte: „Das ist der beste Apfelkuchen, den ich je gegessen habe.“ Sie hob nur eine Augenbraue, als hätte ich das Offensichtliche ausgesprochen. Kein Lob für ihre eigene Backkunst, nur ein kurzes Nicken und ein knappes „das Rezept ist alt.“
Das war‘s mit den Gesprächen an diesem Tag und wir aßen, bis die Sonne langsam über den malerischen Bergen unter- und die Lichter in der kleinen Stadt angingen.
So war sie, Uroma Johanna. Tough, schweigsam, angsteinflößend - aber mit einem Apfelkuchen, der alle Worte überflüssig machte. Die besten Erinnerungen liegen eben manchmal auf einem Teller.
Ich rieche an Jany und ich bin wieder dort: Auf diesem riesigen Betonklotz fast über den Wolken, an den sogar der Flakon erinnert, mit einem Fuß, der ein bisschen schmerzt und einem Lächeln, das ich damals gut versteckt habe, aber trotzdem da war. Selbst den Namen Jany interpretiere ich als eine Version der Johanna, weil es so schön in das Gesamtbild passt. Jany riecht nach dampfendem, warmen Apfelkuchen. So echt, dass es kaum zu glauben ist, dass dies nur ein Duft ist und kein echter Kuchen. Es ist der schönste, authentischste Gourmand, der mir jemals unter die Nase gekommen ist. Fast zu real.
Diese schöne, fruchtige, buttrige Herznote bleibt einem etwa 4h erhalten, danach verschmilzt er mit der Haut zu einem Duft nach Keks-Vanille-Teig. Auch Mandel wird hier sehr präsent, etwas marzipanig. Immer noch extrem hochwertig, keinesfalls klebrig süß. An dieser Stelle jedoch wird der Duft austauschbar und es könnten auch Black Tie, Vanille West Indies und Co. sein. Nach etwa 6-8h ist er wirklich sehr Hautnah und bildet nun mehr eine warme, umschmeichelnde Aura.
Jany ist für mich ein Winterduft. Er riecht weihnachtlich, warm, vielleicht sogar wärmend. Ich würde ihn bei Temperaturen über 10 Grad nicht tragen wollen, dann wird er zur Last.
Der beste Apfelkuchen meines Lebens, eingefangen in diesem Parfum.