Ich bin tot. Aber erst seit einer Stunde. Ich war echt erleichtert, als ich nach meinem Tod gemerkt habe, dass es mit mir nach oben geht, also Richtung Himmel. Puh, ich glaube, das war knapp. Aber jetzt geht es gerade nicht weiter. Ich und ein paar andere frisch Verstorbene schweben im Stau, weil ein sehr dicker Toter nicht durch das Ozonloch passt und uns den Weg versperrt. Er zappelt und brüllt, dass er nicht an Verfettung gestorben sei, sondern an verdammtem Stangensellerie erstickt wäre, und von wegen Rohkost sei gesund! Naja. Wir hängen hier so lange fest und warten auf die blauen Engel, die ihn da rausholen.
Unter mir glitzert das Meer. Mein Leben habe ich vorhin schon im Schnelldurchlauf gesehen, halt den ganzen Geburt-Kindheit-erste-Liebe-Auswandern-Schulden-wieder-bei-den-Eltern-einziehen-Heirat-Scheidung-Steuerhinterzug-nochmal-Auswandern-täglich-einen-Joint-Film. Kannte ich schon. Weil ich gerade Zeit habe, rufe ich mir meine Parfüms in Erinnerung, die einzig konstante Liebe in meinem Leben. Wenn ich so auf das blaue Meer hinuntersehe, fällt mir zuerst Seathalasso ein, denn so riecht es hier. Nach Ozean und Sonnencreme, aber da ist noch etwas anderes... Ananas. Nicht die gezuckerte Dosenananas, sondern eine unreife, herb-bitter-zitrische Ananas. Und ein Hauch von Mango, ebenfalls unsüss. Ob das die ersten geruchlichen Vorboten aus dem Himmel sind? Erwartet mich dort oben der Garten Eden, das Paradies?
Aha, der Weg ist wieder frei, sie haben den Dicken rausgeschnitten. Nun ist das Ozonloch zwar wieder etwas grösser, aber was kümmert’s mich, ich werde schon nicht daran sterben (Schenkelklopfer!). Weiter vorne hat sich schon wieder eine Schlange gebildet, na toll! Die stehen jetzt alle an der Himmelspforte an. Also stelle ich mich auch brav in die Reihe. Früher an der Konzerthallentür habe ich immer gedrängelt, aber heute will ich mir den Einlass in die wirklich heiligen Hallen ja nicht noch auf den letzten Metern versauen. Ich hab ja jetzt Zeit. Viiiiel Zeit. Schon befreiend, irgendwie. Langsam glaube ich wirklich, dass es aus dem Himmel so gut runterriecht. Das Meer bleibt zurück, undefinierbare Früchte und Blumen werden stärker und alles wird etwas süsser, aber da ist wieder noch etwas anderes... etwas, das ich irgendwie kenne, aber leider so gar nicht mag, was ist das nur?
15 Minuten später weiss ich es. Ich stehe an der Himmelspforte, und die ist aus, tadaaa, Sandelholz gezimmert, mein Duft-Kryptonit. Im Rahmen eingeritzt steht „Jesus, anno domini 34“. Aha, stimmt, der war doch Zimmermann... Petrus räuspert sich, um meine Aufmerksamkeit zu kriegen und klimpert wichtig mit dem Himmelsschlüssel vor der verschlossenen Pforte. Er trägt eine schwarze Bomberjacke, obwohl es schön warm ist. Hoffentlich geht das jetzt schnell hier, das Sandelholz nervt mich.
„Du kommshier nich rein!“, spricht er mich an.
„Hä...?“
„Gehma zur Seite, mach Platz.“
Das ist ja wohl eine Frechheit! Wenn das nicht Petrus himself wäre, dem würd ich jetzt aber was erzählen, würd ich dem jetzt! Aber es ist nunmal Petrus und ich will wirklich, wirklich, doch noch in den Himmel, also stelle ich mich demütig an die Seite und sehe falsch grinsend und nervös trippelnd zu, wie Petrus einen nach dem anderen Toten freundlich willkommen heisst und durchlässt. Boah, dieses Sandelholz! Wenigstens wehen immer wieder Schwaden von Meer, Früchten und Blumen vorbei, es ist erträglich.
„Kannich ma Dein Ausweis sehen?“, wendet er sich mir nach einer halben Stunde wieder zu.
„Halloooo!!?? Ich bin tot, ich hab doch jetzt hier keinen Ausweis dabei!“
„Dann tut’s mir leid für Dich, heute nur Hässliche, Betrunkene, Minderjährige, in Jogginghosen, Turnschuhen und mit Waffen.“
„Hä???“
„Na komm, is nur Spass“, lächelt er plötzlich. „Mein Chef weiss alles. War ne kleine Sandelholzprüfung für Dich, ob Dir das hier mit dem Reinkommen ernst ist. War nämlich knapp bei Dir.“
Oha! Aber dann öffnet sich die Himmelspforte wieder – und diesmal für mich. Na Gott sei Dank! Im wahrsten Sinne des Wortes...
Ich schreite hindurch und der Sandelholzgeruch verblasst. Von Ananas und Mangos keine Schwade mehr, der Himmel bleibt blau, wird nicht paradiesisch grün. Sauber-weiss-cremige Moschuswölkchen empfangen mich, dazwischen schlängelt sich ein Honigfluss. Hölzerne Engel trompeten ein (mein!) Willkommens-Hallelujah auf Vanilleschoten und rasseln mit Tonkabohnen. Aus der Ferne kann ich noch immer das Meer riechen. Ich glaube, hier kann man es, ob Mann oder Frau, jung oder alt und zu jeder Jahreszeit, gut aushalten. Himmlisch!