Die Reise in den olfaktorischen Herbst und Winter - Part 3
"Wer vermeidet, nur nach etwas Bestimmtem zu suchen, kann alles finden."
(© Lilli U. Kreßner (*1957), Schriftstellerin, Dichterin, Zeitungskolumnistin)
Meine zweite Testwoche beginnt trotz trüb-grauem Regenwetter mit guter Laune und Hundred Silent Ways Extrait de Parfum. Den hatte ich im Rahmen eines Vanille-Wanderbriefes schonmal unter der Nase. Als ich die Abfüllungen für mein Testvorhaben beschaffte, stolperte ich wieder über diesen Duft und beschloss: Der darf mit. An den Duftcharakter erinnere ich mich nicht mehr so recht, aber mit Sicherheit beinhaltet er Vanille, sonst wäre er damals wohl nicht Teil des besagten Wanderbriefes gewesen. Beim Aufsprühen weht mir sofort eine leckere Süße entgegen, voller Blumen und Früchte. Die Vanille rieche ich anfangs noch nicht explizit heraus. Für meine Nase dominieren lange Zeit die süßen Früchte. Auch als ein Kollege meint, ich würde heute vanillig riechen, würde ich das Duftwölkchen um mich herum immer noch als fruchtig-süß beschreiben. Wenig später meint er dann noch, dass der Duft recht deutlich wahrnehmbar ist und man ihn gleich riecht, wenn man in den Raum kommt. Und da gebe ich ihm, was die Präsenz des Duftes angeht, recht. Mit der Zeit merke ich nämlich selber auch immer mehr, dass meine Süßgelüste inzwischen gestillt sind. Nun könnte er sich eigentlich so langsam mal verziehen. Aber da habe ich die Haltbarkeit unterschätzt, denn er bleibt noch ein Weilchen und wir arrangieren uns. Komisch, dass ich den Duft loswerden will, obwohl er doch so schön ist… Und da kristallisiert sich für mich die Erkenntnis heraus, die ich schon des Öfteren auch bei verschiedenen anderen Düften hatte: Der Duft gefällt mir zwar sehr gut, aber viel mehr auf die Art, dass ich ihn gern an jemand anderem riechen würde. An mir fühlt er sich inzwischen irgendwie fehl am Platz an. Fast so wie ein Kleid, dass im Schaufenster ganz toll aussieht, man sich darin aber irgendwie verkleidet vorkommt und beim Blick in den Spiegel denkt: Das bin nicht ich! Und das ist ok, auch solche Düfte muss es geben. Meine Kollegin von nebenan, die Vanille auch lieber an anderen und noch viel lieber gar nicht riecht, kann ich heute sowieso nicht beeindrucken, also schaue ich erst am Nachmittag bei ihr vorbei, als mir die Vanille nur noch kleinlaut hinterherweht. Ich muss sie unbedingt fragen, was denn heute mit den Possibilities passiert ist. Sie riecht unglaublich gut, aber anders als die letzten Tage. Die Antwort: Chergui Eau de Parfum ist passiert. Den hatte ich neulich schonmal solo an ihr geschnuppert und er ist wirklich schön. Und die Layering-Kombi heute ist der Wahnsinn.
Am nächsten Morgen ist Le 68 Eau de Parfum an der Reihe. Auf den freue ich mich ja insgeheim schon, seit ich ihn gemeinsam mit By Night (White) ertauscht hatte. Beim Schnuppern am Zerstäuber vernehme ich zarte Puderblumen und weil ich es eilig habe, wird nicht lange gefackelt, sondern großzügig gesprüht. Die blumigen und pudrigen Eindrücke vertiefen sich, eine angenehme Süße vernehme ich auch und eine dezente Würze kommt hinzu. Sofort bin ich voll und ganz von dem Duft eingenommen und mag, wie ich mich mit ihm fühle. Stilvoll, klassisch und feminin. Eher erwachsen, nicht mädchenhaft. Den ganzen Vormittag überlege ich, woran mich der Duft erinnert. Er kommt mir auf eine gewisse Art bekannt vor, so als würde ich einen Duft mit ähnlichem Charakter schon kennen. Irgendwann fällt es mir dann ein: die sehr dezente Weihrauchnote in Kombination mit pudrigen Blumen und leichter Süße kenne ich von Athalia, mit dem ich schon länger liebäugle und der mir genau das gleiche Gefühl gibt. Starken Weihrauch mag ich ja nicht, aber hier gefällt mir richtig gut, wie er dezent dosiert, den beiden Düften eine gewisse Tiefe und Gemütlichkeit gibt, und sie so wunderbar herbsttauglich macht. Ich merke schnell, wie mich der Duft für sich einnimmt, wie ich mich mit ihm identifiziere, als gehört er schon immer zu mir und als hätte ich ihn schon unzählige Male getragen. Ein schönes Gefühl! Etwas verunsichert bin ich, was Haltbarkeit und Sillage anbetrifft. Immer wieder versuche ich ein Näschen voll zu erhaschen: Wenn ich mich bewege, oder wenn ein Lufthauch durchs Büro zieht. Aber schon gegen Mittag kommt da nichts mehr an, also sprühe ich nach. Ich denke nicht, dass er so schwach ist, sondern vermute eher, dass ich ihn einfach nicht so gut wahrnehmen kann oder ihn irgendwie ausblende. Als ich zum Feierabend (schon wieder) sprühe und meine Kollegin kurzdarauf aus dem Nachbarbüro tritt, riecht sie ihn schon im Gang. Auch sie findet ihn toll und nimmt ihn als pudrig und (so frisch nach dem Aufsprühen) als Statementduft wahr.
Das Bergfest dieser Woche begehe ich mit Nanshe. (Spoiler: immerhin halbtags). Aber der Reihe nach: Aus den drei für diese Woche noch bereitstehenden Düften greife ich mir heute den zweiten Nishane. Schon beim Schnuppern am Zerstäuber bin ich etwas skeptisch. Aber ich sprühe ihn trotzdem auf, allerdings nur an Handrücken und Handgelenk, sodass ich ihn notfalls ohne Duschen und Umziehen wieder loswerden könnte. Mir steigt eine frische Würze in die Nase, eine die ich so noch nie getragen habe, krautig, seifig und fast etwas scharf wirkt der Auftakt auf mich. Ich gestehe, in dem Moment wurde Abwaschen tatsächlich in Erwägung gezogen... Aber er hat seine Chance bekommen und sich einige Zeit später von seiner charmanteren Seite gezeigt. Im Herzen erkenne ich nur die Rose, die übrigen gelisteten Noten sind für mich nicht greifbar. Während ich anfangs noch dachte, dass er wohl eher ins maskuline geht, wurde er schnell immer milder und pudriger. Eine dezente Würze blieb aber dabei. Ich weiß im Laufe des Vormittags schon, dass das nicht mein Duft ist, da ich mich mit den Duftcharakter irgendwie nicht identifizieren kann. Meine Büro-Mitbewohnerin kann ihn immerhin auf gewisse Weise mit ihrer Mutti in Verbindung bringen, die vermutlich mal einen ähnlichen Duft besaß. Aber trotzdem rieche ich immer wieder mit Wohlwollen an meinem Handgelenk und freue mich, dass Nanshe ab der Herznote versöhnlicher wird. Bereitwillig halte ich dann auch meiner Kollegin von nebenan das Handgelenk hin, die zum (fast) täglichen Duft-Check vorbeischaut. Sie macht große Augen und nimmt mir verzückt den Zerstäuber ab, den ich ihr hinhalte, damit sie sich den Duft aufsprühen kann. Zwischen Chergui Eau de Parfum und Possibilities ist er auf ihrem Arm heute wieder in bester Gesellschaft. Hätte ich mir eigentlich auch gleich denken können, dass er ihr gefällt, da sie Düfte mit besonderem Charakter und Wiedererkennungswert sehr mag. Kurz nach dem Mittag mache ich mich auf den Weg zu einem wichtigen Termin. Normalerweise würde ich jetzt einfach meinen Tagesduft nachsprühen. Da Nanshe aber nicht so recht zu mir passt, krame ich nach weiteren Zerstäubern im meiner Handtasche und wähle meinen Favoriten der letzten Woche "Beyond The Wall | Gritti" für den Nachmittag aus.
Es folgt wieder ein Vanille-Donnerstag mit Vanilla Black Pepper der als Wanderbriefzugabe zu mir kam, wenn ich mich recht erinnere. Erwartungen habe ich heute eigentlich keine, da ich zuvor weder von dem Duft noch von der Marke gehört hatte. Als ich ihn aufsprühe muss ich zugeben, dass da doch eine unterbewusste Erwartung war: „Das steht Vanille drauf… ist mir bestimmt wieder zu süß... oder zu Backaroma.“ Tja, falsch gedacht, der ist nämlich richtig angenehm. Er erinnert mich ein wenig an Black Tie. Da ist die Vanille auch so leicht würzig und wunderbar cremig verpackt. Und tatsächlich: In den Diagrammen der beiden Düfte sind fast genau die gleichen Dufteindrücke vertreten - natürlich in unterschiedlichen Anteilen. Im Laufe des Vormittags bekomme ich von einer Kollegin, mit der ich nicht zu oft zu tun habe, das Kompliment, dass ich sehr gut rieche. Da ich erstmal etwas überrumpelt bin, kann ich die Frage, was das denn für ein Duft sei, gar nicht gleich beantworten. Den Namen der Marke habe ich tatsächlich schon wieder vergessen und so kann ich nur die Antwort geben: „Das ist eine Probe von Vanilla Black Pe…“ Weiter komme ich nicht, denn schon heißt es „Was? Vanille? Mag ich nicht!“ „Aber du hast doch gesagt, ich rieche gut…?“ „Ja, das liegt bestimmt an dir. An dir riecht das eben gut.“ Wir lachen beide. Aber es stimmt, ich rieche mich selbst auch gern mit dem Duft. Und trotzdem bin ich mir ziemlich schnell sicher, dass ich ihn nicht haben muss, da ich vermutlich immer viel lieber zu Black Tie greifen würde, den ich einfach noch besser finde.
Am Freitag schnappe ich mir den letzten Zerstäuber für diese Woche: Le Vestiaire - Atlas Garden. Ich platziere wieder den obligatorischen ersten Sprüher auf dem Handrücken und bin erstmal komplett überfordert. Irgendwie interessant, im positiven Sinne. Aber auch ziemlich stark. Erschlagen vom ersten Eindruck drücke ich die Handrücken aneinander, um den Duft zu verteilen. Zwei deutlich kleinere Sprüher dürfen noch auf den Stoff des Strickkleides. Heute tue ich mich schwer, den Duft zu beschreiben. Er ist schon ordentlich süß, aber auf eine trocken-pudrige, orientalische Weise. Eine dunkle, karamellige Süße. Beim Hundred Silent Ways Extrait de Parfum vom Montag kann ich mir beispielsweise richtig gut vorstellen, dass junge Mädchen diese Vanille-Frucht-Süße als lecker bezeichnen würden. Die Süße im Le Vestiaire - Atlas Garden hingegen wirkt erwachsener und hätte mir im Teenie-Alter höchstwahrscheinlich noch nicht gefallen. Den Arbeitstag verbringe ich heute nicht im Büro, sondern in einer Abteilung, wo ich mich vorm Betreten umkleiden muss. Ich habe den Duft also nur am Handrücken bei mir und trotzdem ist er überall. Er strahlt ordentlich ab und bei jeder Handbewegung verteile ich ihn mehr und mehr in meinem Umfeld und kann nur hoffen, dass sich niemand vom Duft nordafrikanischer Gärten gestört fühlt. Durchs Händewaschen geht er dann im Laufe des Vormittags größtenteils verloren. Nur eine süße Basis kann ich noch am Handrücken wahrnehmen. Mit meinem Kleid ziehe ich später am Nachmittag auch den Duft wieder an. Inzwischen ist er ein wenig heller geworden und die Orangenblüte lässt diese leichte Bubblegum-Note einfließen, die mir hier gut gefällt. Leider sehe ich heute meine die Kollegin aus dem Nachbarbüro nicht. Ich bin überzeugt, dass sie Le Vestiaire - Atlas Garden mögen würde und werde den Zerstäuber in der Handtasche lassen, um die beiden in der kommenden Woche mal miteinander bekannt zu machen.
Am Samstag entscheide ich kurzer Hand, dass es nun endlich mal Zeit ist, die beiden Narcisos zu testen, auf die ich sehr gespannt bin. Zum einen For Her Musc Noir Rose, der sich dank Lenis letztem Video in meinem Kopf als Herbstkandidat festgesetzt hat. Zum zweiten For Her Musc Noir, von dem ich von einer lieben Parfuma mit wärmsten Empfehlungen eine Abfüllung erhalten habe. Ich mache kurzen Prozess: einer links, einer rechts – die Namen sind ähnlich also werden sie vermutlich auch eine gewisse Ähnlichkeit haben und ich in Summe hoffentlich gut riechen. Tja, was soll ich sagen? Der Plan geht auf! Ich weiß gar nicht, welcher mir besser gefällt und wo ich zuerst schnuppern soll. Der For Her Musc Noir ist wunderbar cremig, pudrig und weich. Die Pflaume ist nicht dominant und das Leder macht ihn für mich total anziehend. Der passt toll in die Übergangsjahreszeiten und hat für mich sogar ein nicht von der Hand zu weisendes Immergeher-Potenzial. Der For Her Musc Noir Rose ist mit der deutlicheren Pflaume noch fruchtiger und auch süßer, vermutlich durch die Vanille. Die Rose ist eher vernachlässigbar. Der passt wirklich gut in den Herbst. Vielleicht habe ich ja eine Schwäche für Pfläumchen in Düften? Mein Liebling epidOr (2017) jedenfalls hat diese Note auch.
Am Ende dieser spannenden Duftwoche angekommen, bleibt mir Folgendes zu resümieren: Le 68 Eau de Parfum ist ein Traum. Ein Alptraum hingegen sind leider die Preise, zu denen er gehandelt wird, da er, wie ich vermute, eingestellt wurde. Tja, blöd für mich, den würde ich nämlich sehr gern in meiner Sammlung sehen. Der Le Vestiaire - Atlas Garden schafft es auf Platz zwei und weht mir auch am Sonntag immer noch fröhlich vom Strickkleid aus dem Wäschekorb entgegen. For Her Musc Noir ist schon unterwegs zu mir und auch For Her Musc Noir Rose wird wohl einziehen dürfen, wenn die Abfüllung leer ist.
Also dann, ich bin bereit für Woche drei!
Diesmal stammen die tollen Herbst-Fotografien von Joe (Jplenio) auf Pixabay.