Die Reise in den olfaktorischen Herbst und Winter - Part 2

Die Reise in den olfaktorischen Herbst und Winter - Part 2

„Auf der Suche zu bleiben, ohne zu finden, ist besser, als nur das Gefundene zu hüten.“

(aus „Gedankensprünge“ – Aphorismen, ©Ernst Reinhardt (* 1932), Schweizer Publizist und Aphoristiker)

Wir schreiben Montag den 12.09.2022 und es geht endlich los. Wie ich mich freue, in die Vielfalt aus Herbst- und Winterdüften einzutauchen! Aber der Reihe nach. Für die erste Woche habe ich einige Düfte ausgesucht, die zwar eine überwiegende Zuordnung zu den kalten Jahreszeiten haben, aber gleichzeitig mit einer gewissen Frühlingstauglichkeit aufwarten. Man könnte wohl sagen: Fast-Immergeher oder auch einfach nur Übergangsdüfte? Ich bin jedenfalls gespannt.

Das Testspektakel eröffnen darf By Night (White)By Night (White), den mir einige von euch im Forum empfohlen hatten. Nach einem großzügigen Testsprüher auf den Handrücken und kurzem Beschnuppern befinde ich ihn für ziemlich gefällig. Also dann - all in: Ein weiterer Sprüher aufs gegenüberliegende Handgelenk, und je einen auf jedes Schlüsselbein. Ich habe ja auch gar keine andere Wahl, habe ich mir doch zuvor fest vorgenommen, jeden der Düfte auch wirklich zu tragen. Na, wir werden ja noch sehen, wann ich das erste mal einknicke und passen muss… Sofort nach dem Aufsprühen nehme ich pudrige and cremige Noten wahr. Ich finde ihn weich und eher leicht, nicht zu dicht, mit leichter Süße, aber keinesfalls erdrückend oder zu gourmandig. Einzelne Noten kann ich nicht wirklich herausriechen. Die Pyramide hatte ich zwar vor einigen Wochen angeschaut, aber ich erinnere mich nicht mehr und teste gern erstmal „blind“ weiter. Ich vermute einige blumige Noten in Kopf und Herz, und Vanille in der Basis. Wenn ich ihn mit etwas mir Bekanntem vergleichen müsste, hätte ich am ehesten Assoziationen zu Tangier VanilleTangier Vanille, nur weniger warm und weniger süß, aber mit dieser Cremigkeit. Der Dufteindruck könnte auch von einer Bodylotion stammen, sodass ich mich mit dem Duft nur wohlfühlen kann. Meine Kollegin (wir sitzen im Büro ca. 2,5 Meter voneinander entfernt, Rücken an Rücken) kann ihn gut wahrnehmen und beschreibt ihn als vanillig.

Am darauffolgenden Morgen ging der Griff zu Les Signes de Grès - Extrême PuretéLes Signes de Grès - Extrême Pureté, einer weiteren Empfehlung aus dem Forum. Zunächst ein vorsichtiger Schnupperer am Zerstäuber – nichts. Also sprühen! Erstmal wieder vorsichtig auf den Handrücken. Erster Eindruck: Ok! Nicht mehr, nicht weniger. Diesmal dauert es einige Augenblicke länger, bis ich den mir entgegenströmenden Duft einordnen und gedanklich verarbeiten kann. Trotzdem entscheide ich, dass der Duft für mich in jedem Fall tragbar ist und verteile drei weitere Sprühstöße auf Handgelenk und Schultern. Auch heute schaue ich nicht in die Pyramide, sondern setze mich erstmal so mit dem Duft auseinander. Anfangs würde ich ihn als frisch bezeichnen, aber mit einer angenehmen Portion Würze. Dieser frisch-würzige Eindruck erinnert mich an Aqua Allegoria Ginger PiccanteAqua Allegoria Ginger Piccante, weshalb ich die ganze Zeit vollkommen überzeugt bin, dass da Ingwer enthalten sein muss. Weiter differenzieren oder erkennen kann ich die Noten allerdings nicht. Es folgt also der Blick in die Pyramide, und siehe da: KEIN Ingwer. Das müssen wir nochmal üben, stelle ich fest, und beschließe, das blinde Testen für den Rest der Duftreise beizubehalten. Tatsächlich enthalten sind Tabak und Zimt im Herzen. Mag sein, dass diese beiden gemeinsam mit der Bergamotte für den frisch-würzigen Eindruck zuständig sind. Ich bin von der Komposition jedenfalls schwer angetan. Schon im Laufe des Vormittags nehme ich den Duft aber leider kaum noch um mich herum wahr. Wie kann er nach so kurzer Zeit nur schon so hautnah geworden sein? Schade, etwas mehr Power hatte ich mir schon erhofft. Das gibt leider Abzüge in der B-Note!

Am Nachmittag schaut meine Kollegin aus dem Nachbarbüro vorbei und bringt ein Wölkchen PossibilitiesPossibilities mit. Den kenne ich aus einem Wanderbrief. Drei andere Perlen habe ich seither schon gesammelt und in diese habe ich mich nun - Kollegin sei Dank - auch noch verliebt. Sollte sich mal ein Schnäppchen bieten, darf dieser Duft bestimmt noch bei mir einziehen. Auf Arbeit würde ich dann aber meiner Kollegin den Vortritt lassen und ihn eher privat tragen. Aber zurück zu Les Signes de Grès - Extrême PuretéLes Signes de Grès - Extrême Pureté: Auf die Frage, was ich heute trage (sie weiß von meinem Testabenteuer) reiche ich ihr den Zerstäuber. Wenige Sekunden später wandert ihr Handrücken zur Nase und kurz darauf fallen die Worte "Ingwer" und "Aqua Allegoria". Heftig nickend stelle ich fest, dass ich damit also nicht allein bin.

Als ich am späten Nachmittag zu einem Grillabend aufbreche, trage ich deshalb gleich den Aqua Allegoria Ginger PiccanteAqua Allegoria Ginger Piccante auf, um nochmal zu vergleichen und notiere in Gedanken: weniger Würze, mehr Blume.

Am Mittwoch ist mit "Beyond The Wall | Gritti" wieder eine Empfehlung der Community an der Reihe. Ich meine gelesen zu haben, dass viele ihn ähnlich zu einem von Xerjoffs Alexandrias finden. Das im Hinterkopf und mit Respekt vor der möglichen Oud-Keule, die mich gleich treffen könnte, sprühe ich heute vorsichtshalber erstmal nur in die Luft und recke zaghaft das Näschen. Verwirrt lese ich die Beschriftung des Zerstäubers erneut. Haut schon hin, stelle ich fest. Also noch einmal Sprühen, diesmal aufs Handgelenk. Mit dem nächsten Schnuppern versinke ich in einem wahrgewordenen Pudertraum. Von Oud weit und breit keine Spur. Das kann dann wohl schonmal nicht der Grund für die Ähnlichkeit mit dem Oud-Star sein. Angenehm überrascht verteile ich weitere Sprüher auf Nacken und Dekolleté. Während der Fahrt zur Arbeit kommt mir dann auch endlich die Erleuchtung, an was mich der Duft erinnert: An die wunderbar pudrige Artemisia (Eau de Parfum)Artemisia Eau de Parfum, nur mit mehr Wärme und Tiefgang. Auch in den folgenden Stunden nehme ich eigentlich nur süß-würziges Puder war und fühle mich pude(r)lwohl. Ich vermute ihn als hautnah, was ich überdenke, nachdem meine Kollegin mir bestätigt, dass sie ihn in unserem ganzen gemeinsamen Büro deutlich wahrnimmt. Sie muss irgendwie an Weihnachten denken, da sie dezente Gewürze erkennt. Vormittags wehen auch wieder die PossibilitiesPossibilities ins Büro und bringen ein Kompliment für "Beyond The Wall | Gritti" mit. Nachdem ich genauer beschnuppert wurde, folgt die Feststellung, dass der Duft des Vortages, den sie bis abends am Handgelenk hatte, noch schöner gewesen sei. Bei mir ist es genau anders herum. Und die gute Haltbarkeit punktet heute, denn am Nachmittag rieche ich ihn immer noch um mich herum. An den Wanderbrief-Test des "Oud Stars - Alexandria II (Parfum) | XerJoff" erinnere ich mich nicht mehr im Detail, also bestelle ich mir kurzerhand im Souk eine Abfüllung, um herauszufinden zu können, was es mit der „ähnlich“-Bewertung auf sich hat.

Den Donnerstag starte ich im Homeoffice zunächst ohne Duft. Wobei das auch nur die halbe Wahrheit ist, da mir immer noch Love Don't Be Shy (Perfume)Love Don't Be Shy Perfume und Angels' ShareAngels' Share aus dem Kilian-Wanderbrieftest vom gestrigen Abend anhängen. (Daumen hoch für die Haltbarkeit der beiden Düfte). Der zweite steht ja auch noch auf meiner Herbst/Winter-Testliste, sodass ich ihn im Wanderbrief eigentlich überspringen wollte, aber die Neugier hat mal wieder gesiegt... Auf den Duft gehe ich dann also in einer der nächsten Wochen nochmal ein. Als ich mich mittags auf den Weg ins Büro machen und den Testduft des Tages aufsprühen will, liegen mir immer noch die beiden Kilians in der Nase (Daumen noch höher für die Haltbarkeit). Ich wasche mir also erstmal die Duftreste von den Handgelenken und dann Bühne frei für Vanille InsenséeVanille Insensée. So so, Weihrauch im Namen, denke ich als ich den Duftnamen auf dem Zerstäuber (zu) flüchtig lese. Bei sehr präsentem Weihrauch bin ich nämlich eigentlich schon raus. Mit Baiser de FlorenceBaiser de Florence, Leder 6 / FetischLeder 6 oder auch SquidSquid kann man mich durchaus in die Flucht schlagen. Ich sprühe die vermeintliche Weihrauch-Vanille also auf den Handrücken. Die befürchtete Beweihräucherung bleibt zu meiner Freude gänzlich aus, was sich mir beim nächsten Blick auf den Namen dann auch erschließt. Ich bin also willig, noch ein paar mehr Sprühstöße der wörtlich übersetzten "sinnlosen Vanille" (trister Name eigentlich) zu verteilen. Heute nur auf die Haut an Hals und Dekolleté, und nicht auf den Stoff, um die weiße Bluse zu schonen. Die deutlich zu erkennende Vanille ist nicht die üppigste und wärmste, die ich je gerochen habe, dennoch würde ich sie als süßlich und leicht gourmandig beschreiben. Eine etwas säuerliche Note - vermutlich eine Zitrusfrucht - meine ich wahrzunehmen, die immer wieder hinter der Vanille hervorblickt und die Süße etwas ausbalanciert. Außerdem vermute ich ein paar milde, zurückhaltende Gewürze. Im Verlauf des Tages stelle ich immer wieder fest, dass ich mir mehr Tiefe und Würze in dem Duft wünschen würde. Obwohl ich ihn eigentlich mag, balanciert er nach dem Verfliegen der Zitrik für mich schon nahe der Grenze zu den - wie ich sie gern nenne - Backaroma-Vanillen, weil die anderen Noten zu leise sind und die Vanille gourmandig-süß im Mittelpunkt steht. Ins Nachbarbüro traue ich mich deshalb heute nicht, weil ich weiß, dass Vanille dort für Kopfschmerzen sorgen kann. Aber ein Näschen voll PossibilitiesPossibilities erhasche ich trotzdem im Vorbeigehen.

Als ich abends nochmal das Haus verlasse und einen Duft dafür wähle, bleibe ich dem Tagesmotto Vanille treu und bedufte mich mit Cinéma (Eau de Parfum)Cinéma Eau de Parfum. So mag ich es im Vergleich tatsächlich lieber, wenn die Vanille noch mehr mit den anderen Noten verwoben ist und nicht einzeln hervortritt.

Den Abschluss der Arbeitswoche bildet Lumière BlancheLumière Blanche, der mittels Probentausch den Weg zu mir gefunden hat. Nicht mehr wissend, was die Pyramide des Duftes für mich bereithält, stelle ich mir den Duft von „weißem Licht“ klar, frisch oder vielleicht auch noch etwas cremig vor. Ihr wisst ja, was jetzt kommt: Der obligatorische Sprüher auf den Handrücken. Verwundert versuche ich das, was mir da entgegenströmt, mit dem Namen in Verbindung zu bringen, aber die Erleuchtung bleibt aus. Für tragbar halte ich ihn in jedem Fall, also verteile ich weitere Sprüher. Aber wie riecht er denn nun? Für meine Nase trocken-würzig, leicht cremig und etwas holzig. Ich vernehme Noten, die mich irgendwie sofort an Gris Charnel (Eau de Parfum)Gris Charnel Eau de Parfum denken lassen. Kann das sein? Den mag ich an mir ja nicht so recht, weil er auf meiner Haut nicht gut funktioniert. Nach einem prüfenden Blick in die Pyramiden stelle ich fest, dass die Schnittmenge von „weiß“ und „grau“ also Kardamom + Iris + Tonka + Sandelholz ist, und vermute, dass die Ähnlichkeit beider für mich durch diese Kombi zustande kommt. Im Verlauf kommt dann noch mehr Süße dazu, was mir gut gefällt. Etwas verwundert bin ich, dass heute niemand einen Kommentar zu meinem Duft abgibt. Ich habe da die schwache Sillage im Verdacht, da ich selber auch immer am Handrücken und meiner Strickjacke riechen muss um den Duftverlauf zu verfolgen. Ich hätte vermutlich am Morgen etwas großzügiger sprühen können.

Und schon ist sie um, die erste Woche meiner Duftreise. An den Wochenenden werde ich keine Düfte testen sondern Düfte aus meiner Sammlung tragen. Sonst werden die Berichte bloß noch länger. Aber ein wenig Zeit fürs Resümee will ich mir trotzdem nehmen: Diese Woche habe ich fünf absolut tragbare und gefällige Düfte kennengelernt. Von cremig und pudrig über süß-gourmandig bis frisch-würzig war von allem etwas dabei. Eine schöne Mischung und jeder für sich auf seine Art herbsttauglich. Mein Wochen-Favorit ist "Beyond The Wall | Gritti", mit dem ich mich einfach nur wohlgefühlt habe. Der könnte richtig gut zu mir und in meine Sammlung passen, was ich aber erst entscheide, wenn ich auch "Oud Stars - Alexandria II (Parfum) | XerJoff" noch getestet habe. Den Les Signes de Grès - Extrême PuretéLes Signes de Grès - Extrême Pureté werde ich auch im Hinterkopf behalten. Die Performance ist leider schwach, aber der Preis dafür mehr als ok. Ich bin nur meist zu faul zum Nachsprühen. Das kann ich aber dann am Ende meiner Duftreise entscheiden. Jetzt freue ich mich erstmal auf die Düfte der nächsten Woche.

Die wunderbar stimmungsvollen Herbst-Fotografien stammen übrigens von Valentin (Valiphotos) auf Pixabay. Ich finde es wunderschön, wie er die Farben des Herbstes einfängt.

Aktualisiert am 18.09.2022 - 15:10 Uhr
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