Wetterhex
Wetterhex’ Blog
vor 4 Jahren - 22.08.2020
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Die nächste Reise durchs Seniorenheim

Liebe Community,

da ihr ja beim letzten Mal so begeistert wart, nehme ich euch mal wieder mit in meinen Berufsalltag.

Ich hab eine stressige Zeit hinter und vor mir, wir hatten massiven Personalmangel, mussten teilweise wochenlang zu dritt die Arbeit schaffen, die wir sonst zu sechst machen. Drei Tage vor meinem Urlaub im Juli bekam ich die Quittung.

Wir waren zusammen in der Frühstückspause und wollten wieder zurück auf die Stationen. Zu dritt standen wir im Aufzug als ich plötzlich schwankte. Meine Kollegin J. sagte noch "was ist los?" und dann weiß ich nix mehr. Bin umgekippt.

Das erste, was ich wieder weiß ist, dass viele Menschen um mich rum waren, mich tätschelten, meinen Puls fühlten und meinen Namen riefen. Danach wurde ich vom Rettungswagen abgeholt und hab mir bei dem Sturz im Aufzug eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen.

Mir geht es inzwischen wieder gut, das Ganze war mir nur schrecklich peinlich, bin noch in der Probezeit und so kurz vor dem Urlaub schon krank geschrieben.

Einige Bewohner/innen haben das natürlich auch mitbekommen und waren entsprechend besorgt.

Einige hab ich inzwischen schon richtig ins Herz geschlossen und darüber möchte ich euch heute erzählen.

Da ist als erstes mal Herr W. Ein Kavalier der alten Schule. Gibt mir immer die Hand zum Gruß, hat nie schlechte Laune, ist sehr belesen und hat immer ein Gedichtchen oder Anekdote zur Stelle. Er war einer der Ersten, von denen ich den Namen wusste. Meine schönste Begegnung des Tages :)

Dann ist da mein besonderer Verehrer, Herr B. Früher war er mal Polizist, leider inzwischen hochgradig dement. Von ihm hab ich den ersten Handkuss meines Lebens bekommen. Wenn er mich sieht, strahlt er übers ganze Gesicht. Am liebsten würde er mal eine Liebesnacht mit mir verbringen... aber das hat er nach 2 Minuten auch wieder vergessen.

Frau H. Leberzirrhose im Endstadium. Sie ist mir so arg ans Herz gewachsen, wie eine zweite Mutter. Sie ist eine sehr herzliche, liebe Frau. Dass sie so schwer krank ist (ja ich weiß warum) tut mir sehr leid. Ich maße mir kein Urteil an, über das frühere Leben dieser Menschen. Wer ist schon frei von Fehlern.

Da sind noch so viele, die ich aufzählen könnte, aber diese drei sind ganz wichtige Personen. Unsere Bewohnerzimmer haben zwar alle Nummern, wie in einem Hotel, daneben stehen aber auch die Namen. Ich weiß von den meisten inzwischen den Namen und auf welcher Station sie wohnen, aber keine Zimmernummer. Denn es sind Menschen und keine Nummern. Wenn also die Anweisung kommt "im Zimmer Nr.xxx" muss das und das gemacht werden" kommt von mir meist "wer wohnt denn da?" Dann kommt der Name und ich weiß Bescheid.

Dann gibt es so süße, kleine Situationen, wo man mit den Leuten einfach lachen muss, wie letztens mit Frau L. Sie hat zwei Schlaganfälle hinter sich, spricht sehr langsam und geht am Rollator. Sie kam also den Flur entlang, ich geh mit meinem Putzwagen beiseite. Sagt sie zu mir "keine Sorge, ich fahr Sie nicht um, sonst muss ich ja selbst putzen"

Oder neulich im Frühstücksraum, als ein tolles Lied im Radio lief und eine Kollegin und ich dazu im Takt mit den Hüften wackelten, da haben sich die alten Herrschaften köstlich amüsiert.

Oder Frau L. und Frau A. beide begeisterte Handarbeiterinnen. Die eine häkelt, die andere strickt. Frau L. hat von mir schon Häkelvorlagen bekommen. Alte Zeitschriften, die ich selbst nicht mehr brauche, sie hat sich gefreut wie ein Kind an Weihnachten. Und Frau A. hat mir schon mehrmals angeboten, mir das Stricken zu lernen, weil ich nur häkeln kann. Ich glaub, das wär ein riesen Spaß.

Hier mal ein Knuddler, da mal eine Umarmung, Nähe die ich gerne zulasse, ich weiß ja wie es gemeint ist. Ich glaub, viele der Senioren sehen in mir eine Art Enkelin oder was weiß ich. Jedenfalls ist es immer wieder schön, genau das zu erleben und macht mir die weniger schönen Momente leichter.

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