01.10.2023 - 18:47 Uhr
Pimm
3 Rezensionen
Pimm
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Zimtsüße Lebkuchen-Myrrhe
... ist, kurz gesagt, mein Eindruck. Ehe ich darauf zurückkomme, einige Bemerkungen zu den angegebenen Duftnoten und Konzentrationen, denn das ist ein ziemliches Wirrwarr für einen so jungen Duft. Auf meiner Schachtel, der aktuellen 100BON-Webseite, archivierten Versionen derselben und 100BON-Infoblättern, die noch im Web zu finden sind, habe ich sechs (etwas) unterschiedliche Pyramiden gefunden, und Bezeichnungen „Eau de Cologne Intense“ (aktuell, grünes Etikett), „Eau de Parfum“ (Infoblätter, 2021/22?), „Concentré“ (schwarzes Etikett, vor 2022?) und schlicht „Eau“ (weißes Etikett, 2022?). Um 2021 gab es offenbar auch noch ein kurzlebiges „Eau fraîche“ mit gelbem Etikett. Letzteres hört sich so an, als müsste es tatsächlich niedriger konzentriert sein als die anderen Versionen, aber ansonsten vermute ich, dass es stets die gleiche Konzentration im (niedrigen) EdP-Bereich ist. Die INCI-Liste der Inhaltsstoffe hat nur einmal, wohl beim Wechsel vom schwarzen zum weißen Etikett, eine Änderung erfahren: Zimtalkohol wurde durch drei andere Stoffe mit „Zimt“ oder „Alkohol“ im Namen ersetzt; klingt nicht dramatisch. Man scheint vor allem an der Präsentation gefeilt zu haben. Der Namenszusatz „mystérieux“ wird inzwischen auch nicht mehr verwendet.
An Duftnoten wird Zimt neuerdings nicht mehr genannt; ich schätze, das ist bloß Teil einer asketischeren Aufmachung. Eine Kopfnote „fraîcheur“ wird mal genannt, mal nicht, unklar, was gemeint ist, dito „sous-bois“/ „Undergrowth“/ „boisé“/ „Woodland“. Die Zitrusnote wechselt zwischen Bergamotte, „Citrus“ und „citron“, also vielleicht Bergamottenöl plus X. Einklang besteht bei Patschuli, Myrrhe, Weihrauch und Tonkabohne, und meistens wird auch noch Opoponax erwähnt. Papyrus ist ein (schilfhaftes) Gras, Papyrus-Holz klingt eher nach Fantasie, und manchmal heißt es stattdessen „Amber Wood“ oder „Bois d'ambre“, einmal auch noch „Cashmere oud“. Also ein schicker Name für einen Ambra-artigen Kunst-Holzakkord? Zeitweise hieß es, die Note repräsentiere ein ätherisches Öl, aber die Angaben zu Pflanzenextrakten wirken insgesamt konfus und improvisiert.
Die Noten auf meiner Schachtel stimmen mit den aktuellen Parfumo-Noten überein, abgesehen von Moschus und Unterholz vs. Frische:
Bergamotte, Zimt, „sous-bois“/ „undergrowth“; Myrrhe, Patschuli, Papyrus-Holz; Moschus, Weihrauch, Tonkabohne.
Gekauft diesen Sommer in einem Off-Price-Store. Etikett (grün) und INCI-Liste entsprechen den Fotos auf der 100BON-Webseite, die Flüssigkeit ist bei mir goldgelb, auf den Fotos dagegen klar. Zurzeit steht dort, der Duft sei ausverkauft und bald wieder verfügbar. Der Flakon ist schlicht designt, aber sprüht sehr gut.
„100% ingredients of natural origin“, heißt es auf meiner Schachtel. Da diese 100 Prozent sogar im Namen der Marke vorkommen, möchte ich darauf etwas eingehen. Dass nicht ausschließlich (unmittelbare) Naturmaterialien verwendet werden, macht schon die Moschus-Note klar. Ist nicht gewissermaßen alles Künstliche natürlichen Ursprungs? Auf der aktuellen Webseite finde ich dazu keine Präzisierung, eine frühe archivierte Version (2017) behauptete wenig überzeugend:
“Our ingredients are natural and truly authentic, all coming from a sustainable agriculture. [...]
Our perfumes are 100% natural, without petrochemicals, without artificial colors, without any synthetic ingredients. We even use organic wheat alcohol.”
Gebräuchliche Natürlichkeits-Standards wie ISO 16128 oder COSMOS schließen wohl(?) lediglich die meisten petrochemischen Erzeugnisse aus, was bei der Parfum-Formel keine große Einschränkung bedeuten dürfte. Iso-E-Super, chemisch gewonnen aus natürlichem Myrcen, sollte z.B. erlaubt sein. Phthalate dagegen, die gerne als Vergällungs- und Lösungsmittel und Fixateure eingesetzt werden, dürften nicht drin sein. Immerhin; diese gelten als gesundheitlich nicht völlig unbedenklich. Ferner also Bioethanol, Umweltverpackung, ein Verzicht auf bestimmte Farbstoffe.
Überzeugender ist ein Bestreben, natürlich /wirkende/ Düfte zu schaffen. Aktuelle Texte zur Unternehmens-Philosophie preisen die Natur als Inspiration, die mentalen Effekte ätherischer Öle und Einfachheit in komplexen Zeiten:
“I have always been fascinated by the olfactory power of essential oil on the mind. They reconnect us to nature. I knew we had to go back to the essentials: the perfume rather than the bottles, the community rather than marketing, zero waste rather than overconsumption.” (C. Bombana, Gründer)
Andernorts: “The time of expensive, ostentatious perfume, proudly sitting on a bathroom shelf, is over! [...] We will always prefer to dream in nature than in front of the face of a famous muse. [...] [O]ur prices are fair, our labels readable, our compositions transparent, green and clean.”
Also eher keine beträchtlichen Mengen ausgewähltester Naturmaterialien (Herkunftsländer werden nicht einmal genannt), aber doch im Mittelpunkt je zwei natürliche Duftnoten. Die Auswahl dieser Hauptnoten wirkt wenig ambitioniert – naheliegender als Myrrhe und Weihrauch wäre eigentlich nur Weihrauch und Myrrhe, was immerhin Zeitbedarf, Kosten und Risiken bei der Entwicklung gesenkt haben mag. Die Originalpreise liegen schon an der Grenze zum Mittelfeld; andererseits gab's zumindest früher Nachfüllflaschen, Reisegrößen und deutliche Nachlässe.
Um endlich zu meinem Dufteindruck zu kommen: Ich rieche einen zimtigen Akkord, der sich besonders anfangs aus der Nähe überraschend intensiv ausnimmt, geradezu schrill und dadurch auch wenig natürlich. Trocken, leicht pudrig, brennend, leicht warm-würzig, aber nicht pfeffrig. Auch deutlich bitter und etwas trockenholzig. Ich tippe auf (aus Tonkadüften und -bohnen bekanntes) hochdosiertes Cumarin und bereits zu Beginn markantes phenolisch-süßes Patschuli. Auf einem Teststreifen scheint Zitrussäure den Auftakt kurzzeitig abzumildern, auf meiner Haut ist davon (wie so oft) erst bei zwei Sprühstößen ein wenig zu merken. Auf Distanz nimmt die Intensität von Zimt et al. rasch ab, vielleicht hebt sich dadurch für mich dieser Akkord von weiter reichenden gebäckhaften Noten ab: Mild-honighaft süß, trocken teigig, pudrig, aber auch etwas buttrig. In der Summe wirkt das auf mich schon ohne den Zimt wie ein weicher Lebkuchen, mit Zimt erst recht weihnachtlich und ziemlich süß, bis hin zu marzipanhaft. Mit Blick auf die teighafte Struktur, würde mich ein wenig Heliotrop(-in) nicht wundern. Ich meine auch, durchgängig etwas Labdanum zu riechen, und wohl auch Vanillin.
Und Myrrhe und Weihrauch? Eine herb-säuerliche Note, die ich von Weihrauch-, Myrrhe- und Opoponaxöl zu kennen meine, ist dabei. Die wabrige Textur der Harze dürfte den Teig auflockern: M&E wirkt nicht stickig und in der Hinsicht angenehmer als das entfernt ähnliche „Pi“ von Givenchy. Die dunkle, lakritzhafte Bittersüße von Myrrhe rieche ich nicht recht heraus. Ein dunkler Unterton, den auch Weihrauch besitzt, ist wohl dabei. Diesen kann ich auch kulinarisch als Alkohol im Lebkuchen auffassen. Im Verlauf rieche ich manchmal eine leichte kirchenhafte Nuance, aber zu einer Hauptrolle bringt es der Weihrauch nie. Mit der Zeit mäßigt sich das Zimtige, bleibt aber lange deutlich präsent. Später riecht man vielleicht den leichten, hell-süßen Aspekt der Myrrhe deutlicher.
[*] Zeichenlimit erreicht; Haltbarkeit, Sillage und Fazit folgen unten als Kommentar.
An Duftnoten wird Zimt neuerdings nicht mehr genannt; ich schätze, das ist bloß Teil einer asketischeren Aufmachung. Eine Kopfnote „fraîcheur“ wird mal genannt, mal nicht, unklar, was gemeint ist, dito „sous-bois“/ „Undergrowth“/ „boisé“/ „Woodland“. Die Zitrusnote wechselt zwischen Bergamotte, „Citrus“ und „citron“, also vielleicht Bergamottenöl plus X. Einklang besteht bei Patschuli, Myrrhe, Weihrauch und Tonkabohne, und meistens wird auch noch Opoponax erwähnt. Papyrus ist ein (schilfhaftes) Gras, Papyrus-Holz klingt eher nach Fantasie, und manchmal heißt es stattdessen „Amber Wood“ oder „Bois d'ambre“, einmal auch noch „Cashmere oud“. Also ein schicker Name für einen Ambra-artigen Kunst-Holzakkord? Zeitweise hieß es, die Note repräsentiere ein ätherisches Öl, aber die Angaben zu Pflanzenextrakten wirken insgesamt konfus und improvisiert.
Die Noten auf meiner Schachtel stimmen mit den aktuellen Parfumo-Noten überein, abgesehen von Moschus und Unterholz vs. Frische:
Bergamotte, Zimt, „sous-bois“/ „undergrowth“; Myrrhe, Patschuli, Papyrus-Holz; Moschus, Weihrauch, Tonkabohne.
Gekauft diesen Sommer in einem Off-Price-Store. Etikett (grün) und INCI-Liste entsprechen den Fotos auf der 100BON-Webseite, die Flüssigkeit ist bei mir goldgelb, auf den Fotos dagegen klar. Zurzeit steht dort, der Duft sei ausverkauft und bald wieder verfügbar. Der Flakon ist schlicht designt, aber sprüht sehr gut.
„100% ingredients of natural origin“, heißt es auf meiner Schachtel. Da diese 100 Prozent sogar im Namen der Marke vorkommen, möchte ich darauf etwas eingehen. Dass nicht ausschließlich (unmittelbare) Naturmaterialien verwendet werden, macht schon die Moschus-Note klar. Ist nicht gewissermaßen alles Künstliche natürlichen Ursprungs? Auf der aktuellen Webseite finde ich dazu keine Präzisierung, eine frühe archivierte Version (2017) behauptete wenig überzeugend:
“Our ingredients are natural and truly authentic, all coming from a sustainable agriculture. [...]
Our perfumes are 100% natural, without petrochemicals, without artificial colors, without any synthetic ingredients. We even use organic wheat alcohol.”
Gebräuchliche Natürlichkeits-Standards wie ISO 16128 oder COSMOS schließen wohl(?) lediglich die meisten petrochemischen Erzeugnisse aus, was bei der Parfum-Formel keine große Einschränkung bedeuten dürfte. Iso-E-Super, chemisch gewonnen aus natürlichem Myrcen, sollte z.B. erlaubt sein. Phthalate dagegen, die gerne als Vergällungs- und Lösungsmittel und Fixateure eingesetzt werden, dürften nicht drin sein. Immerhin; diese gelten als gesundheitlich nicht völlig unbedenklich. Ferner also Bioethanol, Umweltverpackung, ein Verzicht auf bestimmte Farbstoffe.
Überzeugender ist ein Bestreben, natürlich /wirkende/ Düfte zu schaffen. Aktuelle Texte zur Unternehmens-Philosophie preisen die Natur als Inspiration, die mentalen Effekte ätherischer Öle und Einfachheit in komplexen Zeiten:
“I have always been fascinated by the olfactory power of essential oil on the mind. They reconnect us to nature. I knew we had to go back to the essentials: the perfume rather than the bottles, the community rather than marketing, zero waste rather than overconsumption.” (C. Bombana, Gründer)
Andernorts: “The time of expensive, ostentatious perfume, proudly sitting on a bathroom shelf, is over! [...] We will always prefer to dream in nature than in front of the face of a famous muse. [...] [O]ur prices are fair, our labels readable, our compositions transparent, green and clean.”
Also eher keine beträchtlichen Mengen ausgewähltester Naturmaterialien (Herkunftsländer werden nicht einmal genannt), aber doch im Mittelpunkt je zwei natürliche Duftnoten. Die Auswahl dieser Hauptnoten wirkt wenig ambitioniert – naheliegender als Myrrhe und Weihrauch wäre eigentlich nur Weihrauch und Myrrhe, was immerhin Zeitbedarf, Kosten und Risiken bei der Entwicklung gesenkt haben mag. Die Originalpreise liegen schon an der Grenze zum Mittelfeld; andererseits gab's zumindest früher Nachfüllflaschen, Reisegrößen und deutliche Nachlässe.
Um endlich zu meinem Dufteindruck zu kommen: Ich rieche einen zimtigen Akkord, der sich besonders anfangs aus der Nähe überraschend intensiv ausnimmt, geradezu schrill und dadurch auch wenig natürlich. Trocken, leicht pudrig, brennend, leicht warm-würzig, aber nicht pfeffrig. Auch deutlich bitter und etwas trockenholzig. Ich tippe auf (aus Tonkadüften und -bohnen bekanntes) hochdosiertes Cumarin und bereits zu Beginn markantes phenolisch-süßes Patschuli. Auf einem Teststreifen scheint Zitrussäure den Auftakt kurzzeitig abzumildern, auf meiner Haut ist davon (wie so oft) erst bei zwei Sprühstößen ein wenig zu merken. Auf Distanz nimmt die Intensität von Zimt et al. rasch ab, vielleicht hebt sich dadurch für mich dieser Akkord von weiter reichenden gebäckhaften Noten ab: Mild-honighaft süß, trocken teigig, pudrig, aber auch etwas buttrig. In der Summe wirkt das auf mich schon ohne den Zimt wie ein weicher Lebkuchen, mit Zimt erst recht weihnachtlich und ziemlich süß, bis hin zu marzipanhaft. Mit Blick auf die teighafte Struktur, würde mich ein wenig Heliotrop(-in) nicht wundern. Ich meine auch, durchgängig etwas Labdanum zu riechen, und wohl auch Vanillin.
Und Myrrhe und Weihrauch? Eine herb-säuerliche Note, die ich von Weihrauch-, Myrrhe- und Opoponaxöl zu kennen meine, ist dabei. Die wabrige Textur der Harze dürfte den Teig auflockern: M&E wirkt nicht stickig und in der Hinsicht angenehmer als das entfernt ähnliche „Pi“ von Givenchy. Die dunkle, lakritzhafte Bittersüße von Myrrhe rieche ich nicht recht heraus. Ein dunkler Unterton, den auch Weihrauch besitzt, ist wohl dabei. Diesen kann ich auch kulinarisch als Alkohol im Lebkuchen auffassen. Im Verlauf rieche ich manchmal eine leichte kirchenhafte Nuance, aber zu einer Hauptrolle bringt es der Weihrauch nie. Mit der Zeit mäßigt sich das Zimtige, bleibt aber lange deutlich präsent. Später riecht man vielleicht den leichten, hell-süßen Aspekt der Myrrhe deutlicher.
[*] Zeichenlimit erreicht; Haltbarkeit, Sillage und Fazit folgen unten als Kommentar.
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