Manchmal – sehr, sehr manchmal – begegnet mir unter den vielen wunderbaren Düften, mit denen ich mich Tag für Tag umgebe, einer, der nicht einfach nur wunderbar ist, sondern ein Wunder selbst.
Der kleine Wunder ermöglicht und größere Wunder wahrscheinlich macht, mir den kindlichen Glauben daran zurückgibt, daß das Wünschen eben doch hilft und Gebete erhört werden.
Der sich nicht vordrängt, der das Rampenlicht scheut und das Laute und Schrille – und der dennoch und deshalb da ist, bei mir ist, in meinem Rücken, an meiner Seite, der mich nicht allein läßt, was auch immer kommen mag.
Ein solcher Duft ist "Silk".
Dabei wirkt er eigentlich gar nicht wie ein Zauberelixier, dieser Duft in seinem klaren, schlichten, unprätentiösen Flacon.
Glatt und rund und gefällig liegt er in der Hand, darauf wartend, seinen Inhalt mit mir zu teilen.
Draußen ist der Himmel grau, das Thermometer hat den zweistelligen Bereich noch nicht erreicht, der Wettergott scheint seinen Kalender verlegt oder den November vorgezogen zu haben – ich sprühe, ich schnuppere, ich schließe die Augen und bin im Mai.
Sanfte und zugleich strahlende Helligkeit umgibt mich, warme und doch behutsame Sonnenstrahlen kitzeln meine winterblasse Haut.
Die Luft ist klar und rein, geschwängert vom Duft der Freesien und einer leichten Fruchtsüße, die mich an Birnen denken läßt – zart und fragil wirkt das, doch nicht ätherisch, nicht transparent, nicht so, daß ich ängstlich sein muß, beim nächsten Ausatmen den ganzen Zauber zu verwehen.
Ich atme und spüre, wie sich die verkrampften Muskeln in meinem Nacken entspannen, wie sich mein Herzschlag beruhigt, wie die viel zu schnell durch meinen Kopf galoppierenden Gedankenpferde in einen ruhigen Trab verfallen – ich weiß um den schwierigen Termin, der mir bevorsteht, weiß um die zahllosen Papiere auf meinem Schreibtisch, deren leicht holziger, trockener, fast ein wenig muffiger Geruch sich unter die feinen Duftfäden webt, die mich in ein durchlässiges, durchsichtiges Gespinst heiterer Gelassenheit hüllen.
Alles Aufgeregte, Nervöse, Ängstliche und Unruhige schrumpft in sich zusammen, wird zu einem kleinen und immer kleineren Punkt, irgendwann für das bloße Auge unsichtbar.
Nur freundliche Gedanken und Gefühle haben Raum – "Silk" verbreitet eine sehr edle, dabei zugewandte und leichte Atmosphäre, die umso mehr Präsenz gewinnt, je enger sich Duft und Haut miteinander verbinden.
Etwa eine Stunde nach dem Aufsprühen nehme ich schwach ozonige Anklänge wahr, die den Eindruck luftiger Leichtigkeit unterstützen, ohne jedoch den Charakter des Duftes nachhaltig zu beeinflussen.
Meine Angstgegnerin sitzt mir nun gegenüber, jene Frau, die jede Stimmung verdunkeln, alles Gute ins Schlechte kehren, jede Hoffnung im Keim ersticken kann mit ihrer sehr speziellen Art, in der Pessimismus und Zynismus eine ungute Verbindung eingehen.
Meist fehlen mir die Worte, die Gesten, ihrem Negativismus Kontra zu bieten, verstumme ich und fühle mich klein und dumm und nutzlos.
Heute trage ich "Silk".
Heute bin ich ruhig, heute fühle ich mich sicher, heute weiß ich mich geleitet von pudriger Wärme und zurückgenommener Süße, die sich anschmiegen wie ein leichter, kaum spürbarer Chiffonschal.
"Silk" harmonisiert mein Inneres und damit mein Äußeres, überträgt sich auf die Menschen, die mit mir im Raum sind, die ein gemeinsames Ziel haben und sich nicht beirren lassen von Wenn und Aber und Zwecklos.
Nicht heute, nicht hier.
Ich sehe offene Gesichter, klare Blicke, entspannte Schultern, ein Lächeln hier und da.
Und ich weiß, daß jedes dieser Gesichter mein Spiegelbild ist.
Zwei Stunden später ist der Weg frei, ist die Landebahn erleuchtet, scheint die Sonne in den Raum.
Ein Hauch von "Silk" bleibt zurück.