N°5 1986 Eau de Parfum

Cardea
23.10.2023 - 19:37 Uhr
58
Top Rezension
8
Preis
8
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Altersweisheiten

Ihr kennt es fast alle. Düfte, die in eine Schublade gepackt werden, auf der mit großen Lettern prangt: ALTMODISCH! Gerne erweiternd beschrieben mit Worten wie „aus der Zeit gefallen“, „riecht wie meine Oma“ oder „madamig“.

Tja, genau in die Schublade habe ich irgendwann mal Chanel No. 5 gepackt und nie wieder rausgeholt. Das muss vermutlich in meinen frühen 20ern gewesen sein und alles, an was mich und vermutlich viele andere meiner Generation der Duft damals erinnerte waren alte Handtaschen vom Flohmarkt, die Großtanten beim Kaffeekränzchen und strenge Französischlehrerinnen kurz vor ihrer Pensionierung.

Seitdem ist viel geschehen. Der Horizont hat sich erweitert, Lebenserfahrung ist (hoffentlich?) dazugekommen, Familien wurden gegründet, Menschen im Leben kamen und gingen. Und gerade die, die für immer gingen und große Lücken hinterließen, lassen einen schmerzlich spüren, dass Alter kein Schimpfwort ist, sondern ein Geschenk. Dass altmodische Handtaschen, verstaubte Mäntel und die vor Jahrzehnten verurteilten und in die so bekannte Schublade gesteckten Gerüche eine Reise in die Vergangenheit und ein Blick in die Zukunft zugleich sind.

Wenn die Eltern sterben, ist man zum ersten Mal nicht mehr das Kind von jemandem. Man fühlt sich - auch wenn schon lange volljährig und mitten im Leben stehend - erstmalig völlig alleine auf der Welt.
Und so begann ich vor einer Weile, die Schublade zu öffnen und vorsichtig nachzusehen, was ich im Heute darin entdecken kann.

Nein, No.5 ist weder Erba Pura noch BR540. Er ist schönste, edle Seife im Auftakt, die irgendwann den Weg freigibt für Rose, Iris und Maiglöckchen. Und das alles eingerahmt von etwas grüner Holzigkeit, die dem Duft eine erwachsene Eleganz gibt.

Ich weiß genau, warum ich ihn damals altmodisch fand. Und doch ist er heute für mich alles andere als das: Er riecht vielmehr nach einem Zuhause und Geborgenheit. Nach einer Welt, in der alles seine Ordnung hat und eine schlechte Klausur eine der größten Katastrophen war, die man sich vorstellen konnte.

Wenn ich heute manchmal lese „Das riecht nach meiner Oma“, dann denke ich mir oft: „Irgendwann wirst du dir wünschen, dass du diesen Duft, dieses Gefühl, in Flaschen hättest abfüllen können!“.
Aber ich weiß auch wie ich war und wie es gemeint ist. Also lächle ich - und habe seit heute ein Fläschchen No.5. Um mir dieses Gefühl für einen kurzen Moment zurückzuholen.

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