27.05.2013 - 14:22 Uhr
Palonera
467 Rezensionen
Palonera
Top Rezension
14
Kellergeister oder: Ist der Ruf erst ruiniert...
Damals, als ich begann, Düfte zu beschreiben, zu umschreiben, die Geschichten festzuhalten, die sie mir erzählten, faßte ich einen Vorsatz:
Niemals wollte ich einen Verriß schreiben, niemals einen durch und durch negativen Kommentar verfassen, niemals Pech und Schwefel über einen Parfümeur und sein Werk gießen.
Dieser Vorsatz fußte auf der über Jahrzehnte gewachsenen Erfahrung, bei der ersten Begegnung mit einem Bild, einem Buch, einem Film oder eben einem Duft noch nicht über die erforderliche Reife verfügt zu haben, die es brauchte, um das Werk zu verstehen.
Wie oft habe ich ein Buch in einer Nacht verschlungen, das ich im ersten Anlauf nach wenigen Seiten gelangweilt zur Seite gelegt hatte?
Wie ratlos habe ich in meinen Zwanzigern vor Klassikern wie "Mitsouko", "Chamade", den alten Chanels und Diors gestanden, mich naserümpfend fragend, was man nur an solch altbacken müffelnden Wässerchen finden konnte?
Heute bin ich glücklich, wenn ich Schätze wie "Jicky", "Soir de Paris" oder einen Caron in meine Sammlung aufnehmen darf – heute finde ich oft den Zugang, der mir in jüngeren Jahren verwehrt blieb und den ich auch heute noch zu manchen Düften nicht finde.
Wenn dieses Unvermögen nun bei mir liegt, wie könnte ich einen von mir unverstandenen Duft und seinen Schöpfer dafür bestrafen?!
Das waren meine Gedanken damals, das sind sie im wesentlichen noch heute.
Doch zum ersten Mal bin ich nun mit einem "Parfum" konfrontiert, das es mir sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich macht, ihm etwas Gutes abzugewinnen.
Klar ist: Nicht jedes Parfum kann ich mögen, nicht jeder Duft ist für mich gemacht.
Schön auf seine Art und handwerklich ausgezeichnet kann er dennoch sein, eine Auseinandersetzung sollte mithin möglichst unabhängig von meinem persönlichen Gusto erfolgen.
Mit diesem Anspruch scheine ich jedoch an "L'Orchidée Terrible" zu scheitern.
"Kellergeister!" ist mein erster Gedanke, als ich mich einigermaßen von dem olfaktorischen Fausthieb direkt auf die Nase erholt habe, den mir der Auftakt von "L'Orchidée Terrible" verpaßt.
Ich bin ein Kind der Siebziger und in dieser Zeit war Kellergeister-Sekt der Dom Pérignon der kleinen Leute.
Keine zwei Mark hat damals die Flasche gekostet – so roch der Inhalt auch und ich vermute, viel besser wird er nicht geschmeckt haben.
Genau dieser halb vergessene Geruch springt mich von meiner besprühten Haut an, vermischt mit etwas Kratzig-Seifig-Süßlichem, das ich beim besten Willen nicht identifizieren kann – und auch nicht wirklich will, zu stark ist der Impuls, sofort und ohne Verzug mein Handgelenk mit Stahlwolle zu bearbeiten und zur Not eben zu amputieren.
Doch ich halte durch, das bin ich dem Duft (???) und mir selbst schuldig – so oft schon hat ein entsetzliches Start-up wahre Schätze verborgen, die sich nur mit ein wenig Geduld entdecken und goutieren ließen.
Ich warte, ich hoffe, ich ringe um Atem in der mich umwabernden Wolke, die sich nun peu à peu in Richtung Raum- oder WC-Spray aus den bereits erwähnten 70er Jahren bewegt.
Das tut mir nicht gut, ich verzichte vorsorglich auf jegliche Nahrungsaufnahme, befürchtend, meinen Magen andernfalls endgültig an die Grenzen seiner Toleranz zu führen.
Und ich bin froh und glücklich, daß der Mann an meiner Seite sich nichtsahnend und nichtsriechend auf seiner BMW in Richtung Korsika befindet, denn in jedem anderen Falle müßte ich mit Hausverbot rechnen.
Nach etwa zwei Stunden arbeitet sich eine deutliche Haarspraynote vor, die die Kellergeister zwar nicht völlig in die Flucht sprüht, aber doch etwas im Zaum hält.
Meine Hoffnung auf zumindest geringe Haltbarkeit schwindet – die Ausdauer der schrecklichen Orchidee ist jenseits von Gut und Böse, erst nach gut acht Stunden ist eine blumig-aldehydische, stark synthetische Basis erreicht, die eine gewisse Weichheit aufweist und den Dufteindruck zu diesem Zeitpunkt fast schon erträglich macht.
Aber eben nur fast.
Nun ist es ja mitunter so, daß Düfte, die man selbst gar nicht so toll findet, von anderen Menschen als ganz wunderbar empfunden werden – zuletzt erlebt mit "Chocolate Bite", für das ich so viele Komplimente bekommen habe wie für kaum einen anderen Duft.
Mit diesem Gedanken im Kopf – man will ja fair sein! – beschließe ich, "L'Orchidée Terrible" heute noch einmal aufzulegen und im Unterricht zu tragen, um zu sehen, wie Lehrgangsteilnehmer und Kollegen darauf reagieren würden.
Oje.
Keine gute Idee.
"Kommst du gerade vom Sektfrühstück?" begrüßt mich meine Kollegin, als ich nach einem gut halbstündigen Fußweg durch Sonne und Wind ihr Büro betrete.
"Äh – nein, das ist mein heutiges Parfum!"
Hochgezogene Augenbrauen und eine skeptische Musterung sind die Folge – und die Frage, ob es mir denn auch wirklich gut ginge.
Wenige Minuten später auf dem Weg in den Klassenraum: "Gestern lange gefeiert?" grinst mich ein Teilnehmer an, der aus meinem Kielwasser an meine Seite aufholt.
Mit einem inneren Seufzen verzichte ich auf die Erklärung, die ohnehin niemand glaubt – und jetzt darf ich darüber nachdenken, wie ich meinen Ruf wieder in Ordnung bringe!
Niemals wollte ich einen Verriß schreiben, niemals einen durch und durch negativen Kommentar verfassen, niemals Pech und Schwefel über einen Parfümeur und sein Werk gießen.
Dieser Vorsatz fußte auf der über Jahrzehnte gewachsenen Erfahrung, bei der ersten Begegnung mit einem Bild, einem Buch, einem Film oder eben einem Duft noch nicht über die erforderliche Reife verfügt zu haben, die es brauchte, um das Werk zu verstehen.
Wie oft habe ich ein Buch in einer Nacht verschlungen, das ich im ersten Anlauf nach wenigen Seiten gelangweilt zur Seite gelegt hatte?
Wie ratlos habe ich in meinen Zwanzigern vor Klassikern wie "Mitsouko", "Chamade", den alten Chanels und Diors gestanden, mich naserümpfend fragend, was man nur an solch altbacken müffelnden Wässerchen finden konnte?
Heute bin ich glücklich, wenn ich Schätze wie "Jicky", "Soir de Paris" oder einen Caron in meine Sammlung aufnehmen darf – heute finde ich oft den Zugang, der mir in jüngeren Jahren verwehrt blieb und den ich auch heute noch zu manchen Düften nicht finde.
Wenn dieses Unvermögen nun bei mir liegt, wie könnte ich einen von mir unverstandenen Duft und seinen Schöpfer dafür bestrafen?!
Das waren meine Gedanken damals, das sind sie im wesentlichen noch heute.
Doch zum ersten Mal bin ich nun mit einem "Parfum" konfrontiert, das es mir sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich macht, ihm etwas Gutes abzugewinnen.
Klar ist: Nicht jedes Parfum kann ich mögen, nicht jeder Duft ist für mich gemacht.
Schön auf seine Art und handwerklich ausgezeichnet kann er dennoch sein, eine Auseinandersetzung sollte mithin möglichst unabhängig von meinem persönlichen Gusto erfolgen.
Mit diesem Anspruch scheine ich jedoch an "L'Orchidée Terrible" zu scheitern.
"Kellergeister!" ist mein erster Gedanke, als ich mich einigermaßen von dem olfaktorischen Fausthieb direkt auf die Nase erholt habe, den mir der Auftakt von "L'Orchidée Terrible" verpaßt.
Ich bin ein Kind der Siebziger und in dieser Zeit war Kellergeister-Sekt der Dom Pérignon der kleinen Leute.
Keine zwei Mark hat damals die Flasche gekostet – so roch der Inhalt auch und ich vermute, viel besser wird er nicht geschmeckt haben.
Genau dieser halb vergessene Geruch springt mich von meiner besprühten Haut an, vermischt mit etwas Kratzig-Seifig-Süßlichem, das ich beim besten Willen nicht identifizieren kann – und auch nicht wirklich will, zu stark ist der Impuls, sofort und ohne Verzug mein Handgelenk mit Stahlwolle zu bearbeiten und zur Not eben zu amputieren.
Doch ich halte durch, das bin ich dem Duft (???) und mir selbst schuldig – so oft schon hat ein entsetzliches Start-up wahre Schätze verborgen, die sich nur mit ein wenig Geduld entdecken und goutieren ließen.
Ich warte, ich hoffe, ich ringe um Atem in der mich umwabernden Wolke, die sich nun peu à peu in Richtung Raum- oder WC-Spray aus den bereits erwähnten 70er Jahren bewegt.
Das tut mir nicht gut, ich verzichte vorsorglich auf jegliche Nahrungsaufnahme, befürchtend, meinen Magen andernfalls endgültig an die Grenzen seiner Toleranz zu führen.
Und ich bin froh und glücklich, daß der Mann an meiner Seite sich nichtsahnend und nichtsriechend auf seiner BMW in Richtung Korsika befindet, denn in jedem anderen Falle müßte ich mit Hausverbot rechnen.
Nach etwa zwei Stunden arbeitet sich eine deutliche Haarspraynote vor, die die Kellergeister zwar nicht völlig in die Flucht sprüht, aber doch etwas im Zaum hält.
Meine Hoffnung auf zumindest geringe Haltbarkeit schwindet – die Ausdauer der schrecklichen Orchidee ist jenseits von Gut und Böse, erst nach gut acht Stunden ist eine blumig-aldehydische, stark synthetische Basis erreicht, die eine gewisse Weichheit aufweist und den Dufteindruck zu diesem Zeitpunkt fast schon erträglich macht.
Aber eben nur fast.
Nun ist es ja mitunter so, daß Düfte, die man selbst gar nicht so toll findet, von anderen Menschen als ganz wunderbar empfunden werden – zuletzt erlebt mit "Chocolate Bite", für das ich so viele Komplimente bekommen habe wie für kaum einen anderen Duft.
Mit diesem Gedanken im Kopf – man will ja fair sein! – beschließe ich, "L'Orchidée Terrible" heute noch einmal aufzulegen und im Unterricht zu tragen, um zu sehen, wie Lehrgangsteilnehmer und Kollegen darauf reagieren würden.
Oje.
Keine gute Idee.
"Kommst du gerade vom Sektfrühstück?" begrüßt mich meine Kollegin, als ich nach einem gut halbstündigen Fußweg durch Sonne und Wind ihr Büro betrete.
"Äh – nein, das ist mein heutiges Parfum!"
Hochgezogene Augenbrauen und eine skeptische Musterung sind die Folge – und die Frage, ob es mir denn auch wirklich gut ginge.
Wenige Minuten später auf dem Weg in den Klassenraum: "Gestern lange gefeiert?" grinst mich ein Teilnehmer an, der aus meinem Kielwasser an meine Seite aufholt.
Mit einem inneren Seufzen verzichte ich auf die Erklärung, die ohnehin niemand glaubt – und jetzt darf ich darüber nachdenken, wie ich meinen Ruf wieder in Ordnung bringe!
10 Antworten