Apicius
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Wo ist hier der Priester?
Mr. Morris scheint dem Katholizismus nicht sehr verbunden zu sein, denn an eine mittelalterliche oder auch moderne Kathedrale erinnert bei diesem typischen Neil Morris Duft sehr wenig. Ich rieche einen dieser sehr einheitlichen, geradlinigen, dunklen, warmen, weichen Zusammenstellungen, die Mr. Morris so gut kann. Wie schon Fetish ist auch Cathedral so komponiert, dass es nicht ganz leicht ist, einzelne Bestandteile insbesondere in der Basis zu finden.
Am Anfang riecht man vor allem eine sehr befremdliche Gourmand Note, die an Trockenfrüchte denken lässt. Schwarzer Pfeffer ist nachvollziehbar, beim grünen Tee weiß ich selber nicht recht, wie das riechen soll. Dann kommt irgendetwas sehr Süßes, wie Honig. Ich weiß nicht, was das in der Kirche zu suchen hat. Jedenfalls denke ich, dass dieser Eindruck zu einem Teil auf das florale Herz zurückgeht, zum anderen werden uns hier Noten vorenthalten. Könnte da vielleicht etwas Osmanthusblüte sein? Oder Pflaumenblüte? Für mich ist die unvollständige Pyramide unverständlich, denn das ist alles ziemlich wesentlich für den Duft.
Was dann kommt, ist schwer zu beschreiben. Ich rieche etwas Rauch, vielleicht auch etwas Leder; ansonsten muss ich passen. Wieder ist alles rund und schön integriert. Der Grundton ist und bleibt warm und sonnig, aber eine schon herbstliche Sonne, die man auf einer Bank – die vielleicht in einem Klostergarten steht – genießt.
Was es nicht gibt, sei auch erwähnt: finstere, hohe, gotische Gewölbe, Mönche, die einen gregorianischen Gesang anstimmen, Weihrauchschwaden. Gerade vom Weihrauch merke ich nix. Wer eine Aternative zu Etros Messe de Minuit sucht, wird hier nicht fündig. Vielleicht ist diese Kathedrale gar nicht katholisch, sondern der protzige Glaspalast einer US-amerikanischen Fernsehkirche.
Ich finde Cathedral nicht schlecht, aber es ist second best. Es wirkt auf mich wie ein Querschnitt vieler anderer Neil Morris Parfums, insbesondere kommt es mir mit dem Fruchtaroma und dem nur sehr leicht vorhandenen Rauch wie eine zahme Version von Burnt Amber vor. Ein ganz großer Wurf - wie vor allem Fetish – ist es auf keinen Fall.