Au Coeur du Désert von Tauer Perfumes

Au Coeur du Désert 2016

Ttfortwo
13.12.2019 - 11:18 Uhr
44
Top Rezension
9Duft 9Haltbarkeit 10Sillage

Tauers Wüstenplanet

Der erste Test von “Au Coeur du Désert“ – und zwar gleich unter Echtbedingungen im (Großraum-) Büro. Was meine Kollegen betrifft: Mir fehlt da gerade ein bißchen das Mitleid, denn normalerweise arbeite ich Freitags nicht, wegen krankheitender und urlaubender Kollegen nun aber doch und die anderen sollen natürlich auch leiden, wenn ich es schon tun muss. Also: Kein Pardon, kein empathisch ausgesuchter Büroduft, sanft und zurückhaltend, nein, heute lasse ich es krachen. No risk – no fun. Tauers Wüstenplanet.

Gerade im Moment bin ich tatsächlich über den heute morgen beim Auftragen noch vorhandenen Restskrupel froh und darüber, daß ich nur einen einzigen, eher vorsichtigen Spühstoß Richtung Hals, Halstuch und Pullover-Saum abgegeben habe. Das Ganze ist jetzt, während ich diese Worte schreibe, fast eine Stunde her und ich sitze hier in einer gigantischen Duftwolke. Eine Projektion, groß wie die Namib.

Dies ist ganz sicher einer der eigenwilligsten Düfte, die ich, die Freundin alter Parfumkunst mit klassischen Signaturen, besitze und auch der, der mit deren altehrwürdigen Prinzipien am meisten bricht. Es ist weniger ein Parfum als eine epische Erzählung.

Halbwegs verbindlich der tradierten Idee einer Kopfnote folgend duftet das „Wüstenherz“ nur in der Eröffnung: Ein bißchen floral, mit einem Hauch Pflanzensaft und –stengel und einer zarten bitteren Süße. Es erzählt von einer Oase, von einer Rose, von ihrem Duft, von dem Geruch von heißem Fels, heißem Sand, befeuchtet zum Zwecke der Abkühlung. Von Harzen und von bittersüßem Honig, gesammelt von kleinen wilden Bienen.

Noch ist es nicht heiß, die Morgensonne malt lange Schatten.

Das Erzähltempo ist langsam. Ganz allmählich, Schritt für Schritt, wandere ich mit dem Erzähler weiter, wir lassen die letzten bewässerten Felder zurück und auch den letzten Schatten. Es wird wärmer, dann es wird heiß. Er erzählt mir von wilder Schönheit, von den Scherenschnittlinien des Horizonts in der Ferne, von violett schimmernden Bergflanken, vom Tanz der Hitzeluft über Ocker, über Dunkelorange, über Violett, über Blutrot und über allen Schattierungen von Braun, von Licht, das so hell ist, daß es schwarz wirkt. Wir betrachten Steinlinien, mineralisch-ölig schimmernd, Feldspatglimmer. Stachelbewehrte harzig duftende Pflanzenhelden, Überleberer im Nichts. Trockenes Holz mit falber Farbe und seidigem Schimmer, wer weiß schon, wie alt es ist.

Wir wandern. Die Zeit aber steht still.

Etwa drei Stunden nach dem Auftragen scheint auch der Duft zum Stillstand gekommen zu sein. Die Sonne steht noch hoch, die Farben sind verblasst, verdörrt in der Hitze. Ich rieche staubig-salbiges Ambergris und mineralische Sandsteinnoten, trockenwarme Harze mit subtiler Süße. Ich rieche warme Hölzer und trockene Erde. Es riecht gut, der Duft mag mich, ist freundlich zu mir. Auf der Haut zartsüßwarmpudrig – auf der Kleidung eher staubigwarmmineralisch. Eigen und schön. Die Präsenz ist immer noch enorm, mühelos füllt der Duft bei jedem Atemzug meine Nase, bei jeder kleinen Bewegung pufft ein helles Wölkchen auf, mit matter Textur und warmer salbiger Duftfarbe.

Noch einmal viele Stunden später sitzen der Erzähler und ich auf einem Felsen, wir sind müde, der Tag war lang. Der Erzähler ist fast verstummt, er spricht nur noch wenig und mit leiser Stimme, aber es braucht auch keine Worte mehr. Wir sind vertraut geworden auf der gemeinsamen Wegstrecke, viele Worte sind jetzt nicht mehr nötig. Bald wird die Sonne untergehen und es wird kalt werden. Ich lege mir ein Tuch um, stehe auf und gehe.

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Zuguterletzt: Der Hardcore-Test im Großraumbüro ist nicht schiefgegangen. Niemand hat einen großem Bogen um mich gemacht oder sich in meiner Nähe - wie zufällig - ständig mit der Hand die Nase gerieben. Allerdings hat sich auch niemand enthusiastisch über meinen Tagesduft geäußert. Ich denke, für mich es ist doch ein Vitrinenduft. Kostbar und gern gerochen, aber am Ende doch nicht getragen.

Die Haltbarkeit ist außergewöhnlich und die Sillage in der ersten Stunde gigantisch, danach noch für viele Stunden deutlich.
21 Antworten
FoxearFoxear vor 5 Jahren
Der klingt spannend.. Und den so mir nichts dir nichts im Büro zu testen ist schon gewagt- aber darin liegt doch das Abenteuer :)
UnterholzUnterholz vor 6 Jahren
1
Epischer Kommentar, plastischer Beschrieb... die Tauers machen es einem nie einfach. Schwierig zu tragen, schlagen sie doch zarte Haken ins Gehirn und man kehrt immer wieder gerne mit einer gewissen Nostalgie zurück...
StanzeStanze vor 6 Jahren
Sehr schön geschrieben. Für mich ist es auch ein Vitrinenduft.
PaloneraPalonera vor 6 Jahren
Wie sehr gern wäre ich mit Dir gewandert. Vielleicht nicht gerade ins Büro, aber zur Not auch dorthin. Andy würde diesen Kommentar sehr lieben.
RuesselchenRuesselchen vor 6 Jahren
Einfach toll: ich muss dringend nach einer Probe suchen ...
Danke!
SerenissimaSerenissima vor 6 Jahren
Wunderschöne Worte zu einem eindrucksvollen Duft: ich mag ihn ja sehr. Und doch ziehe ich Tauers N° 2 immer wieder vor: marokkanische Wüste lockt mich sehr, das Wüstenherz nur ab und zu!
Ein "Wüstensand-Pokal" für Dich?
Kannst Du ihn wohl gebrauchen?
AolaniAolani vor 6 Jahren
Bin sehr gerne mitgereist und nüchtern im Büro aufgewacht...
Dein Kommi macht mich neugierig auf den Duft!
VerbenaVerbena vor 6 Jahren
Ganz wunderbar! Ich kredenze einen Namib-Pokal. Aber lass diese unglaubliche Schönheit doch bitte nicht in der Vitrine verdorren! ;)
PlutoPluto vor 6 Jahren
Kenn ihn doch, ich fand ihn schön, aber doch sehr ähnlich zur No. 02. Schön, dass du so begeistert bist!
SiebenkäsSiebenkäs vor 6 Jahren
Wunderbar intensives, sinnliches und auch poetisches Wüstenerlebnis - und das mitten im Großraumbüro. Großartig geschildert und schwer neugierig machend...
FvSpeeFvSpee vor 6 Jahren
Die Vor-Replikanten irren natürlich nicht: Ein wüst großer Kommentar. Du kannst es. Andere Sache: 195 (!) beduinische Besitzer hat das Ding hier??? Ist Tauer jetzt Mainstream? Oder sind bei Parfumo ausschließlich wohlhabende Nischenbewohner angemeldet?
GelisGelis vor 6 Jahren
Sehr schön geschrieben, sehr gern gelesen. Aber wohl eher nichts für mich. Tauer + ich hat bisher nicht funktioniert.
RobGordonRobGordon vor 6 Jahren
wunderbar eingefangen.
Melisse2Melisse2 vor 6 Jahren
Was für ein gut formulierter und locker geschriebener Kommentar zum Schmunzeln. Die Duftbeschreibung hat mir auch sehr gefallen. Au Coeur du Desèrt ist bei mir schon lange zum Testen vorgemerkt. Tauer N. 2 würde bei mir nämlich nicht in der Vitrine verstauben, den mag ich.
Can777Can777 vor 6 Jahren
Oh,ja...der hat schon Wumms. Aber bei mir war das kein Vitrinenduft. Der wurde fast täglich ausgeführt!..;)
MeggiMeggi vor 6 Jahren
1
Ich finde das sogar sehr rücksichtsvoll, den Kollegen sowas Besonderes zu präsentieren.
FortisFortis vor 6 Jahren
Duftgeschichten, welche das Leben schreibt. Astrein, danke Dir.
3 Pokale wert, geht aber nicht :-)
SchatzSucherSchatzSucher vor 6 Jahren
Der Kommentar ist großartig! Beim Duft bin ich allerdings zaghaft. Die paar kläglichen Versuche von Andy, mich auf seine Seite zu ziehen, scheiterten grandios... Nach dem Tauer für mich suche ich noch. Vielleicht gibt es ihn auch nicht, wer weiß...
PollitaPollita vor 6 Jahren
Das habe ich sehr gern gelesen. Vielleicht sollte auch ich mich näher mit den Tauers beschäftigen:)
Edda32Edda32 vor 6 Jahren
Das alles, alles stimmt!
KonsalikKonsalik vor 6 Jahren
Ich schätze ein langsames Erzähltempo sehr und auch diese Rezension wurde mir nie lang. Danke dafür! Die Tauers scheinen interessant, auch wenn der eine von mir getestete Tauer wenig überzeugend war.