Serenissima
Top Rezension
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eine wohlduftende, aber nicht unbedingt notwendige Schweinerei
Es gibt Tage, an denen sollte man gar nicht erst versuchen irgendetwas zu planen: es kommt immer etwas dazwischen!
So war es auch bei mir: schon morgens wollte nichts klappen!
Aber diesmal war die Überraschung schon erfreulich - allerdings mit einem etwas ungewollten Ende.
Als das Telefon klingelte, hatte ich erst so gar keine Lust, darauf zu reagieren. Die Mobilfunknummer kam mir nicht bekannt vor; also ließ ich es darauf ankommen.
Nachdem sich der Anrufbeantworter einschaltete, plapperte es gleich schnell und laut los: "Oh, Du bist nicht da! Ich dachte wir könnten ..."
Es war meine faszinierende italienische "Duft-Bekanntschaft", die ich in dem Moment erlöste: ich nahm das Gespräch an.
Wie bereits erwähnt, ist das eine ausgesprochen smarte Geschäftsfrau, die ständig durch Europa jettet und wieder einmal kurz in der Stadt war - natürlich "in Business"!
Sie wollte weiter nach Hamburg; dort gibt es einen "Tesoro", über den sie sich ausschweigt, dessen Erwähnung allerdings ihre Augen glänzen lässt. Es sei ihr gegönnt!
So folgte ich ihrem "Ruf", takelte mich auf und fuhr zum Hauptbahnhof.
Wir hatten eine gute Stunde Zeit, bis ihr Zug abfuhr und nutzten diese natürlich auf typisch weibliche Art: wir plauderten lebhaft, aßen eine Kleinigkeit und tranken natürlich auch etwas!
Wie immer musste ich eine gewisse Anfangsscheu überwinden: diese Frau ist ein "Eye-Catcher" und ich war mir in den ersten Momenten ihrer Gegenwart meiner eigenen, recht erschöpften Erscheinung sehr bewusst.
Sie sah auch wieder umwerfend aus; noch großartiger war allerdings der Muster-Flacon, den sie aus ihrer großen Tasche zauberte oder besser "wühlte": "Blue Tea" von "The Merchant of Venice"!
Erst Anfang Oktober lanciert und doch schon in ihrem Besitz! Wow!
Allein schon der Flacon in seiner schönen Murano-Form ist außergewöhnlich.
Statt des immer sehr geschmackvollen farbigen Musters, trägt er diesmal eine asiatische Impression: feiner Federstrich im Blau auf weißem Grund. Der Eindruck zarten chinesischen Porzellans ist hier wohl gewollt.
Auch der tiefrote Deckel und die passende Quaste unterstreichen den fernöstlichen Eindruck.
(Dieser Quaste sieht man allerdings an, dass sie nicht erst seit gestern in der großen Handtasche ist: sie ist schon etwas zersaust.)
Nun hatte ich aus unserem letzten Zusammentreffen gelernt und einen meiner leeren Mini-Zerstäuber eingesteckt. Nur "Hautduft satt" war mir diesmal zu wenig. Aber es kam anders.
Sie füllte mir nach dem ersten Test etwas vom Duft ab; ich war natürlich stolz!
Stolz, bis ich auf dem Heimweg bemerkte, dass ich in meinem Eifer und unter dem Schwatzen, diesen kleinen Zerstäuber wohl nicht ganz geschlossen hatte.
Ein großer Teil "Blue Tea" war schon ausgelaufen, als ich unterwegs nach meinen Schlüsseln suchte, und sitzt jetzt im Futter der schwarzen Leder-Handtasche - hurra!
"Ach Herzele: das hast Du aber wieder sehr fein gemacht!"
Das wäre nicht nötig gewesen und tut weder der Tasche, noch dem Duft gut!
Eigentlich wollte ich ja mehr als "dreieinhalb Tröpfchen" an mir testen!
Aber jetzt zum Duft:
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Venezianer Parfum-Meister auch hier wieder in die Geschichts-Truhe der Stadt griffen: die Seefahrer und Händler sind bei ihnen noch heute präsent und lassen grüßen!
Schon Marco Polo soll den ersten "Blue Tea" von seiner großen Asienreise mitgebracht haben.
Dieser Tee trägt im Handel den Namen "Butterfly Pea Flower Tea", ist koffeinfrei und soll deshalb sehr beliebt sein. Natürlich auch seiner blauen Farbe wegen. Er ist also "a bit sophisticated"!
Gar keine Frage: ich werde ihn auch als Getränk testen.
Die Eröffnung ist überraschend erdig-würzig; wobei ich eine feine, aber deutliche Muskatnuss-Note wahrnehme.
Nun mag ich das Aroma der Muskatnuss; die Reibe ist bei mir im regelmäßigen Gebrauch - Nuss um Nuss muss daran glauben.
Der Weg führt zu einem Herzen, das deutlich zur fernöstlichen Duftrichtung tendiert: eine schöne Rose ("The Merchant of Venice" hat mit seinen Rosendüften ein glückliches Händchen) wird hier begleitet vom zarten Zauber der Magnolienblüte.
Es ist erstaunlich, wie sie miteinander harmonieren - die Rose dominiert hier einmal nicht!
Neroli, der Seelenschmeichler, vollendet eine zärtlich-blumige Herznote.
Sie scheint auch ein wenig an der Muskatnuss-Reibe entlang geschlichen sein: alles passt hier sehr anmutig zusammen!
Vetiver ist so dosiert, dass dieser gesamte Duft auf einem dunkel erdig-moosigen Grund steht.
Erst im späteren Duftverlauf zeigt sich bei mir der Moschus.
Nun bin ich bekanntlich "kaltblütig": bis ich einen Duft zu seiner vollen Schönheit erblühen lasse, kann schon einige Zeit vergehen.
Es kommt eben leider auch vor (wie z.B. bei "Opium"), dass ich einen eigenen Duft kreiere - es fehlt die Körperwärme, um das Ergebnis, das den Duft-Kreateuren vorschwebt, zu erreichen!
So sind meine Duft-Erlebnisse nie allgemeingültig, sondern sehr persönlich; dadurch manchmal auch recht speziell!
"Blue Tea" entwickelt sich bei mir sehr harmonisch; er wirkt recht fragile - erinnert an die asiatischen Tuschezeichnungen!
Eine sehr ansprechende Eleganz zeichnet diesen Duft aus. Deshalb passt er wohl so gut zu meiner "Duft-Bekannten".
Bei ihr entwickelt sich übrigens die Moschusnote stärker; "Blue Tea" wird bei ihr im Finale sinnlicher!
Die einzelnen Duftnoten verwischen sich wie die noch frischen Farben eines Aquarells; bei mir sind sie klarer, akzentuierter!
"The Merchant of Venice" ist dafür bekannt, dass die Düfte nicht jeder Nase zusagen.
Eine allzu lange Haltbarkeit darf man auch von "Blue Tea" nicht erwarten.
(Ich hoffe, dass gilt auch für das Futter meiner Handtasche.)
Es hat sich aber gelohnt, diesen Anruf doch entgegenzunehmen.
"Blue Tea" ist eine sehr schöne Duft-Erfahrung, wird aber von mir nicht gekauft werden.
Bei mir überwiegt wohl Italien gegenüber dem fernöstlichen Charme.
So ganz passt das Duft-Mäntelchen nicht, auch wenn es sehr reizvoll und exclusiv ist.
Aber auch dieser Duft ist ein Kennenlernen wert und er wird auch seine Liebhaber finden.
"Blue Tea" ist mit Sicherheit ein stilvoller Begleiter durch den ganzen Tag.