Adan
Adans Blog
vor 12 Jahren - 28.02.2014
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Adaptation aka. "olfactory fatigue"

Da ich immer wieder hier lese "Mein Duft verfliegt so schnell!" oder "Ich kann ihn nach 30 Minuten nicht mehr riechen!", dachte ich mir, ich krame mal eine alte Zusammenfassung von mir aus, die ich damals zur Sinnesphysiologie Vorlesung verfasst habe.

Wir Menschen besitzen grob 400 Gene, die für Riechrezeptoren codieren. Um mit diesen ca. 400 Rezeptoren eine schiere Unendlichkeit an Riechstoffen zu erkennen, wird vermutet, dass unser Gehirn mit einer Mustererkennung arbeitet: ein Riechstoff steuert eine bestimmte Kombination an Rezeptoren an und dieses "Muster" kann unser Gehirn auswerten. Dies bedeutet allerdings auch, dass ein Parfum, welches aus mehreren hunderten Riechstoffen besteht, immer eine große Zahl an Rezeptoren ansteuert und unser Gehirn sehr viele Stimuli verarbeiten muss. Und manchmal überreizt man das Hirn damit und es gibt Kopfschmerzen, Schwindel oder auch Übelkeit. Adaptation, also die Anpassung der Nase an verschiedene Gerüche, ist ein natürlicher Mechanismus, um diese Überreizung zu vermeiden - und um die Nase akkurat zu halten.

Um die Ursachen der Adaptation zu verstehen, muss man das Wirkprinzip bzw. die Signaltransduktion der Nase kennen: Riechrezeptoren gehören zur Familie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren. Bindet nun ein Riechstoff an einen entsprechenden Rezeptor, wird eine Untereinheit des G-Proteins "losgelöst" und kann ein Enzym aktivieren, die Adenylatzyklase, welche ATP (adenosin-triphosphat, den universellen Energieträger in unserem Körper) in cAMP (zyklisches adenosinmonophosphat, d.h. es werden 2 Phosphatgruppen abgespalten und AMP wird in ein ringförmiges Molekül umgewandelt, deswegen "zyklisch") spaltet. Dieses cAMP kann nun Kationenkanäle öffnen, durch welche Natrium- und Calciumionen einströmen. Dadurch entstehen die Aktionspotenziale, also die elektrischen Signale, welche ans Hirn weitergeleitet werden.

Hier setzt auch der Gewöhnungsprozess ein: der Calcium-Einstrom aktiviert über Calmodulin die Phosphodiesterase, welche cAMP zu AMP linearisiert, d.h. sie bricht den Ringschluss des cAMP auf. Dadurch wiederum werden längerfristig auch die Kationenkanäle inaktiviert und es erfolgt keine Signalweiterleitung mehr. Kurz gesagt erzeugt der Kationeneinstrom nicht nur die elektrischen Signale, sondern hemmt die Signalweiterleitung langfristig, man erhält also eine negative Rückkopplung.

Und genau deswegen riechen wir viele Sachen nach einiger Zeit nicht mehr. Das einzige, was dann noch hilft ist ein stärkerer Stimulus (d.h. man erhöht die Duftstoffkonzentration nochmals und rekrutiert damit noch mehr Rezeptoren, in denen die Phosphodiesterase noch nicht aktiviert ist z.B.) oder eben warten, bis die Phosphodiesterase durch Abtransport des Calciums wieder inaktiv ist und sich der ATP-Haushalt der Rezeptoren wieder erholt hat.

Dieser Mechanismus dient dazu, das Hirn vor einer Dauerreizung zu schützen und die Nase "frei" für andere Gerüche zu machen. Dieser Mechanismus funktioniert teilweise auch sehr langfristig, niemand weiß, wie seine eigene Wohnung riecht oder ist verleitet, sein Parfum großzügiger zu sprühen, wenn man es schon 2 Wochen am Stück getragen hat.

Und genau deswegen rotiere ich gerne, weil sich die Nase nicht richtig an einen Duft gewöhnt. Weiterhin ist es also auch besser, Freunde oder Bekannte zu fragen, ob das Parfum, das man gerade trägt, noch wahrnehmbar ist, denn die eigene Nase ist da sehr trügerisch. So... ich hoffe, dass dieser kleine Eintrag für manche Leute spannend sein könnte. Falls ihr es schafft, damit Leute auf Parties zu beeindrucken, lasst es mich wissen! ;)

29 Antworten
CptGreybeardCptGreybeard vor 9 Monaten
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Auf Parties beeindrucken möchte und werde ich niemanden damit.
Aber ich bin froh, dass ich dank dieses Hinweises nunmehr wissenschaftlich erklärt bekommen habe, warum man mit der Dosierung von Duftstoffen sehr zurückhaltend sein sollte, um nicht wegen "abgeschalteter Geruchswahrnehmung" überzudosieren, nach dem Motto "Ich rieche nichts vom eigenen Parfüm."
Daher vielen Dank für diese ausgezeichnete wissenschaftliche Erklärung!
DuftsuchtDuftsucht vor 7 Jahren
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Gerade entdeckt, weil ich deinen sachlichen Blog über die Haltbarkeit von Düften so interessant fand. Und auch hier: Mehr solche Artikel fände ich super! Sehr sehr spannend!
AnetholAnethol vor 7 Jahren
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Bin gerade nach Jahren mal wieder über dein Profil gestolpert und habe dann diesen Beitrag hier gefunden - sehr informativ! Ich werde ihn mir für die nächsten Parties merken ;)
FittleworthFittleworth vor 7 Jahren
Sehr spannend und sehr informativ! Danke!
StanzeStanze vor 7 Jahren
Sehr informativ und hilfreich. Das erklärt, wieso man selbst nichts mehr riecht, aber andere Leute schon und warum unser Haus nach Hund riecht, wenn ich nach einer Woche Fortbildung heim komme. Das Haus riecht immer nach Hund. Ich rieche wahrscheinlich auch nach Hund, weshalb andere Hunde immer positiv auf mich reagieren. Komisch eigentlich, dass Menschen nicht automatisch positiv reagieren, wenn man nach Mensch riecht.
SnifffSnifff vor 8 Jahren
Herrje, das lese ich erst jetzt (bin natürlich über den Stinke-Duftpfad-Kouros hier gelandet:))))). Wie kompliziert ist riechen denn bitte?! Das hast du sehr ausführlich dargestellt. Habe nicht alles verstanden;), aber die Kernaussage kapiert...glaube ich:)))) *Pokalrüberschieb*
SeeroseSeerose vor 11 Jahren
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sondern auch sonst. Aber ich konnte schon immer sehr gut riechen, jetzt noch besser. Ich mochte noch nie die dicken Düfte von früher, und jetzt begegne ich ihnen wieder, es hat sich nicht geändert. Da ich aber schon 66 bin ist es auch ein Geschenk, dass ich gut riechen kann und mich da noch steigere. Wie viele in meinem Alter riechen schlechter, noch ältere fast gar nichts mehr.
Am meisten komme ich noch bei den alten Damen mit holzigen, harzigen und Weihrauchdüften an.
Keine in meinem Umfeld trägt die alten Stinker. Deswegen motze ich immer gegen abwertende Zuweisungen von Stinkdüften. Ich selber mag die modernen Düfte viel lieber, die moderat experimentellen und auch die maskulinen. Es kommt auf die Tageszeit an, was ich tragen möchte. Geruchssinn ist also konditionierbar. Nun ists genug, man liest voneinander, ich abonnier Dich.
SeeroseSeerose vor 11 Jahren
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Hier lese ich gerade Deinen außergewöhnlichen Blog, das ist genau das Lesefutter, was ich immer brauche. Ich will verstehen. Und als ich hier mit dem Testen begann, hatten alle Düfte eine ziemlich kurze Haltbarkeit, so kam es mir vor.
Aber was ich wohl alles falsch bewertet habe dadurch? Jetzt haben die Düfte eine irre Haltbarkeit, was blöd ist. Nicht mal Abwaschen und mit geruchloser Fettcreme einreiben hilft oft. Mittlerweile hat mein Gehirn eine Menge Gerüche gelernt und nicht nur bei Parfüms.
NasengourmetNasengourmet vor 11 Jahren
Genial ! Dafür solltest Du eine Sondersuperduper Auszeichnung erhalten ! Danke Dir.
Zauber600Zauber600 vor 11 Jahren
Vielen Dank .. sehr informativ!
Liebe Grüße
B.
CentifoliaCentifolia vor 11 Jahren
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Vielen Dank für diesen großartigen Artikel, auf den mich ein freundlicher Nutzer hingewiesen hat, nachdem ich sinngemäß das Gleiche aus praktischer Sicht von mir gegeben habe, allerdings ohne den detaillierten wissenschaftlichen Hintergrund.
Viele Menschen (über)parfumieren sich so extrem, daß sie regelrecht geruchsblind werden. Die Industrie reagiert darauf mit immer stärkeren Düften, was das Phänomen natürlich nicht bessert. Aber Dein in Zukunft auf sämtlichen Parties zitierter Artikel wird sicher einen wertvollen Beitrag leisten!
RoninRonin vor 12 Jahren
@Adan: ah, danke. @Jifat: bei Farben tauschen wir uns aber sehr regelmäßig mit unserem Umfeld aus, was denn nun rot - blau - grün usw. sind - d.h. wir verständigen uns und gleichen ab, was wir meinen. So meinen alle (fast) das Gleiche, wenn sie "blau" sagen, egal, welche Signale gerade wie im Hirn ankommen. Es wäre jetzt also gar nicht schlecht, wenn wir auch bei Parfums versuchen würden, eine gemeinsame Sprache zu finden ;-)
AdanAdan vor 12 Jahren
Danke für das Feedback! Ronin, das kommt darauf an, mechanosensitive Rezeptoren funktionieren anders, das Modell dafür wurde im Wurm C.elegans entdeckt, und zwar sind dort Ionenkanäle über Proteinfäden (Aktin glaube ich) mit der Cuticula verbunden. Berührt man den Wurm, verschiebt man lokal die Cuticula und es werden durch diese Verbindugn Ionenkanäle regelrecht "aufgerissen", dadurch der Ioneneinstrom und feuern eines Aktionspotenzials, ich denke hier ist es eher eine Erschöpfung von ATP allein.
MilosavaMilosava vor 12 Jahren
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!
PipettePipette vor 12 Jahren
Vielen Dank, Adan. Ich habe viel gelernt. Damit die Internationalen Mitglieder sich auch erfreuen koennen, habe ich die Freiheit genommen, ein Link zu diesen so gut geschriebenen Artikel auf dem Forum in der Internationalen Zwillingsseite zu plazieren. Wer nicht deutsch liest, kann ja einen Komputer Translator benutzen.
JifatJifat vor 12 Jahren
@Ronin: Ja, das ist interessant. Müssen wir nicht feststellen, dass auf keinen unserer Sinne Verlass ist, was Objektivität betrifft? Ist es nicht so, dass alle unsere Sinne sehr individuell arbeiten und unsere Wahrnehmung der von den Sinnen übermittelten Signale eben auch sehr individuell ist? Ein schönes Beispiel führst Du an: die Farbwahrnehmung. Können wir unseren Sinnen trauen, wenn wir rot, blau und grün "sehen"? Fragen über Fragen. ;-)
AavaAava vor 12 Jahren
Thanks for the Blog :) Aufschlussreich, interessant, lesens- und bewahrenswert!
JifatJifat vor 12 Jahren
Das Gewöhnungsphänomen ist ein wichtiger Gesichtspunkt für Parfümliebhaber und -gebraucher. Danke für Deine fachkundige Erklärung. Neu ist es allerdings nicht. Auch ich halte es für unbedingt notwendig, andere Leute zu fragen, wie sie ein Parfüm wahrnehmen, das man selbst aufgesprüht hat. Die eigene Nase (eigentlich: Gehirn) ist eben alles andere als "objektiv". Leider dringt diese Tatsache nicht mal bei Parfumo durch. Wie sonst ist zu erklären, dass man dauernd liest: Bei mir entwickelt sich dieser Duft ganz anders...u.Ä.
GhislaineGhislaine vor 12 Jahren
Danke für die (für uns Laien leicht verständlich aufbereiteten) Hintergrundinfos. Bleibt die Frage, wie Thierry Mugler es schafft, diesen Effekt auszuhebeln ;-)
RoninRonin vor 12 Jahren
Cool, danke! Das Ausblenden von Dauerreiz klappt ja auch mit anderen Sinnen - wenn Du einen etwas engen Pullover trägst, spürst Du diesen direkt nach dem Anziehen - und danach nicht mehr. Wenn Du lange auf eine gelbe Wand schaust und dann schnell auf eine weiße wechselst, erscheint die zuerst blau (sehr spannend: http://de.wikipedia.org/wiki/Nachbild). Sind das die gleichen Signaltransduktionseffekte?
DannyboyDannyboy vor 12 Jahren
Der Regelfall ist ja, dass ein Duft den ganzen Tag über, oder wenigstens einige Stunden - je nach Stärke des Dufts - wahrgenommen wird. Bzw. immer wieder wahrgenommen wird. Interessant wäre, warum einige Düfte jedoch je nach Träger vollständig ausgeblendet werden. Da kommen dann sicher ganz individuelle Faktoren ins Spiel - und auch die Applikationsmethode, ja.
SiebterSiebter vor 12 Jahren
Applikation in Nasennähe ist vor diesem Hintergrund auch kritisch zu betrachten, denke ich. Wäre interessant, herauszufinden, wie bestimmte Düfte es dennoch schaffen, den ganzen Tag über vom Träger wahrgenommen zu werden. Cooler Beitrag, danke!
DannyboyDannyboy vor 12 Jahren
Ich schließe mich ausnahmsweise *g* mal Louce an: Das Thema kommt so oft, es gab schon so viele Erklärungen und Links dazu... Adan, deine Erklärung ist super, danke - Sticky erwünscht. ;)
ExUserExUser vor 12 Jahren
Wow science on Parfumo! Gefällt mir sehr. :D

Also, ich mach das auch so wie du und hab immer meine Stammrotation. :)
...Auch wenn das Problem bei mir immer noch bestehen bleibt. :/
BlumenblutBlumenblut vor 12 Jahren
Ich glaube, das erklärt auch, warum Leute z.B. in Kläranlagen arbeiten können.
AnneSuseAnneSuse vor 12 Jahren
Superinteressant, danke für den fachlichen Hintergrund!
MrWhiteMrWhite vor 12 Jahren
Trägst Du öfter, riechst Du weniger :-)))
PostMortemPostMortem vor 12 Jahren
Ohne undankbar wirken zu wollen...
Besteht die Möglichkeit daraus einen "Management Summary" zu erstellen ;-)?
Beste Grüße Post Muggel
LouceLouce vor 12 Jahren
Danke! :-) Das ist eine so gute, klare und leicht begreifliche Darstellung von Adaption (und der subjektiven Nicht-Erfassbarkeit eigener Adaption), dass wir es zum sticky-Thread machen sollten... äh... öh... ach Mist, das ist ja ein Blog-Text. Dooooohoooon?!?