Ernstheiter
Ernstheiters Blog
vor 10 Jahren - 13.10.2014
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Das Tier in mir oder bin ich noch normal

Morgens um 6:00

Der Wecker klingelt schrill, aber als Fruehaufsteher springe ich ohne groessere Schwierigkeiten aus dem Bett. In den darauffolgenden 30 Minuten verrichte ich dann in Folge all die Dinge, die ein normaler Mensch auch tut. Bis hier ist noch alles im gruenen Bereich und ganz normaler Alltag.

Um in die Gaenge zu kommen, trinke ich erst eine Riesentasse Kaffee, das geht an manchen Tagen ohne Einsabbern und an manchen Tagen eben nicht ohne ueber die Buehne. Ist aber nicht weiter schlimm, ich dusche mich ohnehin gleich. Schon allein der Gedanke, mir nach der Dusche einen Duft aus meiner bescheidenen Parfumsammlung aufzuspruehen versetzt mich in gute Laune.

Also nix wie schnell geduscht, abgetrocknet und ran an den Badezimmerschrank. Tuer auf und…..

…..genau in diesem Moment passiert es dann. Ich hoere auf mich zu fuehlen wie Millionen anderer Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt das gleiche gemacht haben wie ich. Vor mir im Schrank stehen vier gleich grosse Behaelter, beschriftet mit Etiketten auf denen steht Fougère, Orientalisch, Chypre und Citrus/Lavendel. Beim Anblick dieser Aufschriften kommt bei mir jeden Morgen der Jagdinstinkt hoch. Von wegen "schnell 'mal einen Duft auflegen", selbst bei nur 24 Dueften ist das einfacher gesagt als getan.

Ich fuehle mich gleich einer Kobra in aufrechter Stellung, die mit ausgefahrener Zunge und stierendem Blick auf das veraengstigte Haeschen niederblickt. Nur dass mich aus meinem Badezimmerschrank kein Haeschen anschaut, sondern 24 fein saeuberlich nach Duftfamilien sortierte Parfums.

Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass es nun endlich an der Zeit waere, auch 'mal die Aktentasche ins Visier zu nehmen und ueber einen raschen Abflug ins Buero nachzudenken. Das darf doch nicht so schwer sein, sich einen Duft rauszuschnappen, ueberzudieseln und dann nix wie weg. Aber die Kobra in mir laesst natuerlich keinen ueberstuerzten Ueberraschungsangriff zu. Wo kaemen wir denn da hin, die Beute will gut gewaehlt sein. Schliesslich haben wir es hier nicht mit nur einer Flasche 1 Million zu tun, die man sich auf die Schnelle ueberdieselt, sondern mit Guerlains, Givenchys und Verwandtschaft. Und ueberhaupt, sind wir denn schon in der Endphase des Angriffs? Ich habe doch nicht einmal noch einen der vier Behaelter gewaehlt. Besonders warm soll es heute nicht werden, also die Citrusduefte kann ich ausschliessen. Eigentlich ist mir nach orientalisch, auf etwas spicy-sweetiges haette ich jetzt Lust. Ach nein, mit Orientalisch muss ich aufpassen. Wenn ich zuviel des Guten auflege, beschwert sich mein Kollege Aldo wieder den ganzen Morgen wegen Ueberdieselung. Also besser Orientalisch ausschliessen und Citrus/Lavendel wieder reinnehmen, da kann man ja kaum etwas falsch machen.

Aber halt einen Fougère habe ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr getragen - geht doch. Nur nach Mouchoir pour Monsieur steht mir jetzt nicht der Sinn und einen starken Kaffee hatte ich schon, was auch Yohji Homme aus dem Rennen schmeisst - oh Mann gleich 7:00 Uhr. Wie machen das bloss Parfumos mit einer Sammlung im dreistelligen Bereich. Wahrscheinlich stehen die mitten in der Nacht auf und fangen mir der Selektion an, oder die haben keine Zeit zum Arbeiten? Arbeit, ach ja, ich sollte mich beeilen. Wo war ich stehengeblieben. Fougère - an Chypreparfums habe ich aber die meiste Auswahl. Gut dann also Chypre, Pour Monsieur oder X-Pec? Wie soll ich mich bloss entscheiden bei so krass unterschiedlichen Dueften, das ist ja fast so als ob ich mich zwischen Filet Bourguignon und Fritten entscheiden muesste.

Genau in dem Moment als der Gong der 7:00 Uhr Nachrichten im Radio erklingt, faellt mein Blick auf eine kleine Probe die ich vor einiger Zeit irgendwo mitbekommen habe und sofort ist meine Neugierde geweckt. Mich interessiert nicht mehr ob Fougère oder Chypre, ich will ganz einfach einen neuen Duft ausprobieren. Also schnell aufgelegt und ich bin fuer den Tag eingeduftet und gewappnet. Ach es ist schon ein schoenes Gefuehl, jeden Morgen den Duft fuer den Rest des Tages in aller Ruhe und mit Bedacht waehlen zu koennen.

Und waehrend ich gut gelaunt die Wohnung verlasse, habe ich die Gewissheit, dass ich nicht normal bin. Dafuer gehoere ich aber zum "Club der Duftverrueckten" und dem gehoeren schliesslich Millionen Gleichgesinnter an.

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