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vor 6 Jahren - 10.08.2018
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Blindtests: Eine Zwischenbilanz

Heute möchte ich Euch an meinen Gedanken zu meinen Blindtests der letzten Wochen teilhaben lassen, die einige von Euch ja auch in meinen Blogs und meinen letzten Kommentaren mitverfolgt haben.

Obwohl mir bewusst war, dass blind zu testen, und dann noch vor der Auflösung einen Kommentar zu dem immernoch unbekannten Duft zu veröffentlichen, Überraschungen bergen wird, bin ich um ein Vielfaches mehr überrascht worden als erwartet.

Wenn ich früher so halb blind getestet habe, z.B. eine Probe eines mir unbekannten Duftes von meinetwegen Cartier, aus einem Tauschpäckchen, dann habe ich mir den Duft aufgesprüht und z.B. gedacht: "...hmm, was Zitrisches und dann blumig, und etwas fruchtig, naja, typisch säuerliche Frucht, typisch Cartier, hier aber ganz nett..." und derweil habe ich den Duft auf Parfumo aufgerufen. Dann las ich die Pyramide und dachte: "Ach, ja, stimmt, das Fruchtige ist Pfirsich, das Zitrische war Bergamotte, der Blüten gab es viele und nun, ach ja, ich rieche es schon, kommen Sandel und Moschus..."

Das ist natürlich nicht wirklich blind getestet.

Aber das wusste ich vorher. Und bei solchen "Blindtests", die in mehrfacher Hinsicht keine sind, kann man sich leicht etwas vormachen nach dem Motto: "Das Sandelholz ist so deutlich, das hätte ich auch herausgerochen, wenn ich es nicht vorher gelesen hätte." Oder: "Das wäre mir bei längerem Riechen noch eingefallen, dass die Frucht Pfirsich ist, der Pfirsich kommt ja jetzt sehr raus."

Auch das war mir vorher klar.

Was mir aber nicht klar war, ist wie unglaublich schwer es ist, auch nur ein oder zwei Namen aus der Pyramide eindeutig zu benennen, und wie leicht ich ins Zweifeln kommen würde. Ich denke: "Ach, die Kopfnote ist Bergamotte." Schon stutze ich: "Oder? Es ist recht herb, könnte auch Grapefruit sein." "Naja, vielleicht auch Orange mit ordentlich Zesten." "Jetzt wird es süßer, da ist noch eine Frucht dabei, also vielleicht doch eher Orange. Vielleicht steuert aber die andere Frucht das Herbe bei? Oder das Säuerliche?" "Oder ist das Süße keine Frucht, sondern ausschließlich Maltol? Oder eine andere zugefügte Süße?"

Und so geht es dann weiter, man entfernt sich immer mehr von dem ersten Gedanken. Der Duft hat einen Verlauf und man weiß nicht, ob ein bestimmter Eindruck aus einem einzigen Bestandteil entstammt oder aus dem Zusammenspiel mehrerer entsteht. Ein weiteres Beispiel: "Es ist pudrig. Ist das jetzt Heliotrop? Ich rieche auch etwas Vanilliges. Oder ist es Iris plus Vanille? Entsteht der pudrig-trockene Eindruck gar aus einem bereits aus der Basis sich ankündigendem Holzriechstoff?"

Und diesen zweifelnden Gedankenmarathon kann man natürlich auch nicht so einfach in einen klaren und lesbaren Blindtestkommentar fassen.

Andererseits ist es ja gerade erwünscht in einem Parfum, dass die Bestandteile nicht statisch nebeneinanderstehen, sondern sich zu einer einzigartigen Melange verbinden - abgesehen von monothematisch angelegten Düften.

Nun hat FrauLohse mir sicherlich bewusst keinen auch nur annähernd monothematischen Duft zum Blindtesten geschickt ;-). Ich glaube auch, das wäre vermutlich etwas weniger interessant gewesen.

Es ist ein wenig wie bei "Wer wird Millionär?": Wenn man wirklich da auf dem Stuhl vor den Kameras bei Günther Jauch säße, würde man sicherlich schwer ins Zweifeln kommen, während man als Zuschauer zuhause einfach sagen kann: "Ach, das ist A, glaube ich, ziemlich sicher." Aber da auf dem Stuhl würde "ziemlich sicher" eben nicht reichen, sondern wäre ein Risiko, man würde ins Schwimmmen kommen, sich vielleicht verrennen und am Ende sagt man B, aber A wäre dann doch richtig gewesen.

Was habe ich also aus meinen Blindtests gelernt:

1. Es ist noch viel schwieriger als ich sowieso schon dachte, Begriffe aus der Pyramide eindeutig herauszuriechen.

2. Der erste Eindruck ist meist der richtige.

3. Ich sollte meine (Vor-)Urteile bestimmten Marken oder Reihen gegenüber möglichst völlig zurückstellen. Ich hätte ohne Blindtest ganz bestimmt nie mehr einen Agent Provocateur ausprobiert. Bislang fand ich sie alle furchtbar und dann gibt es erstaunlicherweise doch den Einen, den ich so gut finde, dass er nach dem Blindtest den Weg in meine Sammlung findet.

4. Auf Geschlechterzuordnung kann man kaum etwas geben (und zwar in jede Richtung, auch unisex).

5. Auf Groß- und Kleinschreibung in Pyramiden kann man oftmals auch nichts geben. Die eigene Nase kann winzig Geschriebenes sehr stark wahrnehmen, Großbuchstaben nur dezent oder im Hintergrund. Zudem: Es kam bei meinen speziellen Blindtests nicht zum Tragen, aber ich weiß, dass man manche Pyramide sogar in voller Gänze vergessen kann.

6. Bestätigt hat sich wieder einmal: Am meisten Sinn macht es für mich, mich an Kommentaren von Parfumas und Parfumos zu orientieren, von denen ich inzwischen weiß, dass sie eine ähnliche Geruchswahrnehmung haben wie ich. Das ist hilfreicher als jede Pyramide.

7. Eine ähnliche Geruchswahrnehmung anderer ist zudem auch viel hilfreicher für mich als ein ähnlicher Geschmack. Was nützt es mir, wenn jemand einen ähnlichen Geschmack hat, den Duft aber "falsch" beschreibt, weil er etwas ganz anderes riecht?

8. Mir ist noch deutlicher geworden, dass ich einen großen Unterschied sehe zwischen der Einschätzung der Qualität eines Duftes einerseits und der Frage, ob er mir gefällt, andererseits. Bei dem Roja habe ich die Qualität blind erkannt und ich bin überaus beeindruckt gewesen, aber er trifft meinen persönlichen Geschmack nicht hundertprozentig. Ich hatte schon früher wegen genau solcher Diskrepanzen manchmal Probleme, Düfte bei Parfumo auf der Skala zu bewerten. Dieses Problem ist mir nun noch einmal sehr ins Auge gesprungen.

9. Rose herauszuriechen bleibt für mich persönlich weiterhin ein erstaunliches Rätsel, das noch der Lösung bedarf: Wann rieche ich Rose als solche? Wann nicht? Zu diesem speziellen Thema hatte ich ja schon früher mal einen Blog verfasst.

10. Es gelingt mir wider Erwarten gut, die Preise, bzw. die Wertigkeit eines Duftes einzuschätzen, und das obwohl FrauLohse mir nach eigener Aussage, extra auch einige in ihren Augen unterschätzte Düfte der unteren Preisklassen geschickt hat. (Übrigens gebe ich FrauLohse da völlig Recht.)

11. Ich hatte das schon vorher gewusst, aber es hat sich noch einmal bestätigt: Pyramiden, in die aus Marketinggründen möglichst exotische Begriffe geschrieben werden, sind für mich nutzlos, jedenfalls dann, wenn es nicht ganz, ganz genauso riecht. Zudem findet man diese Düfte auch bei der Parfumo-Suche nach Angaben in der Pyramide viel schlechter oder sogar gar nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel: Es gibt einen Duft, dem würde ich persönlich wirklich Becherovka in die Pyramide schreiben. Aber normalerweise halte ich sowas für Quark.

12. Wir sollten viel, viel mehr echte Blindtests machen!

Und weil das so ist....

....bekommt Jumi von mir Duft 7-12 zugeschickt.

Es wird ein wenig dauern, denn erstens geht die Sendung nach Kanada und zweitens wird auch Jumi sich Zeit nehmen, in Ruhe "Blindes Huhn" zu sein.

Ich danke FrauLohse noch einmal für die wundervolle Auswahl der Düfte, die ich testen durfte. Es war keiner dabei, den ich nicht mochte und bei dem es mir schwergefallen wäre, den Test durchzuhalten.

Das Staffelholz nimmt nun per Airmail den Weg nach Kanada.

Ich bin sehr gespannt, was Jumis Nase zu meiner kleinen Auswahl meint.

Ich hoffe, Ihr auch.

Herzlichst, First

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