Architekturfotografie im Miniaturformat
Flakon-Fotoalbum mal anders. Was man alles erleben kann, wenn man sich, unterstützt von einem Photoshop-Profi, daran macht, seine umfängliche, vintage-lastige Sammlung auf Parfumo für die optimale Darstellung in der “Habe ich”-Ansicht in Szene zu setzen, also ohne visuelle Poesie, Blumenbouquets oder Instagram-Filter? Das schildert Parfusion in diesem Interview / Reisebericht aus dem Land der ambitionierten Amateurfotografie.
Was war die Motivation hinter diesem Fotoprojekt?
Meine Sammlung besteht zu einem gewissen Teil aus Vintage-Flakons (hauptsächlich sind das Herrenparfums der 60er bis 90er Jahre), von denen bei Parfumo aber öfters nur ältere, niedrig aufgelöste Bilder oder Fotos von Miniaturen hinterlegt waren. Und da ich einige, randvolle “new old stock”-Flakons aus diesem Segment besitze, kam die Idee auf, neue bzw. verbesserte Fotos einzureichen. Denn während die kostbaren Originalflaschen ja “dunkel und kühl gelagert” im Schrank überdauern, hat man ihre digitalen Pendants in Form seiner Parfumo-Sammlung schließlich ständig vor Augen.
Die fotografische Quellenlage bei Vintage-Parfums ist ja generell nicht optimal und so dachte ich, könnten solche Fotos auch dabei helfen, ein kleines Stück Parfumgeschichte in visuell verbesserter Form zu überliefern...ja, als Idee sah das alles noch ganz einfach aus.
Parfumflakons zu fotografieren stellte sich aber dann schnell als Crashkurs und unerwartete, kleine Meisterklasse der Produktfotografie heraus. Im Prinzip sind Flakons ja letztlich kompakte, detaillierte (Glas-)Objekte - nicht selten ambitioniert designt, manchmal auch erschreckend nachlässig gefertigt, aber sehr häufig transparent, gnadenlos reflektierend und in jedem Fall immer millimetergenau auszuleuchten. Und unpraktischerweise vereinen viele Flakons gleich mehrere dieser “Risikofaktoren” in sich. Aber das sollte sich zum Glück erst zeigen, als das Projekt schon in vollem Gang war.
Ohne die zahllosen Stunden an unermüdlicher, akribischer Arbeit von Svetosphera an der Kamera und am Computer wäre dieses Unterfangen aber in jedem Fall todsicher in den ersten zwei Stunden gescheitert, daher an dieser Stelle nochmal meinen riesigen Dank!
Wie geht man an ein typisches Flakonportrait heran?
Man begutachtet zuerst den Anteil der strahlenden, d.h. transparenten vs. der spiegelnden Komponenten eines Flakons, außerdem seine Proportionen, Haptik, Verarbeitung usw. Dann legt man sich eine Strategie zurecht: Einerseits möchte man immer möglichst viel Licht einsetzen, um das Objekt plastisch und brillant aussehen lassen. Andererseits darf nicht zu viel Licht auftreffen, da leicht tückische Brechungen (Glas!) oder grelle Reflexionen (Glas!!!) auftreten oder sich Teile des Studios oder Equipments in den reflektierenden Teilen spiegeln. Und da gläserne Flakons ja auch immer doppelwandig sind, spiegelt sich das Parfum, also die Flüssigkeit selbst, oft im eigenen Behältnis.
Dazu kommt, dass Flakondesigns häufig diverse Formen von eye candy verwenden, wie etwa Mattierungen, die nur im Gegenlicht sichtbar sind, aufgeprägte Logos, dekorative Reliefs, irgendwelche Glitzerelemente oder eine goldene Schrift, die beim Drehen des Flakons in der Hand funkelt. Dass diese goldene Schrift dann aber beim Fotografieren des statischen Objekts sogleich nicht mehr funkelt (und in den meisten Fällen sogar schwarz erscheint), ist erstmal eine ernüchternde Tatsache, die anschließend etwas Improvisation erfordert.
Denn wenn sich trotz Aufbietung aller Skills dieser eine, magische Blickwinkel nämlich nicht ergibt, der alle o.g. Risiken minimiert UND den Schriftzug gold erscheinen lässt, muss er leider doch per Photoshop vergoldet werden. Das oben erwähnte, reale Glitzerelement dann auch noch digital mit einem artifiziellen Highlight zu akzentuieren...soweit sollte man aber doch nicht gehen.
Gibt es noch weitere Faktoren, die bei der Aufnahme eine Rolle spielen?
Mindestens genauso wichtig ist der Hintergrund, da der Flakon bereits ab einem kleinen Anteil an durchsichtigen Komponenten nur “vor Weiß” überhaupt erst transparent wirken kann. So stellt ja auch Parfumo standardmäßig alle Flakons in der Datenbank- und Sammlungs-Ansicht dar. Ein weißes Setting war also für die Aufnahmen Pflicht: Um dem (Glas)korpus eine korrekte bis leuchtende, dreidimensionale Anmutung zu verleihen, die Färbung der Flüssigkeit exakt wiederzugeben und damit Glas auch wirklich wie Glas aussieht, also durchsichtig - und nicht etwa grau, wie das öfters im Schnellverfahren gelöst zu werden scheint. Außerdem muss man außerhalb des Sichtfeldes der Kamera auch immer noch einige dunkle, lichtabsorbierende Elemente aufstellen.
Die Ränder des Flakons werfen eine solche weiße Aufnahme-Umgebung aber immer auch zurück und es entstehen schnell unnatürlich leuchtende Kanten, die man mit rund um den Flakon platzierten schwarzen, grauen oder manchmal auch goldenen Reflektoren im Zaum halten muss. Sind die Reflexionen dann immer noch präsent, packt man zuerst die Kamera in eine Art selbstgebastelte, weiße Komplett-Verschalung und/oder den Flakon in ein professionelles Fotozelt, was dann aber wieder eine intensivere Ausleuchtung von außen verlangt usw.
Und es gibt natürlich noch den Fall, wo das Herstellerdesign vorsieht, dass für einen besonderen Effekt Licht auf eine bestimmte Weise durch den Flakon fallen sollte, wie z.B. bei Jacomo’s Anthracite pour l’Homme (1991). In der Hand sieht dieser Flakon nämlich erstmal unscheinbar und mattschwarz aus. Erst eine auf Parfumo entdeckte, zeitgenössische Produktwerbung machte klar, dass hier zwingend mit starkem, durch das satinierte Glas scheinendem Licht gearbeitet werden muss, um Glaskorpus und Kunstoffdeckel karminrot (Herrenversion) bzw. nachtblau (Damenversion) erstrahlen zu lassen.
Diese vielen Komponenten im Ganzen auszubalancieren, ist eine überraschend sensible Angelegenheit, die sich tatsächlich bei jedem Flakon anders gestaltet. Jeder Flakon ist auf seine Art anspruchsvoll und man muss sich wirklich Zeit zum Ausprobieren nehmen. So gesehen ähnelt der Versuch, Parfumflakons möglichst detailliert und “informativ” zu fotografieren - d.h. ohne Werbeästhetik, Effekte oder Stilisierungen - eher einer Art Architekturfotografie im Miniaturformat.
...und das Ziel war eine optimale Darstellung in der Parfumo-Sammlung?
Genau. Die wichtigste Leitlinie für die Ausrichtung der Fotoserie war natürlich der Modus, wie Flakons auf einer Plattform wie Parfumo angezeigt werden, nämlich ohne Effekte oder Schatten, straight und sachlich. Deswegen fiel unsere Herangehensweise auch so “dokumentarisch” aus, d.h. es ging darum, den Flakon (Form, Material- und Oberflächenbeschaffenheit, Haptik, Farbe der Flüssigkeit) nicht kreativ in Szene zu setzen - dazu hätte man ja sicher noch ganz andere Ideen gehabt - sondern ihn gemäß der Datenbank-Konventionen so abzubilden, wie er A) tatsächlich aussieht und B) sich gut in eine typische “Habe ich”-Darstellung integrieren lässt, ohne dabei perspektivisch “aus der Reihe zu fallen”...oder langweilig auszusehen.
Geht man hier ins Detail, tun sich aber sofort Grenzfälle auf. Parfumflakons sind ja nicht nur Kult- sondern auch Gebrauchsgegenstände und besonders Vintage-Flaschen weisen öfters kleine Macken auf, die man aber nicht zwingend eliminieren muss, da das zur Patina des Objekts gehört und solche Gebrauchsspuren schließlich sofort kommunizieren, dass es sich ggf. um ein mittlerweile historisches Produkt out of production handelt.
Ist auf dem ältlichen Flakon aber zusätzlich die Beschriftung erodiert, d.h. das mittels Pulverbeschichtung aufgebrachte Lettering bis zur Unleserlichkeit abgebröckelt - das begegnet einem übrigens sogar oft bei “new old stock”-Ware, die nie zuvor aus dem Karton genommen wurde - rekonstruiert man die Schrift digital. Das erfolgt dann manchmal komplett manuell auf Pixelebene, da man ja nicht einfach 1-1 den intakten Schriftzug von einem anderen Foto importieren und digital aufkleben sollte - und natürlich auch keine Originalfonts zur Hand sind, mit denen man, quasi wie der damalige Hersteller, den Flakon nochmal neu “beschriften” könnte.
Wie sieht sonst die digitale Nachbearbeitung aus?
Nach dem Fotografieren beginnen Säubern und Korrektur, d.h. das Eliminieren von Unregelmäßigkeiten und Staubpartikeln - und das können bei der Verwendung eines hochwertigen Objektivs viele sein, einige Hundert. (Natürlich wurde der Flakon schon vor der Aufnahme manuell gesäubert, aber diese Objektive sind wirklich schon fast ZU hochwertig.) Das Säubern erfolgt dann ganz traditionell mit dem Kopierstempel und häufig einzeln “one by one”, weil die Verläufe auf dem Material bei so starker Studio-Ausleuchtung letztlich zu vielgestaltig sind, um das pauschal mit einem automatisierbaren Filter zu erledigen. Das gleiche gilt auch für das Freistellen des Fotos nach der kompletten Bearbeitung, die pro Flakon insgesamt ca. 2 Stunden dauert.
Für die Postproduktion kommt nur der Camera RAW-Filter von Photoshop zum Einsatz - das war’s. Aber selbst so gibt es durch die technische Flexibilität des RAW-Formats (quasi ein digitales Roh-Dia in maximaler Qualität) einen großen Gestaltungsspielraum: Man könnte bereits auf dieser Ebene den Appeal und die wahrgenommene Wertigkeit eines Flakons dramatisch modifizieren.
Aber z.B. gerade die Verarbeitungsqualität eines Flakons sollte man möglichst exakt abbilden. Es ist nicht sinnvoll, einen billig anmutenden Flakon digital mit einer in der Realität nicht vorhandenen Aura eines exquisiten, kunsthandwerklichen Meisterstücks zu adeln. Kunststoffdeckel sollten Kunststoffdeckel bleiben - inkl. aller Nähte und dieser winzigen, konischen Spitze auf dem Deckel. Solche Details lässt man bei so einem “authentischen” Ansatz dann bewusst im Bild. (Entwarnung für die Community: Diese Einzelheiten sind bei den derzeit verwendeten Parfumo-Bildformaten bestenfalls in der maximal vergrößerten Ansicht zu erkennen.)
Etwas speziellere Photoshop-Filter kommen bei diesem Projekt nur für bestimmte, heikle Details zum Einsatz, z.B. der Matt-Filter bei tiefgehenden Kratzern oder eine Objektivkorrektur, die durch eine etwas unorthodoxe Aufnahmeperspektive entstehen kann. Und ein guter 4k-Monitor war natürlich ein Muss - nicht nur für die finale Farbkorrektur, sondern auch für größtmögliche Details. So kann man jetzt relativ sicher sein, dass die fotografierten Objekte auch noch ansehnlich sind, wenn sich die Parfumo-User diese Flakons auf zukünftigen, noch höher auflösenden Displays anschauen werden.
Fazit: Zu perfekt oder hyperreal durften die Ergebnisse dieser Serie nicht ausfallen, aber teilweise kann es aber auch recht aufwändig sein, einen Gegenstand alltagstauglich aussehen zu lassen, d.h. wie einen Flakon, der in einer real existierenden Sammlung stehen könnte. Eine gute Faustregel war, den ganzen Glamour und die Sexyness, die man komfortabel mit Software-Effekten erzielen könnte, sofort um mindestens 90% zu reduzieren...und dann trotzdem noch das Beste aus dem Objekt zu machen.
Gab es weitere Überraschungen oder Lerneffekte?
- Dass eine (relativ) gute Kamera, ein (sehr) gutes Objektiv und viel (semi-) professionelles Licht die Arbeit eigentlich eher verkompliziert haben als sie zu erleichtern, da solche entlarvend präzisen Fotos auch wesentlich mehr Details und Ansatzpunkte bieten.
- Dass Metall, um nach Metall auszusehen, diese allgegenwärtigen schwarzen, schmalen Streifen (das ist übrigens das Kameraobjektiv bzw. schwarze Metallteile der Lichtstative, die sich da spiegeln) aufweisen MUSS, sonst sieht z.B. ein Metalldeckel schnell aus, als sei er aus Plastik. Tatsächliche Kunstoffdeckel in Metalloptik sind dann wieder ein ganz anderes Thema: Die muss man regelrecht anblitzen, um ihre Künstlichkeit herauszuarbeiten.
- Herauszufinden, dass es bei Ganzmetallflakons nicht darum geht, die Reflexionen zu minimieren, sondern sie zu maximieren: Erst wenn man spiegelnde Aufsteller zum Einsatz bringt, die das Objekt wieder auf sich selbst zurückwerfen, bekommt man diese cremigen, subtil schimmernden Verläufe auf der Metalloberfläche.
- Festzustellen, wie verfälscht die Farben von Flakons selbst auf offiziellen Produktfotos wiedergegeben werden. Hier scheint sich jeder Hersteller / Vertrieb / Anbieter öfters nach Gusto im Computer eine Wunschfarbe auszuwählen. Es kann aber auch sein, dass die Hersteller für Neuauflagen ihrer Parfums über die Jahre manchmal leicht andersfarbige Materialien verwenden.
- Herauszufinden, dass viele kommerzielle Produktfotos von Parfumflakons mittlerweile reine Photoshop-Artefakte sind. Das reicht von geklonten Verschlüssen, die z.B. einer kompletten Produktlinie identisch digital aufgesetzt werden über Flakons, die aus mehreren, in dieser Kombination fotografisch unmöglichen Perspektiven zusammenmontiert sind bis hin zu vollständig computergenerierten 3D-Flakon-Modellen, die gar nicht real existieren, aber täuschend echt aussehen...oder zumindest einer Ästhetik entsprechen, die man offenbar nicht (mehr) hinterfragt.
Hast Du noch ein paar Highlights aus der Praxis für uns?
- Der komplizierteste Kandidat bisher war das McGregor Cologne (1986). Ein eher kleiner, eigentlich schmuckloser 60 ml-Splashflakon mit einem überproportional großen Schraubdeckel in Form einer Metallkugel, in dem sich DER GESAMTE AUFNAHMERAUM spiegelt - und natürlich auch jede Person, Vorrichtung und Initiative, um diese Spiegelung zu kaschieren. Hier haben wir wirklich alles versucht: Von freier Aufstellung über hermetische Fotobox bzw. -zelt bis hin zur digitalen Rekonstruktion eines Kugelverschlusses als sphärisches 3D-Objekt inkl. 360-Grad-Farbverlauf, der dann eher wie eine goldene Eiskugel aussah - ohne befriedigendes Ergebnis. Zu unserer schlussendlichen Lösung nur soviel: Das finale Foto zeigt als Spiegelung im Deckel weder das reale Studio noch mein Equipment...noch handelt es sich bei dieser goldenen Kugel überhaupt um den Verschluss eines Parfumflakons :-)
- Die digitale Rekonstruktion der kompletten Frontseite eines 50 ml Flakons des AD Plus EdTs von Alain Delon (1987) , die in der Realität (angeblich ab Werk, ich hatte den Duft neu gekauft) leider durch etliche, mysteriöse und partout nicht zu entfernende Fingerabdrücke ruiniert worden war. Roccobarocco’s Joint pour Homme (50 ml Spray, 1993) sah im Original ebenfalls typografisch total desolat aus - hier musste die komplette Beschriftung, natürlich ausgerechnet ein bizarrer Font im Handschrift-Look, restauriert werden. Auch die Aufschrift des 125 ml EdT Sprays von Luciano Pavarotti (1994) war schon ziemlich zerfallen und wurde rekonstruiert.
- Ja, und ein einziges mal wurde der Füllstand eines bereits zum Großteil in TZs abgefüllten Splashflakons mit Photoshop etwas vorteilhafter gestaltet, das war beim Henry Cotton’s In Red EdT von 1989.
Welches Fazit würdest Du ziehen und wie geht es jetzt weiter?
So eine Fotoserie ist eigentlich das perfekte Ferienprojekt: Man arbeitet non-stop mit Parfum, lernt viele neue, kleine Tricks dazu, betrachtet seine Kollektion noch einmal mit anderen Augen und tut etwas für die Community - na, vor allem für die Besitzer der entsprechenden Flakons.
Klar, man bewegt sich irgendwie auch permanent am Rande der Unfotografierbarkeit dieser Objekte und oft gibt es nur eine einzige Konstellation von Kameraeinstellungen, Aufbau, Licht und Schatten, Aufhellern und visuellem Dämm-Material, die einen idealen Shot gestattet. Und das manchmal nur, wenn man beim Auslösen der extra langen Belichtungszeit - die man braucht, weil man wieder mal einen stark spiegelnden Flakon in einen Kokon aus weißen (aber nicht ZU weißen!) Panels eingebaut hat - sich keinen Millimeter auf dem Parkett bewegt und die Luft anhält. Das kann schon etwas nervig sein, aber großen Spaß macht es trotzdem.
Gerade sind die Flakonportraits Nr. 149 bis 151 fertig geworden und ich möchte auf jeden Fall noch meine gesamte Sammlung schaffen. Damit hätte sich dieses Projekt aber bisher fast ausschließlich mit relativ dezenten Retro-Flakons von Herrendüften und eher minimalistischen Unisex-Flakons beschäftigt. Die klassische Damen- und die neueste Kleinserien-Parfümerie hält da sicher noch einige Herausforderungen bereit. Ja, das klingt jetzt schon fast nach einem Folgeprojekt. Vielleicht möchte uns ja sogar mal jemand einen, in seiner Darstellung auf Parfumo verbesserungswürdigen Flakon ausleihen, an dem wir uns versuchen könnten?