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PennyPearls Blog
vor 2 Jahren - 13.01.2022
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Neues altes Jahr; Zerstreuung und Reflexion

Das neue Jahr riecht aktuell nach abgegriffenen Centstücken.
Der Winter verkleidete sich lange trotzig als Herbst und zwischen dem neuen und dem alten Jahr gab es keinen Übergang. Noch weniger als sonst.
Alles lief ineinander wie das Wasserfarbenbild eines Kindes. Silvester ließen wir im Hintergrund die nackte Kanone laufen, während wir halbherzig Raclette aus hochwertigen Zutaten bereiteten, mehr als die Hälfte blieb natürlich übrig. Der eine auf Nikotinentzug, Knockout-Halsschmerzen ab 23 Uhr beim anderen.
Ich trug Casamorati - Lira (Eau de Parfum)Casamorati - Lira Eau de Parfum , einlullend und tröstend, während um Mitternacht einige Raketen in die Luft jagten, trotz allem oder gerade deshalb. Es hatte etwas Optimistisches da draußen, zwischen Rebellion und Naivität. Wir linsten durchs Fenster, kontrollierten spießig, ob unsere Autos safe sind.
„Weißt du noch“, kreisten unsere Gespräche um andere Silvesterzeiten. In Schweden. In Wien. Schicke Dinner in großen Städten. Der Berlintrip zwischen den Feiertagen musste 2020 gecancelt werden, als alle Hotels schließen mussten.
2021 schienen die Tage vor Silvester und Silvester selbst völlig egal, es schien, als würde ich mich an die Stagnation, den Verzicht gewöhnen, alle Aktivitäten beinahe unerreichbar, wie ein Hai, der seine Größe ans Becken anpasst. Absurd postapokalyptisch erschienen mir die Gespräche am Silvesterabend.
Aber ich hatte meine Düfte, meine Abfüllungen zwischen den Feiertagen, das Verlieren zwischen Duftnoten, Eskapismus.

Ein neuer Job seit Januar, und zumindest meine alten Kolleginnen fehlen mir, die mir von Anfang an tägliches Feedback zu meinen Düften gaben, obwohl sie selbst nicht viele Düfte besaßen. Freudig brachte ich ihnen Abfüllungen mit, erzählte zu den Düften und sie sprühten sich an meinem letzten Arbeitstag euphorisch damit ein.
Auf der neuen Arbeit sitze ich allein in meiner Duftwolke. Dicht an dicht mit einer Kollegin am PC an einem Nachmittag,und ich weiß, sie muss mein Parfum riechen. Sie schweigt hartnäckig dazu, das Klappern der Tastatur, draußen kreischen Grundschulkinder während der Pause, als sei eine Zombie-Epidemie ausgebrochen.
Große Dienstbesprechung; ich treffe zwei alte Kolleginnen von früher wieder, mit denen ich mal zusammengearbeitet habe; die Begegnung berührt und verstört mich zugleich. Wie zurück katapultiert in eine vergangene Zeit, ihre Mimiken sind dieselben, ihre Stimmen, selbst ihre Körper, nur die vermehrten Falten versichern mir, dass inzwischen über zehn Jahre vergangen sind.
Die eine zeigt mir Fotos ihrer Töchter, die ich noch als Kinder kenne, während ich um die 20 war; jetzt schaue ich mir das Foto einer sexy Teenager-Blondine mit Sixpack und wehendem Haar an einem Strand an.
„Die Zeit vergeht“, murmle ich wenig geistreich, fühle mich dabei wie eine Achtzigjährige.
Ich trage an dem Tag ArabesqueArabesque , meine neueste Eroberung, ich rieche mich selbst und gehe davon aus, gerochen zu werden. Wir reden in den Pausen über vegane/ vegetarische Ernährung und vage Urlaubspläne für 2022, die man noch nicht zu viel zu vertiefen wagt.
Zuhause teste ich Unmengen an Düfte weiter und bin ein bisschen froh, dass mich nichts bis selten etwas umhaut. Trotzdem drücke ich mir mein Handgelenk in unregelmäßigen Abständen an die Nase wie eine Süchtige.

Bei Instagram sehe ich Storys von Influencerinnen/ Autorinnen, die in Mexiko überwintern und Texte schreiben. Ich sehe sie in Hängematten liegen und lesen, mit Laptop, Cappuccino und Frühstücksbowl in hippen Strandcafes sitzen.
Ich denke an meine eigene Reise durch Mexiko vor Jahren, an bunte Kolonialstädte, goldene Kirchen, Holbox, Isla Mujeres, an die Farbe Türkis und frische Ceviche, Bücherlesen am Meer und auf Terrassen sitzend, Schreiben in Notizhefte im Apartment oder Hotelzimmer.
Ich denke an meine täglichen Routinen, das teilweise vereiste Auto morgens um 6:40, die immer selben Menschen da draußen und die, die alle noch schlafen. Dallmayr Filterkaffee auf der Arbeit im Wechsel mit Calm & Relax Tee, Haferflocken und Heizungsluft, klirrende Kälte von draußen, die sich gegen die schlecht isolierten Fenster drückt wie ein Einbrecher.
Ich bin müde. Wortwörtlich und metaphorisch.

Ich überlege, wonach ich während vergangener Reisen gerochen habe, in Thailand, auf den Seychellen, in Singapur, in den USA, in Dubai, doch mir fällt kein explizites Parfum ein. Nach Duschcreme, mildem frischen Deospray und Sonnenschutz. Ein Parfum im Koffer für den Abend. In Tokio roch ich recht neutral, weil Japaner mit starken Gerüchen nicht gut zurechtkommen können bzw. selbst relativ neutral riechende Hautausdünstungen haben.
Auf Bali nach der Frangipani-Bodylotion, die ich dort gekauft hatte, in Marokko schmierte ich mir originales Arganöl in die Haarlängen, das nach nichts roch. Buttrig muffig höchstens.
Diese Zwischenjahre, die Duftpausen ohne großen Parfumkonsum.
Letztes Jahr auf Zypern roch ich nach "Art Land - Sintra | Memo Paris" und Olympēa LegendOlympēa Legend , beides aus dem duty free.

Die morgendliche Duftauswahl als Highlight, Duchessas temperamentvolle Kirsche rüttelt an mir, zieht mich mit sich. Abends sprühe ich mir Poudre d'OrPoudre d'Or aus einer neuen Abfüllung auf und fühle mich genau richtig, heil und geborgen, der Duft strengt mich nicht an. Der könnte mir langfristig gefährlich werden.
Trotzdem führe ich mein Parfuminteresse aktuell ad absurdum, obwohl ich für Parfumo-Verhältnisse ohnehin nie übertrieben habe.
Ich sollte wie früher Geld ausgeben für eine Reise, denke ich, neue extravagante Kleidung für den Urlaub, frisch in shape trainiert im neuen Jahr. Immerhin floss etwas Geld in neue Wohnzimmermöbel, in eine neue Wandfarbe, nicht nur in Düfte. Vieles musste in den letzten beiden Jahren bei mir ausfallen, wie auch bei euch wahrscheinlich: in 2020 waren es Vietnam, Porto & Lissabon, der Berlintrip.
2021 ließ ich ohnehin vieles auf Sparflamme laufen, bewegte mich wie ein vorsichtiges Reh durchs Jahr, bedacht darauf, nichts mehr (finanziell) zu riskieren und enttäuscht zu werden. Immerhin klappte im Juli 2021 Zypern.
Statt einen Kurztrip über meinen Geburtstag im April zu unternehmen wie die Jahre davor (z.B. Paris oder Barcelona), gönnte ich mir also 100ml "Casamorati - Bouquet Ideale | XerJoff" .
Ich funktioniere im Job und gehe meine routinierten Schritte durch den Alltag, versuche trotzdem, mich nicht zu sehr an das Beengte und Beschränkte zu gewöhnen.
Und doch ertappe ich mich dabei, dass mich auch rein hypothetische Fernreiseplanungen ermüden statt zu beflügeln wie „früher“; das Recherchieren hinsichtlich Reisezeiten, die einem beruflich/ privat dann nicht passen, die Gegebenheiten vor Ort abchecken, von A nach B zu kommen dort... auch da hat sich eine verwirrende Genügsamkeit oder aber auch schon Resignation eingeschlichen, gepaart mit dem Wissen, dass man ohnehin nichts mehr planen kann wie früher.
Die letzten beiden Jahre verflogen wie ein Daumenkino, und anstatt mein Jahr in Reisen, Pläne und Unternehmungen zu strukturieren, hangelte ich mich von Duft zu Duft, Abfüllung zu Abfüllung, boten sie mir doch eine schöne „Ersatzfreude“.
Parfums sind für mich auch immer eine Möglichkeit, sich hinter ihnen zu verstecken, wenn alles gerade schwierig ist, muss ich gestehen. Verdrängung. Ich neige zur gedanklichen Besessenheit als Ablenkung. Dann aber lieber weiterhin viele Bücher, fiebriges Schlafwandeln durch Buchläden.
Neue eigene Geschichten, Texte und Gedanken formulieren.
Nach Inspiration da draußen suchen.
Gespräche mit guten Freunden, wenn auch nur am Telefon oder beim Videotelefonat.
Eine Serie, die nicht berieselt, sondern mental bereichert. Vielleicht wieder eine Ausstellung besuchen, solange es möglich ist oder wieder irgendwann ins Theater.
Pläne machen, denn Vorfreude bleibt die schönste Freude. Zwischendurch an einem tollen Duft schnuppern und wissen, dass man ihn nicht haben MUSS.
Verschenken, was an Abfüllungen zu viel da ist, materiellen Besitz nicht ständig vermehren und gierig nach Neuem lechzen. Zufrieden sein für eine Weile und das Augenmerk auf andere Themen lenken, die nicht nur konsumorientiert sind.
Klamotten aussortieren, die beinahe neuwertig sind, und spenden.
Und so bleiben mir fürs erste…
schillernd schöne und sperrig kantige Wörter
in Büchern, Notizbüchern und auf dem Laptop;
wehmütiges Klicken durch Fotos, die von Fremde und Neuerfindung,
Auflösung & Zusammensetzung erzählen,
von Begegnungen;
das Kennenlernen neuer Düfte,
Neuentdeckungen statt zwanghaftem Konsum.
Denn manchmal ist alles perfekt;
Zuckerwattehimmel, der Geruch von Petrichor, der richtige Song im Radio zum perfekten Zeitpunkt und samstags ohne Wecker aufwachen.
Ein Buch lesen und die Wörter beim Lesen aufgeregt mit flüstern, die originellsten Sätze unterstreichen.
Wie im Rausch am Laptop schreiben und sich hinterher fragen, wo all das herkam.
Und dabei einen Fantasie anregenden Duft trage. "La Stanza delle Bambole | Nobile 1942" .
Oder "Gris Charnel | bdk Parfums" . Ein Spritzer nostalgischer Feenstaub EllenisiaEllenisia .

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