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PennyPearls Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 2 Jahren - 14.02.2022
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Kompensation und Obsession; Ode an das Selbst

Es ist Februar und ich trage öfters Andalusian SoulAndalusian Soul, der für mich nach würzig süßer Sonne riecht.
Wärme, Licht und Wandel.
Manchmal strahlt die Sonne durch die schmierigen Fenster auf der Arbeit und ich stelle mir vor, einfach wegzugehen. Einfach nur laufen und sehen, wer alles so unterwegs ist und nicht in einem Büro, in einem Krankenhaus, in einem Kindergarten, in einem Supermarkt, in einem Friseursalon sitzt oder steht, um zu arbeiten, mit Mundschutz, bedacht, sich nicht zu infizieren. Da draußen gehen Menschen jeden Alters mit Hunden Gassi, gehen einkaufen, shoppen, sitzen in ihren Autos mit ihrem Kaffee to go. Ich trinke meinen lauwarmen Kaffee und checke meine Mails. Leben im Konjunktiv.

Ich frage mich vermehrt, da ich mich im Februar vor 9 Jahren, mit Anfang/ Mitte 20, bei Parfumo anmeldete, wie es zu dieser vermeintlichen Duftobsession eigentlich gekommen ist; vielleicht eine Form der Kompensation? Wie Schuhe, die immer passen? Wie in dem Film bzw. Buch "In den Schuhen meiner Schwester", in dem die ältere Schwester unzählige Schuhe besitzt, denn die passen immer, egal wie viel die Protagonistin vielleicht an Gewicht zulegt.

In der Zeit meiner Parfumo-Anmeldung war meine damalige Gewichtszunahme im vollen Gange; ich hatte keine Freude mehr an Klamotten, ich wurde körperlich bequem, wie gefangen und gelähmt in einer langweiligen, nervigen 4-Jahres-Beziehung, bei der ich mich plötzlich fragte, warum ich je mit diesem Menschen zusammen sein wollte, da ich ihn weder intellektuell noch auf Humorebene interessant fand. Er schien wie ein Überbleibsel einer unreflektierten Postpubertät, also ließ ich mich eine Weile gehen, zeigte weniger Interesse an Sport, jeder hatte seine Sofaseite vor dem Fernseher, vernünftig kochen schien überbewertet, zu anstrengend. Reisen waren mit ihm nicht möglich, da er stets knapp bei Kasse war und er seine Jobsituation nicht verbessern wollte. Im Nachhinein weiß ich nicht, ob er je in einem Kunstmuseum oder im Theater war, er hatte nie irgendein Buch in unserer gemeinsamen Zeit gelesen, und seine Filmpräferenzen? Alberne Komödien (es gibt selbstverständlich gut durchdachte, tolle Komödien, die meine ich nicht) tiefgründiges Fachsimpeln, Diskutieren, Interpretationen waren miteinander nicht möglich. Wir fanden keine gemeinsame Ebene, nichts schien anregend. Also floh ich auf einmal in die Welt der Düfte, da ich Parfums immer mochte und ich es von meiner Mutter gewohnt war, dass man mehrere Parfums besitzen sollte. Ich entdeckte Parfumo, stieß auf Nischendüfte. Immerhin konnte ich mich durch Düfte irgendwie etwas glamouröser und aufregender fühlen, wenn ich schon keine Motivation hatte, meinen Körper auf Zack zu trimmen. Bis sich unsere Trennung, etwa 1 Jahr später, für mich schmerzfrei, ohne Liebeskummer und mit purer Erleichterung vollzog, ja, ich vergoss tatsächlich Tränen der Erlösung und der Scham darüber, mich so lang mit jemandem abgegeben zu haben, der so gar nicht zu mir passte und mir nichts Spannendes zu erzählen hatte.

Es mag kaltblütig und arrogant klingen, jedoch sind wir häufig längst schon auseinander, noch bevor wir uns tatsächlich trennen, emotional und mental lösen wir uns meist schon eher und ziehen es künstlich in die Länge, obwohl wir dem Menschen und der Beziehung längst nur noch mit Überdruss begegnen; das kennen wahrscheinlich einige von euch ebenfalls. Übrig bleibt dann meist Selbstekel, weil man sich passiv und träge fühlt, als hätte man lange Zeit plump und vollgefressen in einem schmuddeligen Sessel gelungert, unfähig, sich hoch zu wuchten und sich zu Veränderungen zu motivieren. Ich hatte also kein Mitgefühl mehr übrig, weder für ihn, noch für mich.

Dann begann das große Abnehmen und die Nachmittage voller Workouts, Parfums traten gänzlich in den Hintergrund und ich war weniger bei Parfumo unterwegs, bis ich es komplett vergaß. Es war eine Zeit der Selbstkontrolle, toxische Beziehungen folgten (was für eine Trendbezeichnung!) und trotzdem habe ich mich in der Zeit nie schön und gut genug gefühlt, trotz des fast täglichen Bauchmuskel-Workouts und des Dumbbell-Trainings und Power Yogas, ich reduzierte mich selbst auf meine neu erworbene Optik und strahlte wahrscheinlich eine extreme Unsicherheit und Dankbarkeit aus für jedes Kompliment, jede Aufmerksamkeit. Nun verreiste ich endlich wieder und zwar mit meinem besten Freund; der erste Ferntrip ging nach New York; superschlank, optisch mädchenhaft jugendlich und unschuldig, obwohl ich bereits 27 war, voller Elan und auch voller Naivität. Täglich ein bisschen Frühstück, ein Sushi-Snack nachmittags und abends eine dekadente Kleinigkeit in einem Restaurant in Manhattan; an jeder halbwegs fotogenen Ecke machten wir Fotos, auf denen ich mir faszinierend fremd oder neuartig erschien, als habe ich meinen eigenen vermeintlich besseren Klon erschaffen. Mein Magen und mein Hirn waren genügsam, die Nase ebenso, ich wüsste nicht mal, ob ich ein Parfum dabei hatte. Ich roch die Stadt, die sich in Schichten auf meine Haut zu legen schien, ich roch das Gebäck der verschiedenen Bäckereien und Cafés, die Hot Dogs und andere frittierte Straßensnacks, die Rosen im Botanischen Garten in Brooklyn.

Es folgten weitere Techtelmechtel und weitere Reisen mit dem Kumpel. Wie ich im Urlaub in der Dominikanischen Republik stolz nur ein Stückchen Kuchen naschte und den Rest diszipliniert wegschob; morgens Porridge mit Früchten, grüne Smoothies, Rührei, Naschereien am Abendbuffet, ein bisschen Pasta, ein Stück Pizza, ein bisschen Fisch oder Hühnchen, Gemüse, Meeresfrüchte, aber nur kleine Portionen. Zwischendurch kleine Workouts im klimatisierten Hotelzimmer mit Gymnastikbändern. Ich roch nach Hawaiian-Tropic -Sonnencreme und Kokospflege fürs Haar. Abends wurden die kompliziertesten Kleidchen getragen, kurze Röcke, elegante Oberteile, aufwändiges Schminken, bevor es zum Essen und zur Abendunterhaltung ging. Trotzdem musste ich vergeblich auf Nachrichten des Typen warten, den ich einige Wochen vor dem Urlaub kennengelernt hatte, der sich, kaum dass ich mit meinem besten Freund den Flieger nach Punta Cana bestieg, rar machte. Es gab so einige Reisen in diesen Jahren mit meinem Kumpel, die dem Eskapismus dienten, vielleicht auch der Selbstdarstellung, der Selbstversicherung, dass man es wert ist, dass alles unter Kontrolle war. Reisen, in denen ich irgendjemanden vermeintlich vermisste, der gar nicht so doll von mir vermisst werden wollte; in Tokio, New York, London, Dominikanischen Republik/ Punta Cana, an der Westküste der USA rund um Kalifornien und Vegas. Abendlliches hin-und-her-Schreiben mit WLAN im Hotelzimmer, Reisefotos an die neue Eroberung, flirtende Nachrichten, kryptisch subtile Fragen & Emojis. Perfekt aussehen, sich selbst nichts gönnen, Verzicht, hysterische Analysen, ob denn alles mit einem stimmt und ob der Typ einen noch so begehrt und toll findet wie noch vor Kurzem; diese sabbernden Zombies mit ihren Blumensträußen und Pralinen und kleinen Schmuckstücken in ihren unruhigen Händen, ihren Autos vor meinem Haus, mit denen sie mich gentlemen-like zu Dates abholten, ihrem Geruch nach Haarpflegeprodukten, Axe Deospray und Dior Homme Intense (2011)Dior Homme Intense (2011) . Auf ins Museum, in den Zoo, ins Kino, ins Planetarium, ins Restaurant, Hand auf meiner Hand, Flüstern, große Blicke, sein Gin Tonic wird auf Ex gekippt. Jetzt frage ich mich im Nachhinein, inwieweit ich glücklich war in dieser Phase; ausgeglichen und unbeschwert war ich sicherlich nicht. Letztlich war ich bloß auf der Jagd nach Bestätigung, die ich oftmals für Verliebtheit hielt, seinerseits, meinerseits und war am Boden zerstört, wenn es dann doch im Sande verlief; es gab so viele stille, melancholische Nachmittage auf der Terrasse meiner Mutter, in denen ich zu sezieren versuchte, was genau in meinem Hirn falsch von mir selbst "programmiert" war. Ich war innerlich gehetzt, gestresst, panisch, komplexbeladen, egal, wie ich inzwischen aussah.

Für Parfums blieb da jedenfalls kaum Platz, ich nutzte einfach die angeschafften Düfte: Classique (Eau de Toilette)Classique Eau de Toilette (mein damaliger Vamp- Date-Duft), By Night (White)By Night (White) (mein erster Nischenduft), Lann-AëlLann-Aël (mein Zuhause-Relax-Duft), EllenisiaEllenisia, Omnia Crystalline (Eau de Toilette)Omnia Crystalline Eau de Toilette, Miss Dior (2012) (Eau de Parfum)Miss Dior (2012) Eau de Parfum, Brit for Women (Eau de Parfum)Brit for Women Eau de Parfum, Kenzo AmourKenzo Amour. Doch hier auf Parfumo war ich, wie erwähnt, nicht mehr aktiv, ich gab mein Geld stattdessen lieber für Kleidung aus, in denen ich meinen neu errungenen Körper präsentieren konnte, die Selbstoptimierung sollte sich schließlich lohnen. Und wie berauschend es schien, einfach eine kleine Größe bestellen zu können und alles passte, es mussten nicht zur Vorsicht 3 Größen bestellt werden, in der Hoffnung, in eine hineinzupassen und trotzdem nicht richtig gut auszusehen (so kannte ich es zuvor), alles passte, alles gefiel mir.

Ich war in keinen Parfümerien mehr unterwegs, interessierte mich nicht für den duty-free-Bereich in Flughäfen und befasste mich nicht mehr mit Düften; wie viele andere nutzte ich morgens einfach einen Duft von den 5, 6 Parfums, die in meinem Schrank darauf warteten, aufgebraucht zu werden.

Bis mir zu Beginn der Pandemie alte Abfüllungen von ALzD in die Hände fielen, wie Relikte aus einem anderen Leben, lange verdrängt hatte ich meine "Duftobsession/ Duftkompensation". Ich roch an alten Abfüllungen mit Restepfützchen; MihimèMihimè, Loukhoum Eau PoudréeLoukhoum Eau Poudrée, I Love New York for HerI Love New York for Her, viele Düfte, die längst discontinued waren; diese Schnelllebigkeit hatte ich nicht erwartet. Seltsamerweise bekam ich Lust auf einen Duft, der mich in alte Zeiten katapultierte, auf Reisen mitnahm und ich stieß auf Chinatown (Eau de Parfum)Chinatown Eau de Parfum, von dem ich schon damals gehört hatte und bestellte ihn. Und so nahm das "Parfum-Unheil" wieder seinen Lauf.

Immer mit der Devise, nicht zu übertreiben, nicht unbedacht und gierig zu werden, keine Blindkäufe (bei denen man sich den jeweiligen Duft erstmal schönredet, denn hat ja Geld gekostet), nein, es wird intensiv getestet und regelmäßig überlegt, ob ich den wirklich, WIRKLICH will; ich mache mir gerne bewusst, dass ich für so manchen Duft schon beinahe in einen Kurztrip investieren könnte. Oder in eine schöne wichtige Möbelanschaffung.
Trotzdem fragte ich mich zunächst; kompensiere ich wieder etwas, weshalb ich mich wieder in die Welt der Düfte stürze? Lasse ich mich demnächst wie vor fast 10 Jahren wieder körperlich gehen, oder was ist da los? 😀

Vielleicht ist es, gerade in Pandemiezeiten, die Sehnsucht nach Gemeinschaft, die man hier, zumindest virtuell, bekommt. Man bekommt Einblicke in die Duftwelt anderer, man verfolgt das Konsumverhalten/ Sammlungszugänge anderer, man gibt einander Tipps und Anreize. Womöglich ginge es mir in einem Bücherforum dieser Art ähnlich; Interessen verbinden und dekadente Begierden wie Düfte bieten Zerstreuung, gerade in diesen Zeiten.

Ich träume immer wieder gerne davon, wie Frauen sich gänzlich frei von Zwängen machen, da dies auch besonders bei Düften natürlich ein interessantes Thema ist, wünsche uns, dass wir nicht mehr nur darum kreisen, anderen zu gefallen, nicht dauerhaft nach Bestätigung suchen, nicht mehr so dankbar für jeden hingeworfenem Krümel sind. Ich ermahne mich selbst dazu, dass es egal ist, ob ich Komplimente zu einem Duft bekomme, es lobt ja auch nicht jeder meinen Lippenstift oder meinen Pullover oder meine Armbanduhr. Und es dürfte meiner Meinung nach ruhig weniger Forumsfragen geben zum Thema "mit welchem Duft gefallen ich Männern?" Suche, was DIR gefällt. Finde, was dich stark macht. Zieh an, was dich begeistert, beschäftige dich mit Dingen/ Themen, die dich fesseln und bereichern. Es darf einem egal sein, wenn man jemandem nicht gefällt; es ist sogar mitunter die wichtigste Lektion. Es muss auch nicht ständig "body positivity" thematisiert werden, der weibliche Körper sollte auch einfach mal gar nicht im Fokus stehen, weder positiv noch negativ, sondern einfach neutral gesehen werden. Seid unbequem und auch mal unangepasst. Eckt an. Duftet nach Freiheit, nach Freude, nach Authentizität und tragt vor allem das, was euch am besten repräsentiert.

Heute trage ich "Shooting Stars - Apollonia | XerJoff" aus einer Abfüllung; ein weiches, einlullendes Nichts, wie der Sog in ein Paralleluniversum; dort ist vielleicht alles möglich und nichts ist mehr nur im Konjunktiv.

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