Cuir Béluga (Eau de Parfum) von Guerlain

Cuir Béluga 2005 Eau de Parfum

Meggi
21.04.2015 - 13:48 Uhr
45
Top Rezension
7Duft 7.5Haltbarkeit 5Sillage 10Flakon

Ikra? Ikra?

Beluga. Der Weißwal („weiß“ heißt auf Russisch bjeli, daher etwa auch Bjelarus für Weißrussland). Manches wurde nach ihm benannt: Zwei Greenpeace-Schiffe. Eine Reederei aus Bremen, die in einer unappetitlichen Insolvenz endete. Ein Großraum-Flugzeug von Airbus; ich sehe diese Blech-Monster oft vom Bürofenster aus im Lande-Anflug auf Finkenwerder, wenn im Zuge eines politisch motivierten Logistik-Irrsinns Riesen-Bauteile quer über ganz Europa hin und her kajohlt werden.

Mir persönlich fällt allerdings beim Begriff „Beluga“ zuerst der entsprechend bezeichnete Kaviar ein, der - zumindest überwiegend immer noch - bedauernswerten Fischen aus dem Leib geschnitten wird. Die einzigen (und wohl letzten) Male, dass ich davon gegessen habe, war als Jugendlicher anlässlich einer Reise in die Sowjetunion um den Jahreswechsel 1990/1991. Auf Russisch heißt Kaviar Ikra, hinten betont.

Selbst im real existierenden Sozialismus gab es die meisten inländischen Produkte ja wenigstens mal irgendwann irgendwo, wenngleich halt nur punktuell. Anders Kaviar. Wahrscheinlich, weil in einem Paradies der Werktätigen die Werktätigen keine Luxusgüter benötigen. Vom Kaviar verschwand nämlich anscheinend im Laufe des Herstellungs- und Transport-Prozesses unfasslicherweise alles.

Und tauchte im Geheimen an diversen Ecken wieder auf. Kaum hatte sich zum Beispiel die Tür des Fahrstuhls geschlossen, wisperte der Fahrstuhlführer „Ikra? Ikra?“ und verkaufte ihn rasch für fünf Dollar je Dose. Je handtellergroßer 125-Gramm-Dose. Und ich bin ziemlich sicher, dass das Zeug nicht gefälscht war. Nicht für fünf Dollar im Fahrstuhl. Das war geklaut. Darüber und über die rücksichtslose Gewinnung haben wir uns damals keine Gedanken gemacht. Ebenso wenig über die Borsäure, die als Konservierungsmittel - ausschließlich für dieses Produkt - verwendet wird und alles andere als gesund ist. Wir haben das Zeug löffelweise gefressen und mit dem nicht minder billigen und glücklicherweise offen-sicht-lich (im wahrsten Sinne des Wortes) methanol-freien Wodka vergleichbar inoffizieller Herkunft hinuntergespült.

Nach einem außergewöhnlich exzessiven Gelage im Hotelzimmer hatten wir einmal am kommenden Morgen einfach ein paar Dollar auf den Tisch gelegt, daneben einen Zettel in holperigem Russisch: „Bitte aufräumen“. Abends war alles picobello. Es waren sogar die Wachsreste aus den Teelicht-Wegwerf-Alu-Schälchen gekratzt. Für diese dekadente Großkotz-Nummer schäme ich mich bis heute.

Über die Benennung „Beluga“ für den Duft wurde schon gerätselt. Mir scheint in erster Linie die Spur „Weiß“ sinnvoll, weißes, mithin besonders edles Leder. Außerdem soll mit dem Wort gewiss allgemein Exklusivität ausgedrückt werden. Und das völlig zu Recht. Der Duft steht in meiner Wahrnehmung charakterlich eng (ehrlich gesagt: zu eng) neben seinem noblen Geschwist Bois d’Armenie. Natürlich nicht allein wegen der Guerlain-Vanillenote, von der viele so schwärmen. Ich gehöre leider nicht dazu, finde sie zu säuerlich. Indes bleibt sie hier bereits im Auftakt luftiger und für mich damit angenehmer. Nein, auch im „schwebenden Hinterteil“ sind sich beide Düfte stilistisch einigermaßen ähnlich.

Die Mandarine, selbst ohne Ansage wäre sie vermutlich gut identifizierbar, hält sich über mehrere Stunden dezent im Untergrund und ist als Ausgleicher tätig. Aber am wichtigsten ist für die Balance die sogleich präsente Ledernote vom Allerfeinsten; luftig, duftig und schwebend.

Doch all dies vermag nicht vom Kern abzulenken: Vanille. Die Dame am Guerlain-Stand im Hamburger Alsterhaus meinte, Cuir Beluga sei ihr Vanille-Duft und das darf man irritationsfrei glauben, denn es ist ein Vanille-Duft mit Leder und nicht andersrum.

Erst gegen Ende des Duftverlaufs, ab der siebenten Stunde, wird die Ledernote auf der Haut ein bisschen kräftiger. Schade, dass es dieser Eindruck nicht in die Projektion schafft, das hätte ich großartig gefunden. Einen Spritzer Cumarin könnte ich mir für die Basis einbilden. Ab Ende der achten Stunde ist im Wesentlichen Ruhe. Gleichwohl ist ein patchouli-dominierter Rest noch nach zwölf Stunden gut zu spüren.

Fazit: Mir ist er im Stil zu nahe am Bois d’Armenie. Hätte ich sie in umgekehrter Reihenfolge getestet, wäre ich womöglich von jenem etwas enttäuscht gewesen. So bin ich es von diesem. Eine anständige Bewertung hat er natürlich trotzdem verdient.

Vielen Dank an Dobbs für die Probe!
21 Antworten
JunocityJunocity vor 1 Jahr
Das ist jetzt schon sehr lange her aber ich hätte jetzt gedacht, dass sich der Name auf ‚Kaviar-Leder‘ (cuir caviar) bezieht, das gekörnte Leder mit dieser hubbeligen Oberfläche? Und das in der Edelversion Beluga, als Krönung des Caviar sozusagen? Habe aber noch keinen gegessen :-)
TradescantiaTradescantia vor 5 Jahren
Wien habe ich leider noch nicht besuchen können. Habe in der Umgebung bisher nur die Natur gesehen. Das Parfum scheint ein Volltreffer gewesen zu sein. Einer, der nur selten zu erleben ist.
Ich hatte und habe ein solches Erlebnis mit Fracas. Toller Kommentar.
Hat mich neugierig gemacht.
CosmicLoveCosmicLove vor 6 Jahren
Danke. Wieder ein großartiger Kommi von Dir. Mit dem Bogen hast du sämtliche Assoziationen abgedeckt, die sich auch mir bzgl. der Namensgebung aufdrängen. Ich finde den Duft "ganz gut", bin keine Vanilleverrückte. Und werde ihn bei kühleren Temperaturen nochmal versuchen. Aber bisher "hat er mich nicht".....
PureNeugierPureNeugier vor 7 Jahren
Während man aufgrund ihrer hellen Zwitscher- und Pfeiftöne die Belugawale auch „Kanarienvögel der Meere“ nennt, hat mir hier ein ganz anderer Vogel etwas über einen sehr schönen Duft gezwitschert, den ich nun unbedingt probieren möchte. Danke Dir, liebes Meggi-Vögelchen ;-)
HyazintheHyazinthe vor 10 Jahren
Muss meine verfrühte Antwort revidieren, die Haut hat halt doch einen Stoff-WECHSEL, sodass der Duft jetzt ganz wunderbar sich entwickelt, die wunderbare Vanille bindet das Leder herrlich ein, etwas leicht zitrisches hebt das Ganze ins Frische. Uiuiu!
MargamotteMargamotte vor 11 Jahren
Wunderbar, dass Du Dir diesen Guerlain-Klassiker (kann man schon sagen, oder?) vorgenommen hast. Die Ähnlichkeit zum Bois ist mir nicht so gegenwärtig, ich hatte zuvor jedoch Angelique Noire entdeckt und ihn an dem gemessen. AN gewinnt bis heute.
MandelmausMandelmaus vor 11 Jahren
Du hast wirklich zu jedem Duft eine Story auf Lager, ich bin beeindruckt :) Den Duft mag ich sehr, für mich auch eindeutig unisex.
YataganYatagan vor 11 Jahren
Während ich den Tonka Imp. recht gut finde, habe ich mit diesem hier echte Probleme. Muss dem noch mal auf die Spur kommen.
IngerInger vor 11 Jahren
... und dieses Proberl wartet noch auf mich!
MisterEMisterE vor 11 Jahren
Mensch der klingt ja, als ob der mir gefallen könnte! Den muß ich mir wohl mal auf den großen Zettel nehmen!
BeatriceABeatriceA vor 11 Jahren
Ich stelle fest: Vanille mit Leder mag ich nicht. Schön finde ich hier nur den Auftakt, danach wird er an mir dumpf-vanillig und eintönig. "Bois d’Armenie" dagegen mag ich sehr, der langweilt mich nie - Weihrauch sei Dank.
DobbsDobbs vor 11 Jahren
Gerne doch ;o) Wie unterschiedlich Nasen doch ticken können - auf eine Ähnlichkeit mit Bois d'Armenie wäre ich nie gekommen.
GaukeleyaGaukeleya vor 11 Jahren
*sabberlechz* Ich fürchte, der kann nun ungetestet von meiner Merk- auf die Wunschliste weiterziehen. Sehr kurzweiliger, informativer Kommentar!
PlutoPluto vor 11 Jahren
Leder mit Vanille wäre eher meins. Gelage in Hotelzimmern, so, so und noch ein tss.....
SeeroseSeerose vor 11 Jahren
Mich hat der nicht begeistert, aber Leder ist nicht meins. Schön beschrieben, Kaviar, als DEN habe ich noch nicht gegessen. dir einen Pokal mit Wasser zum Durstlöschen nach dem salzigen Zeugs.
KleopatraKleopatra vor 11 Jahren
Den muss ich auch nochmal testen. Vanille finde ich ja meistens sehr ansprechend...
OrmeliOrmeli vor 11 Jahren
Ungemein interessanter Kommi – auf Vanille bin ich gerade (mal wieder) schlecht zu sprechen, aber davon abgesehen hört sich das gut an :-))
PaloneraPalonera vor 11 Jahren
Ich weiß, Du wirst mich jetzt hauen. Trotzdem: Beim ersten Blick auf die Überschrift dachte ich "Was hat er nun nur mit Ikea und wie will er da die Kurve zu Guerlain kriegen?!" - vermutlich sollte ich mich mal wieder zum Optiker begeben...
ErgoproxyErgoproxy vor 11 Jahren
Irgendwann, wenn ich dran denke, teste ich ihn....:)
Escada1970Escada1970 vor 11 Jahren
Mit Bois d'Armenie hätte ich nie verglichen...unsere Nasen sind schon sehr unterschiedlich :D
MrWhiteMrWhite vor 11 Jahren
Für mich mit Abstand der beste aus der Reihe :-) Ich mag halt Vanille :-)