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Top Rezension
Ikra? Ikra?
Beluga. Der Weißwal („weiß“ heißt auf Russisch bjeli, daher etwa auch Bjelarus für Weißrussland). Manches wurde nach ihm benannt: Zwei Greenpeace-Schiffe. Eine Reederei aus Bremen, die in einer unappetitlichen Insolvenz endete. Ein Großraum-Flugzeug von Airbus; ich sehe diese Blech-Monster oft vom Bürofenster aus im Lande-Anflug auf Finkenwerder, wenn im Zuge eines politisch motivierten Logistik-Irrsinns Riesen-Bauteile quer über ganz Europa hin und her kajohlt werden.
Mir persönlich fällt allerdings beim Begriff „Beluga“ zuerst der entsprechend bezeichnete Kaviar ein, der - zumindest überwiegend immer noch - bedauernswerten Fischen aus dem Leib geschnitten wird. Die einzigen (und wohl letzten) Male, dass ich davon gegessen habe, war als Jugendlicher anlässlich einer Reise in die Sowjetunion um den Jahreswechsel 1990/1991. Auf Russisch heißt Kaviar Ikra, hinten betont.
Selbst im real existierenden Sozialismus gab es die meisten inländischen Produkte ja wenigstens mal irgendwann irgendwo, wenngleich halt nur punktuell. Anders Kaviar. Wahrscheinlich, weil in einem Paradies der Werktätigen die Werktätigen keine Luxusgüter benötigen. Vom Kaviar verschwand nämlich anscheinend im Laufe des Herstellungs- und Transport-Prozesses unfasslicherweise alles.
Und tauchte im Geheimen an diversen Ecken wieder auf. Kaum hatte sich zum Beispiel die Tür des Fahrstuhls geschlossen, wisperte der Fahrstuhlführer „Ikra? Ikra?“ und verkaufte ihn rasch für fünf Dollar je Dose. Je handtellergroßer 125-Gramm-Dose. Und ich bin ziemlich sicher, dass das Zeug nicht gefälscht war. Nicht für fünf Dollar im Fahrstuhl. Das war geklaut. Darüber und über die rücksichtslose Gewinnung haben wir uns damals keine Gedanken gemacht. Ebenso wenig über die Borsäure, die als Konservierungsmittel - ausschließlich für dieses Produkt - verwendet wird und alles andere als gesund ist. Wir haben das Zeug löffelweise gefressen und mit dem nicht minder billigen und glücklicherweise offen-sicht-lich (im wahrsten Sinne des Wortes) methanol-freien Wodka vergleichbar inoffizieller Herkunft hinuntergespült.
Nach einem außergewöhnlich exzessiven Gelage im Hotelzimmer hatten wir einmal am kommenden Morgen einfach ein paar Dollar auf den Tisch gelegt, daneben einen Zettel in holperigem Russisch: „Bitte aufräumen“. Abends war alles picobello. Es waren sogar die Wachsreste aus den Teelicht-Wegwerf-Alu-Schälchen gekratzt. Für diese dekadente Großkotz-Nummer schäme ich mich bis heute.
Über die Benennung „Beluga“ für den Duft wurde schon gerätselt. Mir scheint in erster Linie die Spur „Weiß“ sinnvoll, weißes, mithin besonders edles Leder. Außerdem soll mit dem Wort gewiss allgemein Exklusivität ausgedrückt werden. Und das völlig zu Recht. Der Duft steht in meiner Wahrnehmung charakterlich eng (ehrlich gesagt: zu eng) neben seinem noblen Geschwist Bois d’Armenie. Natürlich nicht allein wegen der Guerlain-Vanillenote, von der viele so schwärmen. Ich gehöre leider nicht dazu, finde sie zu säuerlich. Indes bleibt sie hier bereits im Auftakt luftiger und für mich damit angenehmer. Nein, auch im „schwebenden Hinterteil“ sind sich beide Düfte stilistisch einigermaßen ähnlich.
Die Mandarine, selbst ohne Ansage wäre sie vermutlich gut identifizierbar, hält sich über mehrere Stunden dezent im Untergrund und ist als Ausgleicher tätig. Aber am wichtigsten ist für die Balance die sogleich präsente Ledernote vom Allerfeinsten; luftig, duftig und schwebend.
Doch all dies vermag nicht vom Kern abzulenken: Vanille. Die Dame am Guerlain-Stand im Hamburger Alsterhaus meinte, Cuir Beluga sei ihr Vanille-Duft und das darf man irritationsfrei glauben, denn es ist ein Vanille-Duft mit Leder und nicht andersrum.
Erst gegen Ende des Duftverlaufs, ab der siebenten Stunde, wird die Ledernote auf der Haut ein bisschen kräftiger. Schade, dass es dieser Eindruck nicht in die Projektion schafft, das hätte ich großartig gefunden. Einen Spritzer Cumarin könnte ich mir für die Basis einbilden. Ab Ende der achten Stunde ist im Wesentlichen Ruhe. Gleichwohl ist ein patchouli-dominierter Rest noch nach zwölf Stunden gut zu spüren.
Fazit: Mir ist er im Stil zu nahe am Bois d’Armenie. Hätte ich sie in umgekehrter Reihenfolge getestet, wäre ich womöglich von jenem etwas enttäuscht gewesen. So bin ich es von diesem. Eine anständige Bewertung hat er natürlich trotzdem verdient.
Vielen Dank an Dobbs für die Probe!
Mir persönlich fällt allerdings beim Begriff „Beluga“ zuerst der entsprechend bezeichnete Kaviar ein, der - zumindest überwiegend immer noch - bedauernswerten Fischen aus dem Leib geschnitten wird. Die einzigen (und wohl letzten) Male, dass ich davon gegessen habe, war als Jugendlicher anlässlich einer Reise in die Sowjetunion um den Jahreswechsel 1990/1991. Auf Russisch heißt Kaviar Ikra, hinten betont.
Selbst im real existierenden Sozialismus gab es die meisten inländischen Produkte ja wenigstens mal irgendwann irgendwo, wenngleich halt nur punktuell. Anders Kaviar. Wahrscheinlich, weil in einem Paradies der Werktätigen die Werktätigen keine Luxusgüter benötigen. Vom Kaviar verschwand nämlich anscheinend im Laufe des Herstellungs- und Transport-Prozesses unfasslicherweise alles.
Und tauchte im Geheimen an diversen Ecken wieder auf. Kaum hatte sich zum Beispiel die Tür des Fahrstuhls geschlossen, wisperte der Fahrstuhlführer „Ikra? Ikra?“ und verkaufte ihn rasch für fünf Dollar je Dose. Je handtellergroßer 125-Gramm-Dose. Und ich bin ziemlich sicher, dass das Zeug nicht gefälscht war. Nicht für fünf Dollar im Fahrstuhl. Das war geklaut. Darüber und über die rücksichtslose Gewinnung haben wir uns damals keine Gedanken gemacht. Ebenso wenig über die Borsäure, die als Konservierungsmittel - ausschließlich für dieses Produkt - verwendet wird und alles andere als gesund ist. Wir haben das Zeug löffelweise gefressen und mit dem nicht minder billigen und glücklicherweise offen-sicht-lich (im wahrsten Sinne des Wortes) methanol-freien Wodka vergleichbar inoffizieller Herkunft hinuntergespült.
Nach einem außergewöhnlich exzessiven Gelage im Hotelzimmer hatten wir einmal am kommenden Morgen einfach ein paar Dollar auf den Tisch gelegt, daneben einen Zettel in holperigem Russisch: „Bitte aufräumen“. Abends war alles picobello. Es waren sogar die Wachsreste aus den Teelicht-Wegwerf-Alu-Schälchen gekratzt. Für diese dekadente Großkotz-Nummer schäme ich mich bis heute.
Über die Benennung „Beluga“ für den Duft wurde schon gerätselt. Mir scheint in erster Linie die Spur „Weiß“ sinnvoll, weißes, mithin besonders edles Leder. Außerdem soll mit dem Wort gewiss allgemein Exklusivität ausgedrückt werden. Und das völlig zu Recht. Der Duft steht in meiner Wahrnehmung charakterlich eng (ehrlich gesagt: zu eng) neben seinem noblen Geschwist Bois d’Armenie. Natürlich nicht allein wegen der Guerlain-Vanillenote, von der viele so schwärmen. Ich gehöre leider nicht dazu, finde sie zu säuerlich. Indes bleibt sie hier bereits im Auftakt luftiger und für mich damit angenehmer. Nein, auch im „schwebenden Hinterteil“ sind sich beide Düfte stilistisch einigermaßen ähnlich.
Die Mandarine, selbst ohne Ansage wäre sie vermutlich gut identifizierbar, hält sich über mehrere Stunden dezent im Untergrund und ist als Ausgleicher tätig. Aber am wichtigsten ist für die Balance die sogleich präsente Ledernote vom Allerfeinsten; luftig, duftig und schwebend.
Doch all dies vermag nicht vom Kern abzulenken: Vanille. Die Dame am Guerlain-Stand im Hamburger Alsterhaus meinte, Cuir Beluga sei ihr Vanille-Duft und das darf man irritationsfrei glauben, denn es ist ein Vanille-Duft mit Leder und nicht andersrum.
Erst gegen Ende des Duftverlaufs, ab der siebenten Stunde, wird die Ledernote auf der Haut ein bisschen kräftiger. Schade, dass es dieser Eindruck nicht in die Projektion schafft, das hätte ich großartig gefunden. Einen Spritzer Cumarin könnte ich mir für die Basis einbilden. Ab Ende der achten Stunde ist im Wesentlichen Ruhe. Gleichwohl ist ein patchouli-dominierter Rest noch nach zwölf Stunden gut zu spüren.
Fazit: Mir ist er im Stil zu nahe am Bois d’Armenie. Hätte ich sie in umgekehrter Reihenfolge getestet, wäre ich womöglich von jenem etwas enttäuscht gewesen. So bin ich es von diesem. Eine anständige Bewertung hat er natürlich trotzdem verdient.
Vielen Dank an Dobbs für die Probe!
21 Antworten
Ich hatte und habe ein solches Erlebnis mit Fracas. Toller Kommentar.
Hat mich neugierig gemacht.