15.06.2014 - 14:31 Uhr
Palonera
467 Rezensionen
Palonera
Sehr hilfreiche Rezension
23
der Spiegel der Eiskönigin
Als ich ein Kind war, gab es in den Häusern meiner Eltern und Großeltern noch keine Heizung.
Alt waren die Häuser und einfach – sie stammten aus einer Zeit, in der es selbstverständlich war, mit Holz und Kohle zu heizen, teilweise sogar noch zu kochen, wie meine Großmutter es tat, als ich noch sehr klein war.
Sie hatte einen uralten schmiedeeisernen Herd, in dem sommers wie winters ein Feuer brannte und auf dem Töpfe und Kessel standen, in denen meist die köstlichsten Speisen, manchmal aber auch die Wäsche vor sich hin köchelte.
Dieser Herd stand im Zentrum des Hauses, weit entfernt von allen Außenwänden und Fenstern.
Er diente in der kühleren Jahreszeit nicht nur als Küchenhelfer, sondern auch als Wärmespender, so daß meine Großeltern stets ein wachsames Auge auf das Feuer hatten, das niemals ausgehen durfte.
Sie lebten im Hochsauerland, dort, wo die Winter jener Zeit immer weiß waren, wo der Schnee bis zur Hüfte der Erwachsenen ging und im Januar furchterregend schöne Eiszapfen von den Dächern wuchsen, länger und immer länger, bis es zur Mutprobe wurde, unter ihnen hindurchzugehen.
Es war kalt dort, als ich ein Kind war, sehr kalt – wenn ich die Weihnachtsferien bei meinen Großeltern verbrachte und morgens aus dem Bett kletterte, konnte man nicht aus dem Fenster schauen.
Dicht an dicht bedeckten zartgeklöppelte Spitzen die Scheiben, verwehrten die Sicht ins Freie, glitzernd in der frühen Morgensonne, keine der anderen gleichend, fein gespinstig und fragil und gleichzeitig scharf, hart, spitz – kaum wagte ich, meinen Finger gegen die eisige Scheibe zu drücken, ängstlich den Stich, den Schnitt erwartend und doch wissend, daß ich die Stärkere sein würde, jene, die die Macht hatte, das nächtliche Wunder zu zerstören mit nur einem Fingerdruck, mit der Wärme meiner noch schlaferhitzten Haut, sie zu pflücken, die Eisblumen, fröstelnd in der Kühle der Schlafkammer, die Zehen gekrümmt gegen die Kälte, schwankend zwischen Triumph und Bedauern, als Loch um Loch um Loch der Spiegel der Eiskönigin zerbrach.
Niemals mehr wieder seit jener Zeit habe ich Eisblumen gesehen.
Niemals mehr wieder hatte ich den Duft dieser frühen Wintermorgen in der Nase – diesen klaren, kalten, wässrigen, in der an die Scheibe gepreßten Nase stechenden Hauch, vermischt mit dem dumpfen, trockenen Geruch der alten hölzernen Fensterrahmen, von denen hier und da die Farbe abblätterte, ein wenig Staub und weit im Hintergrund der Duft getrockneter Kräuter, die meine Großmutter in großen Stoffbeuteln in der Hinterkammer aufbewahrte.
Niemals mehr wieder in all den Jahren, den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, habe ich an jene Winter gedacht, immer nur an die Sommer.
Niemals mehr wieder – bis ich "Fleurs de Glace" in den Händen hielt, den letzten noch ungetesteten Duft in Ellen Coveys schwarzem Schatzkästchen.
Würde ich ihn wiedersehen, den Spiegel der Eiskönigin?
Bitter, grün und harzig erblühen Ellen Coveys Eisblumen auf meiner Haut – harsch und abweisend im ersten Atemzug, im zweiten bereits eine Ahnung von Süße, von beschwichtigender Wärme, von der Sonne hinter dem Eis, das doch keines ist, keines zu sein scheint, nicht für mich.
Die Nase dicht am Handgelenk, an jenem einen Tropfen, der sich in den Verästelungen meiner Haut verkrochen hat, als fröre ihn, atme ich, warte ich, entdecke ich Gummi, pflanzlichgrünzähes Gummi, zerquetschte Stengel, grün, wässrig, dunkel und herb, durchzogen von ätherischen Schlieren, licht und ein wenig scharf, ein wenig bitter, streng fast, doch nur fast, denn noch immer ist da die Süße, die leichte, zarte, feine Süße, jene biskuitartige, die mir zuzwinkert, als wolle sie sagen, es ist nichts, glaub nicht alles, was du riechst, glaub nicht alles, was sie dir erzählen, vertrau mir und du wirst sehen...
Minuten vergehen, Viertelstunden vergehen, das scharfe Grün vergeht, verwandelt sich in dunkeltrockenvanillige, ätherisch-würzige Süße, schwerelos, körperlos, dicht an meiner Haut, ganz dicht, verschmolzen fast.
Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden später sind die Eisblumen verblüht bis auf einen vanillig-rauchigen, wunderbar klassischwarmweichen Hauch – meine Augen sind geschlossen, ich bin wieder fünf Jahre alt, meine Großmutter steht vor dem Herd, dessen geöffnete Klappe den Blick auf das knisternde, lodernde Feuer lenkt.
Ein wenig Rauch entweicht und vermischt sich mit dem Duft frisch gebackener Vanilleplätzchen, die noch heiß auf dem Blech auf mich warten.
Draußen ist es dunkel und kalt, sehr kalt, doch hier drinnen ist es warm, behaglich und geborgen.
"Morgen früh schauen wir in den Spiegel der Eiskönigin", sagt Großmutter, schließt die Klappe und reicht mir einen Keks.
Alt waren die Häuser und einfach – sie stammten aus einer Zeit, in der es selbstverständlich war, mit Holz und Kohle zu heizen, teilweise sogar noch zu kochen, wie meine Großmutter es tat, als ich noch sehr klein war.
Sie hatte einen uralten schmiedeeisernen Herd, in dem sommers wie winters ein Feuer brannte und auf dem Töpfe und Kessel standen, in denen meist die köstlichsten Speisen, manchmal aber auch die Wäsche vor sich hin köchelte.
Dieser Herd stand im Zentrum des Hauses, weit entfernt von allen Außenwänden und Fenstern.
Er diente in der kühleren Jahreszeit nicht nur als Küchenhelfer, sondern auch als Wärmespender, so daß meine Großeltern stets ein wachsames Auge auf das Feuer hatten, das niemals ausgehen durfte.
Sie lebten im Hochsauerland, dort, wo die Winter jener Zeit immer weiß waren, wo der Schnee bis zur Hüfte der Erwachsenen ging und im Januar furchterregend schöne Eiszapfen von den Dächern wuchsen, länger und immer länger, bis es zur Mutprobe wurde, unter ihnen hindurchzugehen.
Es war kalt dort, als ich ein Kind war, sehr kalt – wenn ich die Weihnachtsferien bei meinen Großeltern verbrachte und morgens aus dem Bett kletterte, konnte man nicht aus dem Fenster schauen.
Dicht an dicht bedeckten zartgeklöppelte Spitzen die Scheiben, verwehrten die Sicht ins Freie, glitzernd in der frühen Morgensonne, keine der anderen gleichend, fein gespinstig und fragil und gleichzeitig scharf, hart, spitz – kaum wagte ich, meinen Finger gegen die eisige Scheibe zu drücken, ängstlich den Stich, den Schnitt erwartend und doch wissend, daß ich die Stärkere sein würde, jene, die die Macht hatte, das nächtliche Wunder zu zerstören mit nur einem Fingerdruck, mit der Wärme meiner noch schlaferhitzten Haut, sie zu pflücken, die Eisblumen, fröstelnd in der Kühle der Schlafkammer, die Zehen gekrümmt gegen die Kälte, schwankend zwischen Triumph und Bedauern, als Loch um Loch um Loch der Spiegel der Eiskönigin zerbrach.
Niemals mehr wieder seit jener Zeit habe ich Eisblumen gesehen.
Niemals mehr wieder hatte ich den Duft dieser frühen Wintermorgen in der Nase – diesen klaren, kalten, wässrigen, in der an die Scheibe gepreßten Nase stechenden Hauch, vermischt mit dem dumpfen, trockenen Geruch der alten hölzernen Fensterrahmen, von denen hier und da die Farbe abblätterte, ein wenig Staub und weit im Hintergrund der Duft getrockneter Kräuter, die meine Großmutter in großen Stoffbeuteln in der Hinterkammer aufbewahrte.
Niemals mehr wieder in all den Jahren, den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, habe ich an jene Winter gedacht, immer nur an die Sommer.
Niemals mehr wieder – bis ich "Fleurs de Glace" in den Händen hielt, den letzten noch ungetesteten Duft in Ellen Coveys schwarzem Schatzkästchen.
Würde ich ihn wiedersehen, den Spiegel der Eiskönigin?
Bitter, grün und harzig erblühen Ellen Coveys Eisblumen auf meiner Haut – harsch und abweisend im ersten Atemzug, im zweiten bereits eine Ahnung von Süße, von beschwichtigender Wärme, von der Sonne hinter dem Eis, das doch keines ist, keines zu sein scheint, nicht für mich.
Die Nase dicht am Handgelenk, an jenem einen Tropfen, der sich in den Verästelungen meiner Haut verkrochen hat, als fröre ihn, atme ich, warte ich, entdecke ich Gummi, pflanzlichgrünzähes Gummi, zerquetschte Stengel, grün, wässrig, dunkel und herb, durchzogen von ätherischen Schlieren, licht und ein wenig scharf, ein wenig bitter, streng fast, doch nur fast, denn noch immer ist da die Süße, die leichte, zarte, feine Süße, jene biskuitartige, die mir zuzwinkert, als wolle sie sagen, es ist nichts, glaub nicht alles, was du riechst, glaub nicht alles, was sie dir erzählen, vertrau mir und du wirst sehen...
Minuten vergehen, Viertelstunden vergehen, das scharfe Grün vergeht, verwandelt sich in dunkeltrockenvanillige, ätherisch-würzige Süße, schwerelos, körperlos, dicht an meiner Haut, ganz dicht, verschmolzen fast.
Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden später sind die Eisblumen verblüht bis auf einen vanillig-rauchigen, wunderbar klassischwarmweichen Hauch – meine Augen sind geschlossen, ich bin wieder fünf Jahre alt, meine Großmutter steht vor dem Herd, dessen geöffnete Klappe den Blick auf das knisternde, lodernde Feuer lenkt.
Ein wenig Rauch entweicht und vermischt sich mit dem Duft frisch gebackener Vanilleplätzchen, die noch heiß auf dem Blech auf mich warten.
Draußen ist es dunkel und kalt, sehr kalt, doch hier drinnen ist es warm, behaglich und geborgen.
"Morgen früh schauen wir in den Spiegel der Eiskönigin", sagt Großmutter, schließt die Klappe und reicht mir einen Keks.
15 Antworten