Noir Anthracite von Tom Ford

Noir Anthracite 2017

Medianus76
17.10.2020 - 18:06 Uhr
24
Top Rezension
9Duft 8Haltbarkeit 8Sillage 8Flakon

Fifty shades of grey...

Nein...ganz sicher nicht! Mit großer Gewissheit ist jetzt jeder hier lesende Parfumo bzw Parfuma geneigt an einen einschlägigen Filmtitel zu denken. Hieraus wird aber leider nichts, oder sollte ich besser sagen Gott sei Dank?! Das liegt, wie so oft, im Auge des Betrachters.
Ich wählte diesen treffenden Titel deswegen, weil Anthracite in meinen Augen genau diese sehr vielfältigen Grauschattierungen präsentiert. Eine ganze Weile begleitet mich dieser intensive und sehr ausdrucksstarke Tom Ford nun schon, weswegen ich ihm ein paar Zeilen mehr widmen möchte, hier mit diesem Kommentar.
Noir Anthracite startet Abstand nehmend und auf Distanz gehend. Viele dieser grauen Facetten und düsteren Sprenkler zeigen sich in der Eröffnungsphase. Durch den präzise und gekonnten Einsatz des Szechuanpfeffers und der Tuberose entstehen Eindrücke eines kühl mattierten Schleiers, welcher sich mit einer gewissen Säure, Schärfe und Bitternote auf die Haut legt. So als ob er sagen würde: Da bin ich nun, und werde auch nicht mehr so schnell gehen! Jetzt sie zu wie Du mit mir zurecht kommst...
Dieses "zurecht kommen" meine ich tatsächlich so. Noir Anthracite besitzt meiner Meinung nach nämlich eine sehr stark emotional kaskadierende Komponente. Durch diesen latent melancholischen Start hatte ich schon Tage, an denen ich das Auftragen fast bereut habe. Denn wenn die eigene Gefühlslage nicht dem "mir scheint die Sonne aus dem..." gleichkommt, vermag der Duft diesen Zustand sogar eher im negativen zu unterstützen.
Ob ich dieses Phänomen nun gut oder schlecht heißen soll wusste ich lange Zeit selbst nicht. Mittlerweile sehe ich das aber klarer. Denn das Konzept des Duftes wurde mit aller Konsequenz umgesetzt. Sowas ist in jeder Hinsicht löblich und tadellos. Ich als Träger muss eben entscheiden, ob ich mich in dem dazu passenden Modus befinde.
Zur aktuell anstehenden Jahreszeit, dem Herbst, passt der Duft dennoch perfekt. Noir Anthracite ist schlichtweg prädestiniert jetzt, im Herbst, getragen zu werden. Sobald sich ein, sagen wir mal, gewisser groove mit dem Duftschleier eingestellt hat, funktioniert Noir einfach großartig. Seine Großartigkeit erhält der Duft durch seine ihm inne wohnende Ambivalenz - seine Widersprüchlichkeit! Paradoxerweise wird nach einer gewissen Zeit, ziemlich genau dann wenn die dunklen Edelhölzer die Regie übernehmen, das ganze Duftspektrum umgekrempelt respektive gekippt. Plötzlich ist da ganz viel Wärme und Geborgenheit. Weiche und sanfte Nuancen nehmen dem anfänglich harten Konstrukt die kalten und scharfen Kanten, die den Duft zu Beginn schon fast lieblos machten.
Klassisch, elegant und perfekt in Szene gesetzt duftende Hölzer verwandeln den kühlen Schleier in einen wärmenden Mantel. So entsteht ein anschmiegsamer Begleiter für den nahezu gesamten Tag. Denn ihn zeichnet auch eine gewisse Unverwüstlichkeit aus. Mehrere Stunden Haltbarkeit sind kein Problem. Deswegen sollte auch die Dosierung mit Bedacht gewählt werden, um die Sillage und Projektion nicht ausufern zu lassen.
In seiner Gesamtheit betrachtet ist Noir Anthracite genau das was er sein will bzw sein soll. Sicherlich nicht für jeden geeignet, auf seine Art speziell, für mich aber unbedingt authentisch und überzeugend, unnahbar kühl und anschmiegsam warm, abweisend fremd und anziehend vertraut...

*Das Glück besteht nicht darin, dass ich tue was ich will, sondern das ich will, was ich tue*

Vielen Dank für´s lesen...

Anm.d.Red.: ich kenn den Film gar nicht...:-))
19 Antworten
YataganYatagan vor 5 Jahren
1
Sehr gut! Ein starker Duft!
KovexKovex vor 5 Jahren
1
Sehr treffend beschrieben. Mir hat er auch gefallen, aber nach mehrmaligen Testen wurde es dann doch kein Kaufkandidat. Aber wer weiß, der Geschmack ändert sich ja hin und wieder... ;)
NuiWhakakoreNuiWhakakore vor 5 Jahren
1
Als großer Fan von Buch und Film... nein, war ein Scherz, kenne ich natürlich nicht ;-)
Den Duft auch nicht, aber nach Deinem Kommentar muß ich wohl eher sagen, noch nicht. Kommt auf die ML!
Zauber600Zauber600 vor 5 Jahren
1
Diese Art Düfte - bspw Grey Flannel, Eau Gentiane oder Opus VII - muß man (er-)tragen können und sollte ausgeglichenen Gemüts sein sonst wird das nichts. Ich habe diese etwas abweisende 'graue' Stilistik gerne - ist ja in wirklich rauhe Schale ein weicher Kern verborgen und das erkennen dann schon die richtigen Mitmenschen ;-)
Die hier verbaute wässerige Tuberose ist ganz sicher maskulin und gelungen wie Dein Kommentar auch. Gerne gelesen - Pokälsche!!
ViolettViolett vor 5 Jahren
1
Ambivalenz und Veränderungen im Duft sind immer spannend und faszinierend. Manche Düfte muß man sich so ein Bisschen erarbeiten und mag sie dadurch um so lieber. Der hier könnte so einer sein.
ParmaParma vor 5 Jahren
1
Ich auch nicht und das Buch auch nicht :) Du charakterisierst den Duft sehr treffend und schön genau. Das gefällt mir. Ich sehe den auch so, dass er mit großer Konsequenz und sehr kompromisslos entworfen wurde, was ja einige Tom Fords auszeichnet. Er hat vor allem keine Scheu seine Liebe und Achtung vor Vintage-Düften mit seinen Kreationen zu zeigen. Mir war der Beginn, wie von dir beschrieben, etwas zu abweisend, um ihm eine weitere Chance zu geben. Bewundert habe ich ihn aber trotzdem.
NorleansNorleans vor 5 Jahren
1
Ein sehr schöner Kommentar zu einem grandiosen Duft. Etwas Wärmendes entwickelt sich bei mir nicht, trotzdem, bzw. gerade deswegen mag ich ihn sehr. Diese Distanziertheit, die NA mit sich bringt, ist manchmal genau das, was man braucht.
EstefaniaEstefania vor 5 Jahren
1
Den Duft hab ich meinem Monsieur geschenkt. Eine starke Persönlichkeit, zu der er perfekt passt. Du hast ihn perfekt beschrieben.
Can777Can777 vor 5 Jahren
1
Perfekt beschrieben würde ich sagen!
Ich kenne den Duft selbstverständlich auch,aber mir war er auf eine suspekte Art immer zu distanziert. Aber das ist Grau nun mal auch! Toller Kommentar!
GandixGandix vor 5 Jahren
1
Sehr schön beschrieben, was der Duft bei dir auslöst. Melancholische Düfte, die zugleich trösten mag ich, allerdings könnte es mit der Tuberose schwierig werden.
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
1
Sehr detailliert und gut beschrieben. Für mich ist der Duft wahrscheinlich zu kantig und zu speziell.
PollitaPollita vor 5 Jahren
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Solche Stimmungsdüfte habe ich auch, weshalb ich Deine Zeilen sehr gut nachvollziehen kann. Dieser wäre mir vermutlich dennoch zu bitter.
GschpusiGschpusi vor 5 Jahren
1
Klasse Kommentar!
Und den Spruch am Schluss habe ich auch bei mir immer als Erinnerung stehen.
SchalkerinSchalkerin vor 5 Jahren
1
Richtig schön geschrieben. Ich mag den Tommy auch gerne.
NewnoizeNewnoize vor 5 Jahren
1
Toll beschrieben und wirklich auf den Punkt gebracht. Er ist wirklich sehr speziell. Selbst unter den TF Düften.
Es gibt wirklich diese Tage wo er einfach nicht passt.
Hat Spaß gemacht zu lesen.
BloodxclatBloodxclat vor 5 Jahren
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Sehr gerne gelesen... und damit rutscht der gute Tommy in meine 'to test' liste! Danke Dir!
ChizzaChizza vor 5 Jahren
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Finde ich auch toll beschrieben, klingt sehr spannend und ist natürlich richtig, dass manche Düfte stark von der Laune abhängig sind. Ich finde dass TF nicht wenig schöne Düfte im Angebot hat.
Den Filme kenne ich auch nicht ;)
SchatzSucherSchatzSucher vor 5 Jahren
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Eine ganz tolle Beschreibung. Und deine Begeisterung über den Duft macht auch große Freude. Mir hat sich dieser Duft leider gar nicht erschlossen. Er wirkte auf mich streng, bitter und sehr abweisend. Das hat mich regelrecht abgeschreckt. Da habe ich es mehr mit dem Noir ohne Anthracite :-)
FloydFloyd vor 5 Jahren
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Sehr schön beschrieben. Auch wenn Tom mich so gar nicht berührt bislang, kann ich Deine Begeisterung nachempfinden.