
Bellatrix
Sehr hilfreiche Rezension
15
Wilde See und rauer Wind.
Als Gothic-Lady habe ich weder von Natur aus eine Affinität zur Sommerhitze (Radiosprecher, die Temperaturen von 36 Grad im Schatten mit einem Jubilieren in der Stimme verkünden, möchte ich am liebsten rituell zerstückeln, wenn das nur bei der Hitze nicht viel zu anstrengend wäre!) noch zu aquatisch-zitrischen Düften.
Erstere löst bei mir den unwiderstehlichen Drang aus, mich mitsamt meiner noblen Blässe so schnell wie möglich in den Schatten zu verkriechen und mich so wenig wie möglich zu bewegen, letztere können zwar ganz angenehm riechen, vor allem im Sommer, passen aber absolut nicht zu mir. Ich mag schließlich auch den Duft von Weihnachtsgewürzen oder von frischaufgeschnittenen Limetten, will aber trotzdem nicht so riechen. Das gleiche gilt normalerweise für aquatische Düfte, die ich auch lieber Anderen überlasse.
Der Sommer ist also nicht wirklich mein Freund. Was mich aber davon abhält, ihn leidenschaftlich und uneingeschränkt zu hassen, sind vier besondere Wochen: Die Wochen, die wir in den Sommerferien immer in unserem Ferienhaus an der Nordsee verbringen. Diese Insel hat ihren eigenen Charme, der nichts für melatonin-gierige Sonnenanbeter ist. Der Wind ist rau, die Sonne scheint, aber knallt nicht vom Himmel, die See ist wild und selbst im Sommer sollte man immer einen Regenmantel und ein warmes Strickteil bei sich haben. Für wen jeder Sommertag unter 30 Grad ein verlorener Tag ist, wer einem kühlen Sommerregen und einer frischen Brise nichts abgewinnen kann, der ist hier fehl am Platz, der soll sich lieber wieder an die spanischen Strände verziehen.
Genau das verkörpert auch ’Seaside’. Die ’Küste’ oder der ’Strand’, an den ’Seaside’ dem Namen nach anspielt, ist kein spanischer Partystrand und auch kein subtropisches Surfer-Paradies, wie es ein fruchtig-frisches, süßes Mainstream-Sommerwässerchen verkörpern würde. ’Seaside’ ist eine englische Strandpromenade oder ein von windzerzaustem Strandgras und Strandrosen gesäumter Holzplankenweg runter an einen Nordseestrand. Keine 32 Grad im Schatten, keine engen Handtuchreihen, auf denen mitteleuropäische Leiber in der Hitze brutzeln wie Würstchen auf einem Grill, in dem verzweifelten Versuch, schokobraun statt krebsrot zu werden.
’Seaside’ hat nichts Süßes, keine zwanghafte, quietschig-fruchtige Gute-Laune-Frische an sich. Eine würzige, etwas herbe Zitrusnote mischt sich mit einer aquatischen Komponente, die mich an eine Meeresbrise erinnert, an einen Tag am Strand. Der Duft kühlt und erfrischt sofort, an einem heißen Nachmittag, der einen schon ziemlich geschafft hat, ein paar Spritzer in die Armbeugen und auf die Handgelenke und es wird gefühlte 5 Grad kühler.
Ich hatte einen Miniatur-Flakon in meinem Adventskalender, sonst wäre ich vermutlich nie an diesen Duft geraten. Er passt eben nicht in mein übliches Beuteschema. Bis zum ersten 25 Grad + Tag stand er geschmäht und ignoriert auf meinem Nachttisch, ich dachte schon daran, ihn weiter zu verschenken. Doch höhere Temperaturen erfordern verzweifelte Maßnahmen. An meinen schweren Schätzen wie Poison oder meinen Gothic-Lieblingen aus der Teufelsküche habe selbst ich bei 35 Grad keine Freude mehr, und so sprühte ich mit steigendem Thermometer immer öfter eine kühlende Dosis ’Seaside’ auf meine Haut, während Poison & Co im Sommerurlaub sind und mit mir zusammen sehnsüchtig auf kältere Temperaturen warten. Solange wird mich ’Seaside’ durch den Sommer begleiten, zumindest an allen Tagen, an denen die Temperaturen auf über 27 Grad zu steigen wagen. ;)
Wer sonst auf schwere Geschosse setzt, sie bei schwüler Sommerhitze aber einfach nicht ertragen kann, dem sei ’Seaside’ für solche Tage ans Herz gelegt, allen, die ohnehin auf Aquatisches stehen auch an allen anderen Sommertagen. Mich wird der Mini-Flakon gut durch die (hoffentlich wenigen) Hitzetage dieses Sommers bringen. Wenn ich meine schweren Lieblinge schon zugunsten eines Sommerwassers vorübergehend einmotten muss, dann wenigstens nicht für einen penetrant-fröhlichen Mango-Erdbeer-Fruchtsalat. Da nehme ich doch allemal lieber ’Seaside’.