Von nachhaltigen Parfums, Grübelei und Packungsgeknister
Parfum ist eine generationenübergreifende Erinnerung. Elegante Herrencolognes, Hippiepatch, 90er Wahnsinn und 2000er Verwirrung. Wir assoziieren Düfte mit Menschen, Momenten und Begegnungen, mit unterschiedlichen Zeitperioden und identifizieren und mit dem, was wir tragen. Zumindest geht es mir so.
Mir stellt sich zwangsläufig die Frage, wie wir wohl in 10, 20, 30 Jahren auf unsere Gegenwart zurückblicken. Welches Duftlabel kriegen wir auferlegt, welche Erinnerung, welche Stigmata und welche hochstilisierten Euphemismen für unsere Zeit? Ich komme ins Grübeln, vielleicht spinne ich sogar ein wenig vor mich hin… Sind wir die lustige Duftperiode, in der so ziemlich das erste Mal alles erlaubt ist und alles gefeiert wird? Oder doch eher die, der politischen Idiotie und der letzten Generationen, die eine so breite Auswahl an Duftressourcen zur Verfügung hatten?
Wir leben gerade in einer spannenden Zeit. Klar, jede Zeitperiode ist spannend in dem Moment, in dem man sie erlebt, und alles bleibt immer relevant. Trotzdem bin ich nun mal hier in meinem selbstzentrierten Jetzt und ich kann nicht umhin ein paar Dinge anzuerkennen. Wir sind jetzt gerade an dem Punkt, an dem wir über das hinaus leben, was unsere Erde realistisch leisten kann. Wir sind drüber, wir brauchen zu viel Platz, sind zu Viele, müssten jetzt so gewaltig auf die Bremse treten, dass es einigen Menschen sicher wehtun würde.
In vielen Bereichen tun wir das auch schon. Nachhaltige Produktion wird immer wichtiger, gerade Kosmetik im nachhaltigen Segment ist keine Seltenheit mehr. Es ist zwar oft nicht ganz einfach, Greenwashing und wirklich sinnvolle Angebote auseinanderzuhalten, aber meistens finden sich gute Alternativen, gute Entscheidungsmöglichkeiten. Aber wie sieht es da bei Parfums aus?
Vorweg: Ich will hier niemanden belehren. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass jede:r hier eigene Entscheidungen treffen darf und sollte, und das beginnt bei der Farbe der Schnürsenkel und endet beim Duft. Aber ich interessiere mich für nachhaltige Alternativen und Ansätze, mit denen ich - zumindest mit den Möglichkeiten, die sich mir gerade bieten - vielleicht einen kleinen Unterschied machen, die Erde ein wenig grüner machen kann.
Die Parfumindustrie ist nicht ohne, was Umweltproblematiken angeht. Gehen wir einmal von außen nach innen bei unseren geliebten Duftbegleitern. Das Packaging vieler (der meisten Düfte) wird aktuell noch durch eine Plastikfolie geschützt. Manche lieben das verheißungsvolle Geknister beim abziehen, anderen ist es lästig, aber wir alle müssen es wegschmeißen. Da fängt der Spaß an. Wie wird diese Folie produziert, wie kann sie reycelt werden? Beschichtetes Papier darunter - problematisch. Flaschenköpfe, Pumpmechanismen, Behälter aus Plastik? Ja, ja, ihr versteht, was ich meine. Aber das Packaging ist tatsächlich der erste Ansatzpunkt für viele nachhaltig agierende Parfumlabels. Hier können recyelbare Materialen verwendet, auf Folien verzichtet, Verpackungs- und Versandmaterial reduziert werden.
Schwieriger wird es dann schon bei dem Inhalt der wunderschönen Flakons, die wir so rumstehen haben. Die Duftstoffe in Parfums sind ganz unterschiedlicher Natur (oder Synthetik). Viele tierische Bestandteile sind mittlerweile durch synthetische ersetzbar, Moschus und Co.gefährden nicht mehr ihre ursprünglichen tierischen Quellen, sind aber dennoch oft nicht unbedenklich und schaden an anderer Stelle der Natur. In ihrer Produktion werden Energie und Wasser verbraucht, Arbeiter:innen unterbezahlt und chemische Abfälle nicht immer ganz umweltgerecht entsorgt.
Beim Abbau von Duftressourcen natürlichen Ursprungs haben wir das selbe Problem wie in fast allen Situationen, in denen der Mensch von der Natur abhängig ist: Wir überproduzieren, bauen gleichzeitig zu viel ab, roden um Plantagen von Monokulturen zu pflanzen und zerstören dabei Lebensräume für Pflanzen und Tiere, die, wenn wir so weitermachen in ein paar Jahrzehnten aussterben werden. Viele Parfummarken investieren mittlerweile deutlich mehr Zeit und Geld in ökologische Ressourcen. Abgebaut in Ländern, die nicht vor Umweltkatastrophen und Armut stehen, in Kooperation mit Plantagen, die strengeren Umweltauflagen nachkommen, Abeiter:innen fairer bezahlen und in kleineren Mengen anbauen. Das ganze ist aber natürlich teuer. Sowohl für die Labels als auch für die Konsumierenden.
Was genau heißt das aber jetzt für mich? Kann ich jetzt nicht mehr guten Gewissens die Düfte kaufen, die ich möchte? Gibt es überhaupt Alternativen, bei denen ich nicht das Gefühl habe einen »Ökoduft« zu tragen, der nach zwei Minuten nicht mehr riechbar ist? - Nö. Es heißt nur einfach, dass ich mich besser informieren muss.
Nachhaltigkeit ist ein Luxus, den sich viele in erster Linie nicht leisten können. Aber ein großer Teil davon ist Information. Information, die dabei hilft, andere Entscheidungen zu treffen, klein zu beginnen und Dinge auszutauschen, die nachhaltig genauso gut, wenn nicht besser und genauso erschwinglich daherkommen. Mein Ziel ist also, Alternativen zu finden, mit denen ich glücklich bin. Bei einer kleinen Internetrecherche bin ich auch auf eine nicht so kleine Auswahl an Labels gestoßen, die etwas für mich sein könnten. Außerdem bin ich auf einer Seite hängen geblieben, die wirklich spannende Inhalte bietet. Wenn ihr euch für nachhaltige Parfumerie interessiert schaut euch mal die »Coalition of Sustainable Parfumery« an. Eine Truppe aus vier Indieparfumeur:innen, die schlicht ihre Informationen und Erfahrungen zusammengetragen haben, damit jemand wie ich bei der Suche nach nachhaltigen Alternativen nicht bei Null anfangen muss.
Auf ihrer Website gibt es Links zu Listen mit bedrohten Arten und alternativen Möglichkeiten, Fragen, die an nachhaltige Produktion gestellt werden sollten und Interviews/Podcasts mit unterschiedlichen Expert:innen aus Wissenschaft, Industrie, Rohstoffabbau und Parfummarketing. Hier mal den Link dazu : https://www.sustainableperfume...
In halbstündigen Sessions sind die Interviews auf Youtube zu finden und ich bin ein wenig traurig darüber, wie wenig Aufmerksamkeit sie bisher haben. Auf Instagram sind sie auch zu finden und da ist das Publikum auch etwas größer, also schaut euch mal an, was dort so passiert.
Auf der Suche nach nachhaltigen Parfumlabels tauchen ein paar immer wieder auf, weil sie laut damit werben, andere findet man eher durch Zufall und liest dann, was sie für die Umwelt und nachhaltige Parfumerie stillschweigend tun. Beide haben ihre Daseinsberechtigung, und bei beiden gibt es großartige Düfte zu entdecken.
100Bon ist ein französisches Parfumhaus, das auf rein natürliche, pflanzliche Inhaltsstoffe setzt, die aus nachhaltiger Produktion stammen. Außerdem kommen alle ihre Düfte in nachfüllbaren Glasflaschen mit Metallsprühköpfen, die nicht nur schick aussehen, sondern auch wirklich gut verarbeitet sind und so durch Langlebigkeit ein kleines bisschen grüner sein können. Kleines Manko für mich: Die Haltbarkeit ist irgendwie nicht so doll bei den meisten Düften.
Maison Crivelli arbeitet seit ihrer Gründung mit nachhaltigen Patchoulipflanzungen zusammen und achtet in ihrer Produktion auf nachhaltige Verarbeitung, faire Bezahlung und verzichtet im Packaging komplett auf Plastik. Die Düfte sind außerdem durch die Bank weg ziemlich spannend.
Abel setzt auf Bioduftstoffe und entwickelt zudem eigene synthetische, wie ihren speziellen Moschus.
Oft genannt werden auch Farfalla und Baldini, von denen ich noch nie selbst was in der Hand hatte. Lasst mich gerne wissen, ob die was taugen. Außerdem nennt »Haus von Eden« Timothy Han, Michelle Pfeiffer, Sana Jardin, Chopard, Lovorika, Laboratory, Honoré des Prés und an anderer Stelle werden die Drogeriedüfte von Alverde genannt, die selbst mit 100% natürlichen Inhaltsstoffen werben. Was genau das dann meint bleibt allerdings herauszufinden.
Das mal so als kleine Inspiration. Ich würde gerne tiefer in nachhaltige Düfte einsteigen und wissen, was ihr so davon haltet? Seht ihr Parfumkonsum umwelttechnisch als problematisch? Und wo würdet ihr als erstes ansetzen, was verändern? Oder habt ihr jetzt schlicht keine Lust mehr, nachdem ihr euch durch mein Geschreibsel gequält habt?
Hier ist noch ein wenig Weisheit:
Nickl, Ramona: DER DUFT DER NATUR: DIESE LABELS KREIEREN NACHHALTIGES PARFUM, 23. August 2020, in: Harpers Bazar Online
Flatley, Annika: Bio-Parfum: 5 empfehlenswerte Marken, 12.Januar 2019, in: Utopia online
HausvonEden Lifestyle: Clean Parfum, Top 8 der besten natürlichen Düfte, in HausvonEden onlinemagazin
Entsorgen.org: Parfüm & Parfümflaschen entsorgen
Wie nachhaltig ist dein Duft? Im Gespräch mit Parfümeur Stefan Kehl von AER Scents
Posted by Anna-Lena Koopmann 20. Juli 2020