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vor 4 Jahren - 07.05.2021
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Wabi-sabi - die Schönheit des Vergänglichen und Unvollkommenen

Kürzlich habe ich Cierge de Lune als vollendet bezeichnet, aber „nur“ eine 9 gegeben. Hm. Wieso kriegt ein vollendeter Duft nicht die Traumnote 10? Weil perfekte Schönheit in meinen Augen langweilig ist. Wenn der Durchschnitt Hunderter von Porträtfotos berechnet wird, sieht das Resultat wunderschön aus – aber auch austauschbar, banal.

In Japan wird das Unvollkommene, Unvollendete, Vergängliche, vordergründig Schlichte oder ein Objekt mit Gebrauchsspuren weit mehr geschätzt als offenkundige, makellose Schönheit. Eine handgemachte, ungleichmässige Keramik (besonders wenn ein Sprung mit Goldlack repariert wurde – Kintsugi), ein bemoostes Strohdach, eine Holzskulptur mit Patina oder die flüchtige Schönheit der Kirschblüte verkörpern das ästhetische Prinzip des Wabi-sabi.

Zentrales Element von Wabi-sabi ist Zurückhaltung. Die Reduktion auf das Wesentliche, alles überflüssige weglassend, bis zur poetischen Essenz.

Ein Parfüm, was für meine Nase Wabi-sabi entspricht, ist Passage d'Enfer Extrême. Gerade mal fünf Noten ergeben eine schlichte, aber prägnante Harmonie, mit einem hohen Wiedererkennungswert.

Opulenz und Perfektion haben bestimmt ihren Reiz, aber die Reduktion auf das Wesentliche, eine herbe Schlichtheit ebenso.



15 Antworten
NochoiNochoi vor 4 Jahren
Genau genommen gefällt mir ein Duft oder er gefällt mir nicht. Also 10 Punkte oder nur einen. Das dazwischen wäre eher nicht der Rede wert.
Kaputt und wieder geleimt heißt, man mag das Teil und hat sich damit die Mühe gemacht, es wird bei mir also 10 kriegen.
FvSpeeFvSpee vor 4 Jahren
Danke für deine schönen Worte, du weißt ja, dass ich dein Vermögen, kraftvolle Kurztexte zu verfassen, bewundere. Wenn ich einem Duft 10 gebe, ersterbe ich meist vor Ehrfurcht vor seiner Schönheit, trage ihn aber nicht. Es sind die Düfte von 8,5 bis 9,5, die ich wirklich sprühend tätig liebe.
MonsieurTestMonsieurTest vor 4 Jahren
Ja, was Du schreibst, leuchtet mir ein; und Perfektionismus kann in allen möglichen Bereichen sehr anstrengend sein. Minimalismus Pokal :)
JoHannesJoHannes vor 4 Jahren
Beim Lesen (danke, sehr inspirierender Text) musst ich spontan an Leonard Cohen und sein Anthem denken: "Ring the bells that still can ring — Forget your perfect offering — There is a crack, a crack in everything — That's how the light gets in." Wabi Sabi fasziniert mich wegen dieser stillen und geerdeten Unvollkommenheit.
PonticusPonticus vor 4 Jahren
Das Reduzieren auf das Wesentliche fällt uns aber oft sehr schwer! Wir sollten aber üben und es immer wieder versuchen!
ParfümleinParfümlein vor 4 Jahren
Ein sehr schöner Artikel und ein tolles Bild!
Melisse2Melisse2 vor 4 Jahren
Eine kleine Kante macht viele Dinge erst interessant.
ErgoproxyErgoproxy vor 4 Jahren
Eine 10 muss für mich nicht heißen das etwas perfetkt ist. Gerade der Makel kann etwas für mich einzigartig machen und dafür gebe ich dann gerne diese subjektiv höchste Bewertung. Ästhetik liegt, wie die Bewertung selbiger im Auge (oder hier Nase) der betrachtenden Person.
MarieposaMarieposa vor 4 Jahren
Wie recht du hast mit deinen berührenden Worten! Ich selbst lasse mich von zu großer Perfektion auch eher abschrecken - oder sie berührt mich nicht. Bei Düften ist es ganz interessant, dass ich manche, die mir vollkommen erscheinen, doch lieben kann. Vielleicht bringe ich selbst den Riss mit, den sie dann vergolden.
IamCravingIamCraving vor 4 Jahren
Vielen Dank für diesen anregenden Text und das fabelhafte Foto dazu!
Schönheit mit "Makeln" erzählt ja nicht nur viel mehr Geschichte(n), sondern fordert die rezipierende Person auch deutlich mehr. Alles glatte, "perfekte" rutscht einem dieser Tage ja komplett vorgekaut die Sinneskanäle hinunter, hinterlässt keine Spuren und wird sogleich in den Äther ausgeschieden. Da reibt sich Kunst und Handwerk Kante mehr, bzw. das Schlichte, reduzierte kann bewusster aufgenommen werden.
Liebe Grüße!
KovexKovex vor 4 Jahren
Wahre Worte, die meine Merkliste mal wieder um einen Duft bereichert haben ;)
CravacheCravache vor 4 Jahren
Kluge Worte und schön bebildert.
Ich gebe mich gerne der mangelnden Perfektion der Opulenz hin ;)
ExUserExUser vor 4 Jahren
Perfektion und Makellosigkeit sind Ideale, die nie wirklich erreicht werden können und auch gar nicht erreicht werden müssen. Je mehr versucht wird ein Ideal zu erreichen, umso bemühter, verzweifelter und zwanghafter (und am Ende sogar ungesünder) wirkt es auf mich. Deshalb gefallen mir Dein Blog und das Prinzip hinter Wabi-Sabi sehr gut.
Fresh21Fresh21 vor 4 Jahren
Auch ich stimme Dir (und Wabi-Sabi) zu, aber vollständig:) Ebenso bin ich bei Nui, was "den Reiz der kleinen Portion Unvollkommenheit mittels einer kleinen Kante" angeht. Doch im Parfumbereich halte ich es eher mit Zurückhaltung als Opulenz. Überflüssiges wegzulassen trifft daher meine Präferenzen viel mehr als überladene Duftpyramiden, weswegen ich auch mit den meisten Nischendüften nicht besonders klar komme... Feiner reduzierter Artikel!
NuiWhakakoreNuiWhakakore vor 4 Jahren
Da stimme ich Dir (und Wabi-Sabi) beinahe voll zu, gerade die kleine Portion Unvollkommenheit hat meist den größten Reiz, eine kleine Kante ist der Perfektion meist vorzuziehen! Bei der Zurückhaltung bin ich zwiegespalten: Überflüssiges weglassen ist eine feine Kunst. Gerade im Parfumbereich gibt es aber auch Vertreter mit wahnsinnig überladenen Duftpyramiden, die ich trotz- oder gerade deshalb toll finde - da will ich dann nicht so streng sein...

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