Unkommentierte Düfte No. 13
„Und der Engel sprach zu Ihnen: Fürchtet euch nicht!“ Dieser Satz aus dem zweiten Kapitel des Lukasevangeliums ist vielleicht das schönste Wort der Bibel. Er kommt von einer Gestalt aus der Transzendenz, der Anderwelt, die Bibel spricht von einem Engel: eine Zusage an die Menschheit, dass alles gut werden möge.
Betrachtet man den Satz aus dem biblischen Kontext gelöst, dann fällt auf, dass in der Botschaft, im Wort, bereits eine Tröstung enthalten ist: ein performatives Geschehen. So wie einem getrösteten Kind wird den Menschen zugesagt, dass bald alles gut werde, dass es einen Weg jenseits von Furcht und Angst geben könnte, nicht in einem fernen Jenseits wohlgemerkt, sondern heute: jetzt, wenn wir wollen.
Performativ beschreibt in der Sprechakttheorie den inneren Zusammenhang zwischen einer Sprechhandlung und einer Tat, zwischen Sprechen und Handeln. Gelegentlich wird das, was wir sagen, das heißt im Wort vorstellen, unmittelbar zur Tat, etwa wenn wir genau das tun, von dem wir gerade reden (wobei wir eigentlich wieder bei Jesus und der ihn auszeichnenden Einheit von Wort und Tat wären, aber das stelle ich hier und heute zurück).
Das berühmteste Beispiel, das der britische Sprachphilosoph John Langshaw Austin in diesem Zusammenhang nannte, ist der klassische Satz eines jeden Standesbeamten: „Hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau“, der die Ehe zwischen zwei Menschen im Moment des Gesagten stiftet.
Die Zusage des „Fürchtet euch nicht“ ist da ähnlich. Auf dem Feld bewirkt sie unmittelbar die „Nichtfurcht“, das Vertrauen in das Gegenüber, das eigentlich so anders ist, das über das Engelwesen (und sei es nur als Allegorie verstehbar) einen Blick in die Transzendenz, also aus dieser Welt heraus in das schlechthin Gute ermöglicht.
Auch Düfte sind ein Blick in eine andere Welt. Gefragt, warum ich denn ausgerechnet Düfte sammle, antworte ich stets, dass mir das Sammeln von greif-, fass- oder erkennbaren Gegenständen gleichsam konventionell vorkäme. Ich suche nach einem Sinneseindruck, der aus diesen bekannten Kategorien herausfällt, der einen anderen, ganzheitlicheren Sinn anspricht und mehr noch: der durch diesen ganz anderen (olfaktorischen) Sinneseindruck auch Assoziationen zulässt, die in dieser Intensität bei keinem anderen Gegenstand gegeben sind. Es wurde hier schon vielfach diskutiert: Düfte erzwingen Erinnerungen, ohne dass wir uns dagegen wehren können, und entwickeln dadurch geradezu ein Eigenleben, machen mit uns oft genug, was sie wollen.
Dennoch: Fear Not! Es wird alles, gut, wenn Du einen Duft aufträgst, wenn sich ganz von selbst Erinnerungen, gute oder schlechte, einstellen. Da kommt eine Zusagen von außen, von der Anderwelt, die durch den Duft zu uns spricht, ohne dass wir weghören, wegsehen, weggehen können. Das fordert und schafft eine Einheit von Körper, Geist und Seele, die die Menschen an anderen Stellen vollkommen verloren haben. Vergleichbar ist da nur die Musik, die uns ganz und gar ergreift: mit Körper, Geist und Seele, als ganzen Menschen.
Da ist es nur konsequent, dass endlich einmal ein Duft mit einem Namen versehen wurde, der gerade das ausdrückt: Du, Mensch, „fear not“, als ganzer körperlicher Mensch, fürchte dich nicht, als ganzer geistiger Mensch, fear not, als ganzer seelischer Mensch, fürchte dich nicht: sei stattdessen froh, genieße diesen kurzen Moment, der dich aus deinem Alltag mit seinen Befürchtungen, Ängsten, Sorgen und Nöten heraushebt, und sei ganz Du: als Einheit von Körper, Geist und Seele.
Das ist ein hoher Anspruch, ein Anspruch, an dem ein Duft, ein nicht allzu teurer zumal, nur scheitern kann - und doch: dem Duft dieses Namens gelingt zweierlei:
Erstens: Er liegt ein wenig außerhalb der Konventionen, weil er Blütennoten in einem Herrenduft zusammenbindet; diese Düfte sind stets ein wenig exzeptionell, ein wenig exzentrisch, ein wenig neben der ausgetretenen Spur.
Zweitens: Der Duft ist ätherisch, pudrig, schwer fassbar, vielleicht weil Weihrauch mit Blütendüften kombiniert wird: Weihrauch war von jeher ein Opferdunst, ein Rauch, der das Opfer zu den Göttern, zu Gott aufsteigen lassen sollte. So lösen sich die Blütendüfte in Dünste auf und schweben, sind nicht geerdet, sondern pudrig zart und leicht, nicht sehr maskulin, zum Glück vielleicht: ähnlich gelingt das Il Profvmos Touaregh, Domenico Caracenis 1913 und Paco Rabannes Klassiker Pour Homme.
Trotz seiner Zartheit geht der Duft auch einen Weg, der nicht nur aus der Konvention, sondern auch ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint: Die beherzte Kombination zahlreicher klassischer Duftkomponenten (Patchouli, Vanille, ausgerechnet Cashmeran: eine eher bedenkliche Moschusverbindung, Amber, Vetiver, Rose, Weihrauch, diverse Hölzer und weitere Blüten) ließe fast auf einen schweren Duft der 80er schließen. Dass der Duft aber doch nicht wuchtig wurde, mag dem Verdienst oder dem unverdienten Glück des (ungenannten) Parfumeurs geschuldet sein. Auch nach längerer Anwendung schwebt der Duft ein wenig über der Haut, bleibt ätherisch.
Dabei ist Fear Not kein großer Wurf, eher ein bescheidener, kleiner, schöner, leichter, wenig maskuliner Herrenduft in der Reihe der oben genannten, die ich übrigens letztlich diesem hier vorziehen würde.
Und dennoch: In der performativen Zusagen der Worte „fear not“ liegt ein Zuspruch, der den Duft unwiderstehlich macht, weil er verspricht und auf merkwürdige Weise hält, was Düfte (gemeinsam mit der Musik) auszeichnet: ihre Wirkung als verlorenes Bindeglied, als Kittmittel zwischen Körperlichkeit, Geist und einer tieferen Schicht des Menschen, einer - wie auch immer gearteten - Seele: ganz einfach berührend.
Ich danke Zionist für die Möglichkeit, diesen Duft so großzügig testen und nutzen zu können: möge er uns ein ganz klein wenig die Einheit von Körper, Geist und Seele gestatten.