Unkommentierte Düfte No. 14
Vor einiger Zeit hatte ich mich voller Spannung einem Duft genähert, den mein Vater in meiner Kindheit lange Zeit trug und der aus dem Jahre meiner Geburt stammt: Farinas Russisch Leder, einem deutschen Duft von der vielleicht deutschesten und traditionellsten aller deutschen Traditionsmarken, wenn auch (zum Glück) mit mediterranen Wurzeln.
Vor einigen Monaten kam mir dann der Gedanke, dass es doch spannend sein müsste, Russisch Leder mit einem Duft zu vergleichen, der mit mir und jenem Genannten das Geburtsjahr teilt, aber einen ganz anderen kulturellen Hintergrund hat.
Dank der großartigen Filterfunktion bei Parfumo (s. unter „Erweitert“) wurde ich dann schnell fündig: Neben einigen französischen und italienischen Düften sowie diversen nicht mehr erhältlichen Exoten fand sich für das Produktionsjahr 1967 Avons Wild Country: ein Duft aus Amerika. Wild Country wird wohl noch heute produziert, findet sich im aktuellen Portfolio der Marke und scheint dort noch immer einige Popularität zu genießen, vergleichbar mit der Wiederauferstehung und Renaissance von Russisch Leder in Deutschland.
Gesagt, bestellt, getestet. Wie aber stellt sich Wild Country im Vergleich zu Russisch Leder, diesem leisen, dezenten, eleganten, frischen Ledervertreter dar?
Auch hier dominieren ledrige Noten, das aber in ganz anderer Art und Weise - und tatsächlich zeigen sich so die Unterschiede in Mentalität und Vorlieben, Weltanschauungen und Moden zwischen Deutschland und Amerika: zu jener Zeit in den 60ern, vielleicht auch noch heute.
Welcher Duft ist besser? Das möge jeder selbst beurteilen; das kann ich selbst nicht so leicht sagen, schließlich bin ich befangen, war Russisch Leder doch der Duft meiner Kindheit, der Duft meines Vater, war mein Vater.
Avons Wild Coutry dagegen ist mir fremd, macht mich neugierig, erinnert an markant süße Dufttraditionen um Stetsons klassischen Herrenduft (rund, weich, weniger maskulin), Scannons Kanon (dänischer Duft: eigenwillig, spannungsreich), Danas Canoe (großartig interpretiert, ehrwürdige Tradition, ausgewogen, harmonisch, dennoch spannend), Fabergés Brut (etwas zu dick aufgetragen, dennoch charmant), erinnert an preiswertwerbende Herrendüfte, die machohaftmaßlos - eigenwilligbillig - prallprotzend - verschwenderischledrig - raumgreifendordinär - ausuferndduftend - dekadentdandyhaft - eigenwilliggroßartig - lautschreiend - lavendelbergamotteausdünstend zitronegewürzgeraniumfarnmoosumsichwerfend - vanilleambermoschusausduftend - hölzerstapelnd - tonkabenzoinwuchtig - breitbeinigschreitend - cowboysonnuntergangsfeelingvermittelnd daherkommen.
Ist das schrecklich für so einen bescheidenduckenden, allzeitpolitischkorrekten, traditionsmeidenden, euorpäischsozialisierten, mühsamangepassten Durchschnittsdeutschen wie mich und dich? Gar nicht! Das ist mal einfach so „so“: ohne Vorwarnung das Gefühl von Weite, Grand Canyon, Sankt-Andreasgraben, Rocky Mountains und all dem, was wir uns so bisweilen unter den Vereinigten Staaten von Amerika vorstellen wollen.
Muss man das haben, wenn man eurozentriertdenkend wie wir aufgewachsen ist? Muss man nicht, weil der Duft nach der ersten Euphorie nicht mehr allzu viel zu bieten hat (Danas Canoe überzeugt mich in allen Belangen mehr), aber das Schöne ist doch, dass ich nun beide im Schrank stehen habe: Den lauten Amerikaner und den leisen Deutschen, beide aus meinem Geburtsjahr 1967. Und irgendwie ist doch beides gut: die deutsche und die amerikanische Mentalität. Ich fühle mich ausgesprochen wohl mit den beiden.
Achtung: Hier wurde bewusst auf Klischees nicht verzichtet. Wenn dir das nicht gefällt, dreh doch einfach die Bedeutungsfelder um: Mach aus dem Amerikaner einen Deutschen und aus dem Deutschen einen Amerikaner und Du wirst erstaunt feststellen: es passt immer noch.