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Top Rezension
Der Ball des Farns
Houbigant, welch traditionsreiches Haus und Namensgeber dieser erfolgreichen Duftkomposition.
Seit 140 Jahren bietet es eine meiner geschätzten Duftrichtungen an, nämlich das Fougère.
1882 erschien der allererste Farn-Duft des Hauses und wurde stets behutsam immer leicht an den Zeitgeschmack angepaßt, kaum wahrnehmbare Veränderungen.
Doch 2010 fand eine Palastrevolution statt und der Hof stand Kopf!
Zisch!
Grundgütiger, hier weht mir in den ersten Sekunden eine leichte Apfelsaftschorle entgegen.
Aber der Eindruck legt sich zum Glück schnell wieder und ich bekomme eine zu meiner Überraschung doch sehr florale Kopfnote.
Zwar sind hier die obligatorischen Fougère-Komponenten Bergamotte und Lavendel klar zu riechen, doch schwingt etwas Blumiges sogleich mit.
An Kräutern nehme ich Thymian und Rosmarin wahr, doch sie bitzeln etwas unter zweier Blüten. Ich muß der Sache auf den Grund gehen.
Denn diese beiden Blüten prägen den gesamten Verlauf, drängen die unverzichtbare Rosengeranie in die zweite Reihe und lassen die krautige Gartennelke nur ganz entfernt pudern, was einen leicht bitter frischen, wenn nicht kühlen Effekt verschafft.
Dagegen pocht ein warmer, etwas heller Patchouli an Zimt von der Basis her, der Ausgleich findet statt. Der Muskatellersalbei geht hier leider fast Inkognito vorbei.
Welches Eichenmoos hier zur Auswahl steht, bleibt mir verborgen. Das Substitut wirkt sehr dezent, nur ein Quäntchen seifig.
Das Harzige und Ambrierte bekomme ich erst am Duftende mit, aber sehr gelungen.
Zum Glück bleibt die gelistete Tonkabohne nur flüsternd im Hintergrund. Sie hat etwas verdorrt Reifes, aber nicht Unangenehmes.
Und nun zu den beiden Blüten. Sie werden von Cumarin, welches in keinem Fougère fehlen sollte, sehr hell und lichtdurchflutet gehalten. Wie auf einer sonnendurchfluteten Wiese. Hier und da etwas Heu und eine leichte Waldmeisterbrise.
Das Ländliche wird eindeutig von der Kamille evoziert. Zusammen mit dem Lavendel schafft sie ein leicht wassernahes Gefühl. Ich hüte mich von Aquatik zu sprechen, denn das wäre hier fehl am Platz. Dieser Eindruck hat hier was von einem Bächlein, rein und ruhig.
Die andere Blüte ist diese süßliche Rondeletia. Hier hat Rodrigo Flores-Roux etwas Charaktervolles aus dem Süden seiner mexikanischen Heimat eingearbeitet.
Hell, süß, leicht zitirsch steht sie gediegen der ländlichen Kamille gegenüber.
Insgesamt sticht diese Version des Duftes durch eine helle, leicht bitzelnde und sehr blumige Ausrichtung des Themas hervor. Sehr charakterstark, eindeutig auszumachen im Meer von ähnlichen Duftempfehlungen. Das Grüne kommt hier leider etwas zu knapp, ich sehe den Duft eher in warmem Roségold, vielleicht noch ein paar grüne Pflänzchen am Wegesrand dazu.
Die Haltbarkeit ist schon gut, was ich leider von der etwas schüchternen Sillage nicht behaupten kann. Der Duft bleibt als dezente Aura am Körper und schwingt nur leicht im Raum.
Doch nun zu der brennenden Frage: ist dieses Fougère im Vergleich zu anderen königlich?
Vielleicht lade ich mal zu einem dieser aristokratischen Bälle ein, um etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen.
Das königliche Paar Fürst Lavendel de Montfleuri und Fürstin Rosengeranie von den Hängen laden zum alljährlichen Tanz der Farne in der Adventszeit ein.
Ganz nach der vorgeschriebenen Etikette müssen die geladenen Gäste eine höfische Reverenz den erlauchten Gastgebern erweisen.
Die Kutschen werden von prächtigen Kaltblütern durch schneebedeckte Wege gezogen, ihre Scheuklappen sind mit Mistelzweigen drapiert.
Fluchs strömen die Gäste ins warme Palais, die winterliche Kälte an der Auffahrt erquickt sie ein wenig. Der Ballsaal ist festlich geschmückt und hell erleuchtet. Girlanden aus Tannenreisig mit roten Seidenschleifen an den Wänden geben den passenden Rahmen für den prächtigen Tannenbaum voller Glaskugeln und roten Kerzen.
Und gut zentriert begrüßt das königliche Paar von ihrem Thron aus die edle Gesellschaft. Im Hintergrund spielt die Musikkapelle das berühmte Menuett von Luigi Boccherini.
Alsbald tritt als erste der Reihe die als Weihnachtsapfel kostümierte Contessa Bergamotte di Calabria hervor. Sie hat sich einen guten Calvados während der kalten Fahrt zum Aufwärmen gegönnt und jubelt ziemlich angeheitert dem Königspaar zu: „Viva il Re! Viva la Regina!“
Beim Hofknicks gibt sie noch einen Hicks und rettet sich zur Getränketafel voller Sektgläser.
Prompt folgen die edlen Brüder Baronen Thymian und Rosmarin de la Pradera, ganz in grünen Fracks gekleidet, und salutieren stolz: ¡Vivan los Reyes!
Hinten in der Reihe macht sich langsam ein leises Unbehagen breit, die ländliche Kamille übt noch ihre Begrüßung.
Die ältere Duchess Gartennelke Stiffshire wird von ihrer Nichte Dame Mairose gestützt. Beide sind in blassen Puderquasten-Kostümen standesgemäß und sittsam festgezurrt. Mit eingeübter Leichtigkeit säuseln sie: „God save our precious Queen, God save our precious King!“
Die Melodie verwirrt die nervöse Kamille etwas.
Anschließend stürmen die beiden Bepuderten zur Kuchentafel und beobachten mampfend den Rest der Aufwartungen.
Eine mysteriöse Schönheit tänzelt grazil zum Thron. In buntem Federkleid und mit schönen Haarbändern frisiert erweist die Maya Prinzessin Rondeletia von Tulum dem Königspaar alle Ehre. Sie trägt eine Huldigung des Bienengottes Ah Mucen Cab in Versform vor.
„Heavens!“ flüstert konsterniert die Duchess und verschluckt sich fast am Mandelstollen mit Puderzucker. Ihre Nichte wühlt derweil nach den Herztropfen der Tante in ihrer Handtasche.
Die Kamille bekommt auch vor Aufregung langsam Herzrasen.
Als nächstes marschieren Schulter an Schulter Raja Patchouli und Rana Zimt im Partnerlook als Holzscheite verkleidet. Sie halten ihre Handflächen zusammen auf Brusthöhe und lächeln zu einem „Namaste“.
„Goodness gracious!“ hüstelt erneut die Duchess und ist der Ohnmacht nahe.
Und dann folgt als letzte die ländliche Kamille in Begleitung ihres Bruders Cumarin, beide so kerngesund und das Herz an der richtigen Stelle. Ihre Mittel ließen keine ausschweifende Kostümierung zu, aber mit bescheidenem Einfallsreichtum schufen sie eine tragbare Ornamentik. Kleine Heuballen für den Bruder, geflochtene Blumenzöpfe für die Schwester.
Wie lange hatten die beiden ihre Aufwartung einstudiert. Einfach war es nicht gewesen auf dem Lande, höfisches Benehmen war nicht weit verbreitet.
Doch das Schicksal hatte es gut mit ihnen gemeint. Ein struwweliger Arzt und Schriftsteller weilte für einige Zeit in ihrem Dorf, ein gewisser Heinrich Hoffmann. Als Dank für die ländliche Gastfreundschaft brachte er den beiden den Text zur Kaiserhymne bei. Die Melodie kannten sie bereits, da sie nicht nur im Großbritannien, sondern in etlichen Königreichen die gleiche war.
Und so füllt die Kamille ihre Brust mit Luft und singt lauthals voller ländlicher und sonnendurchfluteter Kraft, während ihr Bruder Cumarin die Melodie zur Hymne so gut es geht summt.
„Heil Dir, Du Knusperhanns!
Hölzern in Pracht und Glanz!
Heil, Knacker, Dir!
Beißen, wie Du, wer kann’s?
Nüsse des Vaterlands
Lässt Du gewiss nicht ganz.
Heil Knacker, Dir!“
In der Schloßchronik liest man von einer Ohnmachtsattacke, wildes Raunen und eisiger Stimmung.
Wenn da nicht eine süßliche Rondeletia zu einem nicht ganz standesgemäßen aber witzigen mexikanischen Walzer mit Klatscheinlage aufgefordert hätte.
Und so konnte das vorweihnachtliche Fest in voller Pracht gefeiert werden und das königliche Paar gütig gestimmt werden.
Vielen Dank an Scentennial.
Seit 140 Jahren bietet es eine meiner geschätzten Duftrichtungen an, nämlich das Fougère.
1882 erschien der allererste Farn-Duft des Hauses und wurde stets behutsam immer leicht an den Zeitgeschmack angepaßt, kaum wahrnehmbare Veränderungen.
Doch 2010 fand eine Palastrevolution statt und der Hof stand Kopf!
Zisch!
Grundgütiger, hier weht mir in den ersten Sekunden eine leichte Apfelsaftschorle entgegen.
Aber der Eindruck legt sich zum Glück schnell wieder und ich bekomme eine zu meiner Überraschung doch sehr florale Kopfnote.
Zwar sind hier die obligatorischen Fougère-Komponenten Bergamotte und Lavendel klar zu riechen, doch schwingt etwas Blumiges sogleich mit.
An Kräutern nehme ich Thymian und Rosmarin wahr, doch sie bitzeln etwas unter zweier Blüten. Ich muß der Sache auf den Grund gehen.
Denn diese beiden Blüten prägen den gesamten Verlauf, drängen die unverzichtbare Rosengeranie in die zweite Reihe und lassen die krautige Gartennelke nur ganz entfernt pudern, was einen leicht bitter frischen, wenn nicht kühlen Effekt verschafft.
Dagegen pocht ein warmer, etwas heller Patchouli an Zimt von der Basis her, der Ausgleich findet statt. Der Muskatellersalbei geht hier leider fast Inkognito vorbei.
Welches Eichenmoos hier zur Auswahl steht, bleibt mir verborgen. Das Substitut wirkt sehr dezent, nur ein Quäntchen seifig.
Das Harzige und Ambrierte bekomme ich erst am Duftende mit, aber sehr gelungen.
Zum Glück bleibt die gelistete Tonkabohne nur flüsternd im Hintergrund. Sie hat etwas verdorrt Reifes, aber nicht Unangenehmes.
Und nun zu den beiden Blüten. Sie werden von Cumarin, welches in keinem Fougère fehlen sollte, sehr hell und lichtdurchflutet gehalten. Wie auf einer sonnendurchfluteten Wiese. Hier und da etwas Heu und eine leichte Waldmeisterbrise.
Das Ländliche wird eindeutig von der Kamille evoziert. Zusammen mit dem Lavendel schafft sie ein leicht wassernahes Gefühl. Ich hüte mich von Aquatik zu sprechen, denn das wäre hier fehl am Platz. Dieser Eindruck hat hier was von einem Bächlein, rein und ruhig.
Die andere Blüte ist diese süßliche Rondeletia. Hier hat Rodrigo Flores-Roux etwas Charaktervolles aus dem Süden seiner mexikanischen Heimat eingearbeitet.
Hell, süß, leicht zitirsch steht sie gediegen der ländlichen Kamille gegenüber.
Insgesamt sticht diese Version des Duftes durch eine helle, leicht bitzelnde und sehr blumige Ausrichtung des Themas hervor. Sehr charakterstark, eindeutig auszumachen im Meer von ähnlichen Duftempfehlungen. Das Grüne kommt hier leider etwas zu knapp, ich sehe den Duft eher in warmem Roségold, vielleicht noch ein paar grüne Pflänzchen am Wegesrand dazu.
Die Haltbarkeit ist schon gut, was ich leider von der etwas schüchternen Sillage nicht behaupten kann. Der Duft bleibt als dezente Aura am Körper und schwingt nur leicht im Raum.
Doch nun zu der brennenden Frage: ist dieses Fougère im Vergleich zu anderen königlich?
Vielleicht lade ich mal zu einem dieser aristokratischen Bälle ein, um etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen.
Das königliche Paar Fürst Lavendel de Montfleuri und Fürstin Rosengeranie von den Hängen laden zum alljährlichen Tanz der Farne in der Adventszeit ein.
Ganz nach der vorgeschriebenen Etikette müssen die geladenen Gäste eine höfische Reverenz den erlauchten Gastgebern erweisen.
Die Kutschen werden von prächtigen Kaltblütern durch schneebedeckte Wege gezogen, ihre Scheuklappen sind mit Mistelzweigen drapiert.
Fluchs strömen die Gäste ins warme Palais, die winterliche Kälte an der Auffahrt erquickt sie ein wenig. Der Ballsaal ist festlich geschmückt und hell erleuchtet. Girlanden aus Tannenreisig mit roten Seidenschleifen an den Wänden geben den passenden Rahmen für den prächtigen Tannenbaum voller Glaskugeln und roten Kerzen.
Und gut zentriert begrüßt das königliche Paar von ihrem Thron aus die edle Gesellschaft. Im Hintergrund spielt die Musikkapelle das berühmte Menuett von Luigi Boccherini.
Alsbald tritt als erste der Reihe die als Weihnachtsapfel kostümierte Contessa Bergamotte di Calabria hervor. Sie hat sich einen guten Calvados während der kalten Fahrt zum Aufwärmen gegönnt und jubelt ziemlich angeheitert dem Königspaar zu: „Viva il Re! Viva la Regina!“
Beim Hofknicks gibt sie noch einen Hicks und rettet sich zur Getränketafel voller Sektgläser.
Prompt folgen die edlen Brüder Baronen Thymian und Rosmarin de la Pradera, ganz in grünen Fracks gekleidet, und salutieren stolz: ¡Vivan los Reyes!
Hinten in der Reihe macht sich langsam ein leises Unbehagen breit, die ländliche Kamille übt noch ihre Begrüßung.
Die ältere Duchess Gartennelke Stiffshire wird von ihrer Nichte Dame Mairose gestützt. Beide sind in blassen Puderquasten-Kostümen standesgemäß und sittsam festgezurrt. Mit eingeübter Leichtigkeit säuseln sie: „God save our precious Queen, God save our precious King!“
Die Melodie verwirrt die nervöse Kamille etwas.
Anschließend stürmen die beiden Bepuderten zur Kuchentafel und beobachten mampfend den Rest der Aufwartungen.
Eine mysteriöse Schönheit tänzelt grazil zum Thron. In buntem Federkleid und mit schönen Haarbändern frisiert erweist die Maya Prinzessin Rondeletia von Tulum dem Königspaar alle Ehre. Sie trägt eine Huldigung des Bienengottes Ah Mucen Cab in Versform vor.
„Heavens!“ flüstert konsterniert die Duchess und verschluckt sich fast am Mandelstollen mit Puderzucker. Ihre Nichte wühlt derweil nach den Herztropfen der Tante in ihrer Handtasche.
Die Kamille bekommt auch vor Aufregung langsam Herzrasen.
Als nächstes marschieren Schulter an Schulter Raja Patchouli und Rana Zimt im Partnerlook als Holzscheite verkleidet. Sie halten ihre Handflächen zusammen auf Brusthöhe und lächeln zu einem „Namaste“.
„Goodness gracious!“ hüstelt erneut die Duchess und ist der Ohnmacht nahe.
Und dann folgt als letzte die ländliche Kamille in Begleitung ihres Bruders Cumarin, beide so kerngesund und das Herz an der richtigen Stelle. Ihre Mittel ließen keine ausschweifende Kostümierung zu, aber mit bescheidenem Einfallsreichtum schufen sie eine tragbare Ornamentik. Kleine Heuballen für den Bruder, geflochtene Blumenzöpfe für die Schwester.
Wie lange hatten die beiden ihre Aufwartung einstudiert. Einfach war es nicht gewesen auf dem Lande, höfisches Benehmen war nicht weit verbreitet.
Doch das Schicksal hatte es gut mit ihnen gemeint. Ein struwweliger Arzt und Schriftsteller weilte für einige Zeit in ihrem Dorf, ein gewisser Heinrich Hoffmann. Als Dank für die ländliche Gastfreundschaft brachte er den beiden den Text zur Kaiserhymne bei. Die Melodie kannten sie bereits, da sie nicht nur im Großbritannien, sondern in etlichen Königreichen die gleiche war.
Und so füllt die Kamille ihre Brust mit Luft und singt lauthals voller ländlicher und sonnendurchfluteter Kraft, während ihr Bruder Cumarin die Melodie zur Hymne so gut es geht summt.
„Heil Dir, Du Knusperhanns!
Hölzern in Pracht und Glanz!
Heil, Knacker, Dir!
Beißen, wie Du, wer kann’s?
Nüsse des Vaterlands
Lässt Du gewiss nicht ganz.
Heil Knacker, Dir!“
In der Schloßchronik liest man von einer Ohnmachtsattacke, wildes Raunen und eisiger Stimmung.
Wenn da nicht eine süßliche Rondeletia zu einem nicht ganz standesgemäßen aber witzigen mexikanischen Walzer mit Klatscheinlage aufgefordert hätte.
Und so konnte das vorweihnachtliche Fest in voller Pracht gefeiert werden und das königliche Paar gütig gestimmt werden.
Vielen Dank an Scentennial.
31 Antworten


Wenn der Duft das ausstrahlt, dann kann er nicht schlecht sein.
Deine Rezension auch.
Wäre wohl nicht mein Duft, aber ich habe deine tolle Beschreibung samt Geschichte wieder sehr gerne gelesen!
Deine Probe hat alles ausgelöst.
Danke Dir!
Chapeau!