Fougère Royale (2010) (Eau de Parfum) von Houbigant

Fougère Royale 2010 Eau de Parfum

Version von 2010
Axiomatic
10.12.2022 - 13:56 Uhr
48
Top Rezension
9Duft 8Haltbarkeit 7Sillage 9Flakon 7Preis

Der Ball des Farns

Houbigant, welch traditionsreiches Haus und Namensgeber dieser erfolgreichen Duftkomposition.
Seit 140 Jahren bietet es eine meiner geschätzten Duftrichtungen an, nämlich das Fougère.
1882 erschien der allererste Farn-Duft des Hauses und wurde stets behutsam immer leicht an den Zeitgeschmack angepaßt, kaum wahrnehmbare Veränderungen.
Doch 2010 fand eine Palastrevolution statt und der Hof stand Kopf!

Zisch!

Grundgütiger, hier weht mir in den ersten Sekunden eine leichte Apfelsaftschorle entgegen.
Aber der Eindruck legt sich zum Glück schnell wieder und ich bekomme eine zu meiner Überraschung doch sehr florale Kopfnote.
Zwar sind hier die obligatorischen Fougère-Komponenten Bergamotte und Lavendel klar zu riechen, doch schwingt etwas Blumiges sogleich mit.
An Kräutern nehme ich Thymian und Rosmarin wahr, doch sie bitzeln etwas unter zweier Blüten. Ich muß der Sache auf den Grund gehen.
Denn diese beiden Blüten prägen den gesamten Verlauf, drängen die unverzichtbare Rosengeranie in die zweite Reihe und lassen die krautige Gartennelke nur ganz entfernt pudern, was einen leicht bitter frischen, wenn nicht kühlen Effekt verschafft.
Dagegen pocht ein warmer, etwas heller Patchouli an Zimt von der Basis her, der Ausgleich findet statt. Der Muskatellersalbei geht hier leider fast Inkognito vorbei.
Welches Eichenmoos hier zur Auswahl steht, bleibt mir verborgen. Das Substitut wirkt sehr dezent, nur ein Quäntchen seifig.
Das Harzige und Ambrierte bekomme ich erst am Duftende mit, aber sehr gelungen.
Zum Glück bleibt die gelistete Tonkabohne nur flüsternd im Hintergrund. Sie hat etwas verdorrt Reifes, aber nicht Unangenehmes.

Und nun zu den beiden Blüten. Sie werden von Cumarin, welches in keinem Fougère fehlen sollte, sehr hell und lichtdurchflutet gehalten. Wie auf einer sonnendurchfluteten Wiese. Hier und da etwas Heu und eine leichte Waldmeisterbrise.
Das Ländliche wird eindeutig von der Kamille evoziert. Zusammen mit dem Lavendel schafft sie ein leicht wassernahes Gefühl. Ich hüte mich von Aquatik zu sprechen, denn das wäre hier fehl am Platz. Dieser Eindruck hat hier was von einem Bächlein, rein und ruhig.
Die andere Blüte ist diese süßliche Rondeletia. Hier hat Rodrigo Flores-Roux etwas Charaktervolles aus dem Süden seiner mexikanischen Heimat eingearbeitet.
Hell, süß, leicht zitirsch steht sie gediegen der ländlichen Kamille gegenüber.

Insgesamt sticht diese Version des Duftes durch eine helle, leicht bitzelnde und sehr blumige Ausrichtung des Themas hervor. Sehr charakterstark, eindeutig auszumachen im Meer von ähnlichen Duftempfehlungen. Das Grüne kommt hier leider etwas zu knapp, ich sehe den Duft eher in warmem Roségold, vielleicht noch ein paar grüne Pflänzchen am Wegesrand dazu.

Die Haltbarkeit ist schon gut, was ich leider von der etwas schüchternen Sillage nicht behaupten kann. Der Duft bleibt als dezente Aura am Körper und schwingt nur leicht im Raum.

Doch nun zu der brennenden Frage: ist dieses Fougère im Vergleich zu anderen königlich?

Vielleicht lade ich mal zu einem dieser aristokratischen Bälle ein, um etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen.

Das königliche Paar Fürst Lavendel de Montfleuri und Fürstin Rosengeranie von den Hängen laden zum alljährlichen Tanz der Farne in der Adventszeit ein.
Ganz nach der vorgeschriebenen Etikette müssen die geladenen Gäste eine höfische Reverenz den erlauchten Gastgebern erweisen.

Die Kutschen werden von prächtigen Kaltblütern durch schneebedeckte Wege gezogen, ihre Scheuklappen sind mit Mistelzweigen drapiert.
Fluchs strömen die Gäste ins warme Palais, die winterliche Kälte an der Auffahrt erquickt sie ein wenig. Der Ballsaal ist festlich geschmückt und hell erleuchtet. Girlanden aus Tannenreisig mit roten Seidenschleifen an den Wänden geben den passenden Rahmen für den prächtigen Tannenbaum voller Glaskugeln und roten Kerzen.
Und gut zentriert begrüßt das königliche Paar von ihrem Thron aus die edle Gesellschaft. Im Hintergrund spielt die Musikkapelle das berühmte Menuett von Luigi Boccherini.

Alsbald tritt als erste der Reihe die als Weihnachtsapfel kostümierte Contessa Bergamotte di Calabria hervor. Sie hat sich einen guten Calvados während der kalten Fahrt zum Aufwärmen gegönnt und jubelt ziemlich angeheitert dem Königspaar zu: „Viva il Re! Viva la Regina!“
Beim Hofknicks gibt sie noch einen Hicks und rettet sich zur Getränketafel voller Sektgläser.

Prompt folgen die edlen Brüder Baronen Thymian und Rosmarin de la Pradera, ganz in grünen Fracks gekleidet, und salutieren stolz: ¡Vivan los Reyes!

Hinten in der Reihe macht sich langsam ein leises Unbehagen breit, die ländliche Kamille übt noch ihre Begrüßung.

Die ältere Duchess Gartennelke Stiffshire wird von ihrer Nichte Dame Mairose gestützt. Beide sind in blassen Puderquasten-Kostümen standesgemäß und sittsam festgezurrt. Mit eingeübter Leichtigkeit säuseln sie: „God save our precious Queen, God save our precious King!“
Die Melodie verwirrt die nervöse Kamille etwas.
Anschließend stürmen die beiden Bepuderten zur Kuchentafel und beobachten mampfend den Rest der Aufwartungen.

Eine mysteriöse Schönheit tänzelt grazil zum Thron. In buntem Federkleid und mit schönen Haarbändern frisiert erweist die Maya Prinzessin Rondeletia von Tulum dem Königspaar alle Ehre. Sie trägt eine Huldigung des Bienengottes Ah Mucen Cab in Versform vor.
„Heavens!“ flüstert konsterniert die Duchess und verschluckt sich fast am Mandelstollen mit Puderzucker. Ihre Nichte wühlt derweil nach den Herztropfen der Tante in ihrer Handtasche.
Die Kamille bekommt auch vor Aufregung langsam Herzrasen.

Als nächstes marschieren Schulter an Schulter Raja Patchouli und Rana Zimt im Partnerlook als Holzscheite verkleidet. Sie halten ihre Handflächen zusammen auf Brusthöhe und lächeln zu einem „Namaste“.
„Goodness gracious!“ hüstelt erneut die Duchess und ist der Ohnmacht nahe.

Und dann folgt als letzte die ländliche Kamille in Begleitung ihres Bruders Cumarin, beide so kerngesund und das Herz an der richtigen Stelle. Ihre Mittel ließen keine ausschweifende Kostümierung zu, aber mit bescheidenem Einfallsreichtum schufen sie eine tragbare Ornamentik. Kleine Heuballen für den Bruder, geflochtene Blumenzöpfe für die Schwester.
Wie lange hatten die beiden ihre Aufwartung einstudiert. Einfach war es nicht gewesen auf dem Lande, höfisches Benehmen war nicht weit verbreitet.
Doch das Schicksal hatte es gut mit ihnen gemeint. Ein struwweliger Arzt und Schriftsteller weilte für einige Zeit in ihrem Dorf, ein gewisser Heinrich Hoffmann. Als Dank für die ländliche Gastfreundschaft brachte er den beiden den Text zur Kaiserhymne bei. Die Melodie kannten sie bereits, da sie nicht nur im Großbritannien, sondern in etlichen Königreichen die gleiche war.

Und so füllt die Kamille ihre Brust mit Luft und singt lauthals voller ländlicher und sonnendurchfluteter Kraft, während ihr Bruder Cumarin die Melodie zur Hymne so gut es geht summt.

„Heil Dir, Du Knusperhanns!
Hölzern in Pracht und Glanz!

Heil, Knacker, Dir!

Beißen, wie Du, wer kann’s?

Nüsse des Vaterlands

Lässt Du gewiss nicht ganz.

Heil Knacker, Dir!“

In der Schloßchronik liest man von einer Ohnmachtsattacke, wildes Raunen und eisiger Stimmung.
Wenn da nicht eine süßliche Rondeletia zu einem nicht ganz standesgemäßen aber witzigen mexikanischen Walzer mit Klatscheinlage aufgefordert hätte.

Und so konnte das vorweihnachtliche Fest in voller Pracht gefeiert werden und das königliche Paar gütig gestimmt werden.

Vielen Dank an Scentennial.
31 Antworten
ActaNonVerbaActaNonVerba vor 11 Monaten
Danke für die kurzweilige Rezension. Ich empfinde den Duft als Meisterwerk.
SpatzlSpatzl vor 2 Jahren
Zu so einem schönen Fest wäre ich auch mal gerne eingeladen. Wann und wo feierst du denn?
SchoeibksrSchoeibksr vor 2 Jahren
Ich finde, hätte man den Waldmeister-Cumarin & die Tonkasüße runtergeschraubt, wäre er noch besser.
Camey5000Camey5000 vor 3 Jahren
1
Auch mit dieser schönen Beschreibung bleibt der Duft recht nichtssagend. Zart doch überbewertet.
TradescantiaTradescantia vor 3 Jahren
1
Welch feine und einladende Idylle.
Wenn der Duft das ausstrahlt, dann kann er nicht schlecht sein.
GoldGold vor 3 Jahren
1
Ausführlich und wirklich sehr anschaulich beschrieben... der königliche Fougère ist schon très royale 👑.
Deine Rezension auch.
Brelles530Brelles530 vor 3 Jahren
1
tolle Rezension und danke fürs näherbringen! Der Fougère Royale rückt gleich wieder näher in den Fokus
FrauKirscheFrauKirsche vor 3 Jahren
1
Toller Ausflug in royale Gefilde:-)
Wäre wohl nicht mein Duft, aber ich habe deine tolle Beschreibung samt Geschichte wieder sehr gerne gelesen!
GandixGandix vor 3 Jahren
1
Kamille als Aschenputtel gefiel mir am besten... Die Nüsse sind auch dabei... Bald ist es wieder soweit... ☺️
ExUserExUser vor 3 Jahren
1
Der hat Dich ja ziemlich erwischt und inspiriert :)
ExUserExUser vor 3 Jahren
1
Herzlich gerne! :-)
AxiomaticAxiomatic vor 3 Jahren
Und ich verdanke Dir diese Inspiration.
Deine Probe hat alles ausgelöst.
Danke Dir!
SiebenkäsSiebenkäs vor 3 Jahren
1
Fürwahr, was für ein famoser und inspirierender Ballbericht, dem Ur-Fougère mehr als würdig! Als wortgewandter und kundiger Hofberichterstatter kann dir nicht mal Rolf Seelmann-Eggebert das Wasser reichen! Knusperhanns-Pokal mit Goldornamentik!
XecutXecut vor 3 Jahren
1
Eine ausgezeichnete olfaktorische Vorstellung, mit viel Detailliebe, und eine wunderschöne Hofgeschichte!
Can777Can777 vor 3 Jahren
1
Eine sehr treffende royale Rezensione und Geschichte von Dir. Und der Duft ist richtig schön. Ich mag den sehr!
TasteExploreTasteExplore vor 3 Jahren
1
Nach langer Zeit wieder ein unterhaltsamer und königlicher Hofkommentar von einem meiner Lieblingsdüfte. Gerne gelesen …
SetaSeta vor 3 Jahren
1
Origineller, witziger, lebenspraller Kommentar! Mit Apfelsaftschorle hätte ich bei diesem Überklassiker nicht gerechnet...
SalvaSalva vor 3 Jahren
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Ein sehr guter seiner Sorte ist dieser Duft, den Du klasse präsentiert hast. Gerne gelesen!
IsolaniIsolani vor 3 Jahren
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Vom warmen Roségold hin zu den skurrilen Verstrickungen in scheinbar erlauchter Gesellschaft: süffig, prall und detailreich!Klatscheinlagenpokal.
ErgoproxyErgoproxy vor 3 Jahren
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Welch ausführlicher Bericht vom Adelsexperte Axiomatic von Twinset-Schluppenbluse. 😁
Eggi37Eggi37 vor 3 Jahren
1
Wenn ich könnte würdest du 2 Pokale dafür bekommen. Das war königlicher als der Duft selbst, welcher schon gut ist :-)
PonticusPonticus vor 3 Jahren
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Eine wunderbare Ballnacht war das und ich als stiller Leser konnte die Düfte der Gäste und Tänzer spüren! Uns sie haben nicht enttäuscht, wahrhaft royal!
SchatzSucherSchatzSucher vor 3 Jahren
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Und wenn sie nicht gestorben sind, fougèren sie noch heute... Ein zeitlos schöner Duft, standesgemäß aufgedröselt. Royalpokal.
PrzeginiaPrzeginia vor 3 Jahren
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Ist mir dann zu schüchtern… 👍🏻
GschpusiGschpusi vor 3 Jahren
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Das hab ich jetzt mal als meine Gute Nacht Geschichte genommen. Sehr schön 👍
KedroaKedroa vor 3 Jahren
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Wie immer eine unglaublich tolle und informative Rezension von Dir.
Chapeau!
YataganYatagan vor 3 Jahren
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Angemessen royale Rezension. !
PollitaPollita vor 3 Jahren
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Klingt ja ein bisschen wie eine royale Betriebsweihnachtsfeier. Wie immer wunderbar unterhaltsam beschrieben. Chapeau!
MarieposaMarieposa vor 3 Jahren
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Was für ein Fest! Auf dem Ball der Blumen und Kräuter darf ein Schmetterling natürlich nicht fehlen und ich drehe mich noch im Blumenwalzer. Hach...
FloydFloyd vor 3 Jahren
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Wieder sehr eindrücklich und dann filmreif beschrieben. Danke Dir.
NuiWhakakoreNuiWhakakore vor 3 Jahren
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Ein berauschendes Fest! Ich war da, bei mir gab es aber die ersten beiden Stunden nur Kamillentee, das drückte die Stimmung, bevor es dann doch noch ganz gut wurde. Musikalisch bevorzuge ich aber auch God save the Queen, jedoch in der Version der Sex Pistols...