43
Top Rezension
Der Hexenmeister
A.D. 1302
„Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben!“
Der junge Alchimist saß in seinem Studierzimmer, in der Hand eine Feder, getaucht in dunkle Tinte, um die geheime Formel zu Papier zu bringen, sie wirkmächtig zu machen. Da stieg ihm der Geruch der schwarzen Tinte in die Nase, der Duft der encre noire, ein Geruch, der ihm sofort alle möglichen Assoziationen bescherte: die Schulzeit, mit ihrem Leid und ihren Freuden, der letzte Brief an seinen Vater, der erste Brief an ein Mädchen, das er aus irgendwelchen Gründen, an die er sich nicht mehr recht erinnern konnte, geliebt hatte, das umgestoßene Glas Tinte am Küchentisch seiner Mutter; sie war erzürnt, dann aber schnell wieder besänftigt gewesen. Tinte war ein Elixier des Geistes: So wie Wasser das Elixier des Körpers war, so war die Tinte Seelennahrung für denkende Menschen, ein Geruch, der zu inspirieren vermag.
„Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.“
Wenn nun noch andere inspirierende Gerüche zu dem Tintengeruch hinzuträten, dann könnte man wirklich ein Wunder vollbringen, ein Wunder des Wohlgeruchs: scharf-würziges Kraut gehört in einen Zaubertrank, ebenso Vetiveröl aus der geheimnisvollen Wurzel des Vetivergrases, für das noch kein Alchimist eine synthetische Formel als Ersatz gefunden hat. Manchmal gibt es Wunder der Natur, die sich allen Analysen der Alchimie entziehen. Dreimal kräftig umgerührt mit einem Zauberstab aus Kaschmirholz, der eine Ahnung seines feinen Geruchs in der brodelnden Brühe lässt: fertig wäre der Zaubertrank, der noch in Generationen Heerscharen von Männern dazu verführen könnte, sich die Lösung auf dem ganzen Körper zu verteilen und der Heerscharen von Frauen dazu verführen möge, diesen Männern zu verfallen.
A.D. 2013
Natürlich kann man Encre Noire allerlei vorwerfen: Ist ein Duft, der tatsächlich den Geruch von Tinte in der Kopfnote evoziert, im Zeitalter virtueller Sprache noch zeitgemäß? Offenbar ist es aber gerade die Faszination von dunkler Tinte mit all ihren Konnotationen, die den Erfolg von Encre Noire begründet. Dass dieser Duft nicht nur so heißt (Encre Noire), nicht nur in einem schwarzen Tintenglas steckt, sondern auch noch ein wenig so zu riechen scheint, macht das Gesamtkunstwerk perfekt.
Für mich ist es aber vor allem wieder die kunstvolle Einbettung von Vetiveröl, die mich hier fasziniert, ganz ähnlich wie bei Timbuktu (das feiner ziseliert ist), wie bei Sycomore (das man fast für einen Duftzwilling halten könnte, solange man die beiden Düfte nicht direkt vergleicht) und wie bei Guerlains Vetiver (das den Geruch des Vetiveröls puristischer präsentiert).
Encre Noire erzählt eine Geschichte: Man muss nicht an Goethes Hexenmeister oder an die eigene Schulzeit denken; allein die Faszination von schwarzer Schreibtinte im Zeitalter von Internet und Blogs ist eine Geschichte im besten Sinne des Wortes, ein genialer Wurf, der bei einem Duftkunstwerk so etwas wie Ganzheit und Dichte schafft. Das ist vielleicht die olfaktorische Umsetzung der Idee, die hinter den Tintenherz-Romanen von Cornelia Funke steckt, Kinder- und Jugendbücher, die ganz zu Recht auch Erwachsene in ihren Bann gezogen haben: Tinte, aufgetragen auf die Seiten eines leeren Buches, erweckt die Gestalten dahinter zum Leben, schafft einen Gegenentwurf zu unserer nur mehr blutleeren Zeit, die lediglich noch Bildschirme, Bilder und Tastaturen kennt, aber keine Räume für Phantasie.
Ein Duft, der den weichen Geruch von Tinte mit der säuerlichen Herbheit einer Pflanze (!) kontrastiert (Vetiver) und mit Holztönen unterlegt, kann in diesen Zeiten eigentlich nur Erfolg beschieden sein. Es gibt noch genug Menschen, die eine solche Idee im weiteren Sinne des Wortes bezaubernd finden. Voraussetzung ist dann allerdings noch die Bereitschaft, sich auf den säuerlichen Duft von Vetiver einzulassen, zugegebenermaßen nicht jedermanns und -fraus Sache.
Aber wenn es gelingt, dann bitte Vorsicht: Suchtgefahr!
„Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
„Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben!“
Der junge Alchimist saß in seinem Studierzimmer, in der Hand eine Feder, getaucht in dunkle Tinte, um die geheime Formel zu Papier zu bringen, sie wirkmächtig zu machen. Da stieg ihm der Geruch der schwarzen Tinte in die Nase, der Duft der encre noire, ein Geruch, der ihm sofort alle möglichen Assoziationen bescherte: die Schulzeit, mit ihrem Leid und ihren Freuden, der letzte Brief an seinen Vater, der erste Brief an ein Mädchen, das er aus irgendwelchen Gründen, an die er sich nicht mehr recht erinnern konnte, geliebt hatte, das umgestoßene Glas Tinte am Küchentisch seiner Mutter; sie war erzürnt, dann aber schnell wieder besänftigt gewesen. Tinte war ein Elixier des Geistes: So wie Wasser das Elixier des Körpers war, so war die Tinte Seelennahrung für denkende Menschen, ein Geruch, der zu inspirieren vermag.
„Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.“
Wenn nun noch andere inspirierende Gerüche zu dem Tintengeruch hinzuträten, dann könnte man wirklich ein Wunder vollbringen, ein Wunder des Wohlgeruchs: scharf-würziges Kraut gehört in einen Zaubertrank, ebenso Vetiveröl aus der geheimnisvollen Wurzel des Vetivergrases, für das noch kein Alchimist eine synthetische Formel als Ersatz gefunden hat. Manchmal gibt es Wunder der Natur, die sich allen Analysen der Alchimie entziehen. Dreimal kräftig umgerührt mit einem Zauberstab aus Kaschmirholz, der eine Ahnung seines feinen Geruchs in der brodelnden Brühe lässt: fertig wäre der Zaubertrank, der noch in Generationen Heerscharen von Männern dazu verführen könnte, sich die Lösung auf dem ganzen Körper zu verteilen und der Heerscharen von Frauen dazu verführen möge, diesen Männern zu verfallen.
A.D. 2013
Natürlich kann man Encre Noire allerlei vorwerfen: Ist ein Duft, der tatsächlich den Geruch von Tinte in der Kopfnote evoziert, im Zeitalter virtueller Sprache noch zeitgemäß? Offenbar ist es aber gerade die Faszination von dunkler Tinte mit all ihren Konnotationen, die den Erfolg von Encre Noire begründet. Dass dieser Duft nicht nur so heißt (Encre Noire), nicht nur in einem schwarzen Tintenglas steckt, sondern auch noch ein wenig so zu riechen scheint, macht das Gesamtkunstwerk perfekt.
Für mich ist es aber vor allem wieder die kunstvolle Einbettung von Vetiveröl, die mich hier fasziniert, ganz ähnlich wie bei Timbuktu (das feiner ziseliert ist), wie bei Sycomore (das man fast für einen Duftzwilling halten könnte, solange man die beiden Düfte nicht direkt vergleicht) und wie bei Guerlains Vetiver (das den Geruch des Vetiveröls puristischer präsentiert).
Encre Noire erzählt eine Geschichte: Man muss nicht an Goethes Hexenmeister oder an die eigene Schulzeit denken; allein die Faszination von schwarzer Schreibtinte im Zeitalter von Internet und Blogs ist eine Geschichte im besten Sinne des Wortes, ein genialer Wurf, der bei einem Duftkunstwerk so etwas wie Ganzheit und Dichte schafft. Das ist vielleicht die olfaktorische Umsetzung der Idee, die hinter den Tintenherz-Romanen von Cornelia Funke steckt, Kinder- und Jugendbücher, die ganz zu Recht auch Erwachsene in ihren Bann gezogen haben: Tinte, aufgetragen auf die Seiten eines leeren Buches, erweckt die Gestalten dahinter zum Leben, schafft einen Gegenentwurf zu unserer nur mehr blutleeren Zeit, die lediglich noch Bildschirme, Bilder und Tastaturen kennt, aber keine Räume für Phantasie.
Ein Duft, der den weichen Geruch von Tinte mit der säuerlichen Herbheit einer Pflanze (!) kontrastiert (Vetiver) und mit Holztönen unterlegt, kann in diesen Zeiten eigentlich nur Erfolg beschieden sein. Es gibt noch genug Menschen, die eine solche Idee im weiteren Sinne des Wortes bezaubernd finden. Voraussetzung ist dann allerdings noch die Bereitschaft, sich auf den säuerlichen Duft von Vetiver einzulassen, zugegebenermaßen nicht jedermanns und -fraus Sache.
Aber wenn es gelingt, dann bitte Vorsicht: Suchtgefahr!
„Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
26 Antworten


Sehr fein geschrieben.Pokal!