25.08.2019 - 12:45 Uhr
Aglianico
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In Berufung gehen: Aller en appel
In einer allerorten bekannten Online-Enzyklopädie heißt es: „Die Berufung, auch Appellation, ist ein Rechtsmittel gegen ein Urteil der ersten Instanz.“ Ich gehe mit diesem Kommentar in Berufung gegen mein eigenes erstes Urteil über Cargo de Nuit. Noch vor wenigen Wochen vergab ich eine siebeneinhalb, verbunden mit dem inzwischen gelöschten Statement, er habe gewisse Anleihen von White Musk (Bodyshop, ein Zehntel des Preises), zeige jedoch leider nicht viel mehr als jener. Die Schwachbrüstigkeit, die oft angemerkt wird, unterschrieb ich blind.
Und dann kam mir mein Urlaub in die Quere. Mailand. Eine Stadt voller Versuchungen für Modebegeisterte (ich nicht) und Parfumverrückte (ich ein bisschen). Eine Stadt, die Geld ansaugt und nach der Eingabe einer vierstelligen Pin einfach so im Nichts verschwinden lässt. Ende August ein relativ leeres (Sommerferien), brütend heißes Pflaster. Ab in die klimatisierten Parfümerien und Kaufhäuser! Was es da nicht alles zu entdecken gab …
… unter anderem auch die Olfactories-Reihe von Prada, preislich gehoben wie die Parco Palladiano-Reihe von Bottega Veneta oder die La Collection Privée Christian Dior. Hm, da war doch was, dachte ich mir. Und da stand tatsächlich auch Cargo de Nuit, jener von mir ins Mittelmaß ver-/beurteilte Duft mit dem klingenden, seltsamen, neugierig machenden Namen, von dem ich noch immer nicht weiß, ob er auf einen französischen Hit der 80er-Jahre – von einem gewissen Axel Bauer – anspielen soll oder in irgendeiner Verbindung zu Midnight Train und Moonlight Shadow aus derselben Reihe steht. „Frachtschiff der Nacht“ – oder wie soll man’s übersetzen? Klingt ein wenig so als würde McDonalds einen neuen Burger „Melancholie des Pampa-Rinds“ taufen; da könnte man dann lange drüber philosophieren. Sei’s drum.
Nach der ersten Bekanntschaft via Parfumo-Sharing (danke an Niklas) wollte ich dem Nachtfrachtschiff noch eine zweite Chance geben. Im Untergeschoss einer großen Parfümerie, die auch eigene Düfte kreiert und u.a. durch einen Aventus-„Klon“ bekannt ist, durfte ich Cargo de Nuit nochmals auf meiner Haut und meinem Hemd testen sowie auf einem Papierstreifen. Erst bei 22, 23 Grad, dann draußen bei 32, 33.
Ja, ich bleibe bei einem dominanten Moschuseindruck, der von den Ambrettesamen (Bisameibisch, Abelmoschus) herrühren dürfte, die gemäß Recherche oft als Substitut für tierischen Moschus verwendet werden. Für mich hat das hier allerdings nichts Animalisches, sondern etwas Wohlig-Weiches. Von „sauber“ wie z.B. bei Infusion d’Iris Cèdre würde ich persönlich nicht sprechen, auch wenn ich verstehe, warum diese Assoziation leicht aufkommen mag. Prada selbst gibt übrigens Moschus statt Ambrettesamen an. Komplett: Moschus, Aldehyde (sehr generisch), holzige und mineralische Noten (sehr generisch), Amber, Ambroxan (erschließt sich mir gar nicht), Cumarin. Auch hier: sei’s drum. Es kommt ja auf den Duft an – und der kann auf verschiedene Weisen „realisiert“ werden, ebenso wie die Duftnoten ja meist eher Assozationen, nicht unbedingt Inhaltsstoffe zu sein scheinen.
Viele hier haben ja eine Waldmeisterassoziation, die vom Cumarin herrühren dürfte. Ich bin da etwas zwiegespalten. In einem nahen Kräutergarten habe ich eine Handvoll Waldmeister gepflückt und mehrmals mit Cargo de Nuit verglichen: frisch, nach etwa einer Stunde, nach sechs, einem halben Tag … Mein Eindruck: Dieses leicht Süßliche, „Schwebende“, auf gar nicht herbe Weise Würzige im Cargo de Nuit mag Cumarin sein, aber kein Waldmeister. Aber ich gebe zu, dass ich den Duft auch einmal mit halbverschnupfter Nase gerochen habe und da dann plötzlich doch an Waldmeister dachte (ich finde es spannend, wie anders, fast schon fremd und neuartig Düfte dann riechen können). Trotzdem: Wer nach Waldmeister sucht, sollte lieber woanders weitersuchen. Aber eine dominante Note dieses Parfums geht zumindest in jene Richtung.
Die angesprochene Cumarin-Note ist übrigens auch im Luna Rossa Black zu erriechen, dort allerdings für meinen Geschmack eingekleidet in zu viel ablenkende intensive Holzigkeit (?).
In Cargo de Nuit verwebt Daniela Andrier vor allem diese beiden Duftnoten – etwas Moschushaftes und etwas Cumarinhaftes – zu einem leisen, dezenten Duftklang, der bei mir wahrscheinlich deswegen in erster Instanz durchgefallen ist, weil er gänzlich unspektakulär-unaufdringlich ist und erst dann nicht nur „nett“, sondern richtig schön wird, wenn man ganz genau hinriecht und sich ihm hingibt. Cargo de Nuit ist dann (für mich zumindest) ein wundervoller, beseelter, kuschliger Duft, ein Duftnebel im Wald, so zart, dass er einer transparenten, zartgrünen Puderwolke gleicht. Ja, er hüllt ein, ja, er macht selig. Und ja, er ist dabei absolut nicht laut. Mit beispielsweise der Infusion d’Iris Cèdre teilt er Dezenz und Seriosität, ist aber wärmer, nahbarer, während letzterer Duft meines Erachtens etwas artifizieller und distanzierter wirkt (was ich dort aber sehr schön finde).
Das alles macht Cargo de Nuit für mich zu einem Duft, der sich wunderbar auf der Arbeit tragen lässt, auch und gerade wenn man viel Kontakt mit anderen Menschen hat. Diese Funktionalität ist ja ohnehin vielen Prada-Düften eigen (z.B. zahlreiche Infusiones oder der L’homme). Cargo de Nuit passt irgendwie fast immer. Auf der Arbeit, in der Freizeit, bei einer Verabredung. Nur für ein „lautes Ausgehen“ wäre er zu leise. Ich empfinde ihn zudem im Vergleich zu zahlreichen „Infusionen“ als wirklich unisex, oder sagen wir: geschlechtsneutral.
Einmal, an einem kühlen Sommerabend, habe ich ihn mir auf einen kuschlig-weichen Pulli gesprüht. Und da entstand eine ganz eigene Magie. Bei mir ist Cargo de Nuit auf der Haut recht flüchtig (oder ich adaptiere zu schnell), aber auf Kleidung ist er eigenwilligerweise wie eine ausdauernde, sanfte Wattepuderwolke, lecker und unaufdringlich, zartsüß und doch gänzlich ungourmandig. Ein Träumchen, wenngleich keines mit der größten Ausdauer. Ich blicke, bei aller Freude über die viele Sonne, doch schon gespannt den frischeren, kälteren Tagen entgegen, an denen dieser Duft wie von Zauberhand einen Eindruck von Kuschligkeit, Gemütlichkeit, Behaglichkeit, Cosiness, Hygge, oder wie auch immer man es nennen mag, erzeugen wird.
Ist er seinen gehobenen Preis wert? Standardantwort: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich muss ehrlich sagen: Vermutlich werden neun von zehn Interessierten nach einem ausführlichen Test enttäuscht sein, weil sie „mehr“ für das viele Geld erwartet hätten. Ich verstehe das. Nur für mich passt er leider einfach ziemlich gut. Er ist nicht spektakulär dröhnend, kein Weltwunder, kein Kunstwerk. Aber er ist einfach sehr gut gemacht – und mit der nötigen Geduld zeigte er mir seine ganze sanfte Subtilität. Ich werde ihn gerne tragen, besonders im Herbst und Frühling, auf der Arbeit oder danach zum Entspannen, um kuschlig umduftet zu sein.
Und dann kam mir mein Urlaub in die Quere. Mailand. Eine Stadt voller Versuchungen für Modebegeisterte (ich nicht) und Parfumverrückte (ich ein bisschen). Eine Stadt, die Geld ansaugt und nach der Eingabe einer vierstelligen Pin einfach so im Nichts verschwinden lässt. Ende August ein relativ leeres (Sommerferien), brütend heißes Pflaster. Ab in die klimatisierten Parfümerien und Kaufhäuser! Was es da nicht alles zu entdecken gab …
… unter anderem auch die Olfactories-Reihe von Prada, preislich gehoben wie die Parco Palladiano-Reihe von Bottega Veneta oder die La Collection Privée Christian Dior. Hm, da war doch was, dachte ich mir. Und da stand tatsächlich auch Cargo de Nuit, jener von mir ins Mittelmaß ver-/beurteilte Duft mit dem klingenden, seltsamen, neugierig machenden Namen, von dem ich noch immer nicht weiß, ob er auf einen französischen Hit der 80er-Jahre – von einem gewissen Axel Bauer – anspielen soll oder in irgendeiner Verbindung zu Midnight Train und Moonlight Shadow aus derselben Reihe steht. „Frachtschiff der Nacht“ – oder wie soll man’s übersetzen? Klingt ein wenig so als würde McDonalds einen neuen Burger „Melancholie des Pampa-Rinds“ taufen; da könnte man dann lange drüber philosophieren. Sei’s drum.
Nach der ersten Bekanntschaft via Parfumo-Sharing (danke an Niklas) wollte ich dem Nachtfrachtschiff noch eine zweite Chance geben. Im Untergeschoss einer großen Parfümerie, die auch eigene Düfte kreiert und u.a. durch einen Aventus-„Klon“ bekannt ist, durfte ich Cargo de Nuit nochmals auf meiner Haut und meinem Hemd testen sowie auf einem Papierstreifen. Erst bei 22, 23 Grad, dann draußen bei 32, 33.
Ja, ich bleibe bei einem dominanten Moschuseindruck, der von den Ambrettesamen (Bisameibisch, Abelmoschus) herrühren dürfte, die gemäß Recherche oft als Substitut für tierischen Moschus verwendet werden. Für mich hat das hier allerdings nichts Animalisches, sondern etwas Wohlig-Weiches. Von „sauber“ wie z.B. bei Infusion d’Iris Cèdre würde ich persönlich nicht sprechen, auch wenn ich verstehe, warum diese Assoziation leicht aufkommen mag. Prada selbst gibt übrigens Moschus statt Ambrettesamen an. Komplett: Moschus, Aldehyde (sehr generisch), holzige und mineralische Noten (sehr generisch), Amber, Ambroxan (erschließt sich mir gar nicht), Cumarin. Auch hier: sei’s drum. Es kommt ja auf den Duft an – und der kann auf verschiedene Weisen „realisiert“ werden, ebenso wie die Duftnoten ja meist eher Assozationen, nicht unbedingt Inhaltsstoffe zu sein scheinen.
Viele hier haben ja eine Waldmeisterassoziation, die vom Cumarin herrühren dürfte. Ich bin da etwas zwiegespalten. In einem nahen Kräutergarten habe ich eine Handvoll Waldmeister gepflückt und mehrmals mit Cargo de Nuit verglichen: frisch, nach etwa einer Stunde, nach sechs, einem halben Tag … Mein Eindruck: Dieses leicht Süßliche, „Schwebende“, auf gar nicht herbe Weise Würzige im Cargo de Nuit mag Cumarin sein, aber kein Waldmeister. Aber ich gebe zu, dass ich den Duft auch einmal mit halbverschnupfter Nase gerochen habe und da dann plötzlich doch an Waldmeister dachte (ich finde es spannend, wie anders, fast schon fremd und neuartig Düfte dann riechen können). Trotzdem: Wer nach Waldmeister sucht, sollte lieber woanders weitersuchen. Aber eine dominante Note dieses Parfums geht zumindest in jene Richtung.
Die angesprochene Cumarin-Note ist übrigens auch im Luna Rossa Black zu erriechen, dort allerdings für meinen Geschmack eingekleidet in zu viel ablenkende intensive Holzigkeit (?).
In Cargo de Nuit verwebt Daniela Andrier vor allem diese beiden Duftnoten – etwas Moschushaftes und etwas Cumarinhaftes – zu einem leisen, dezenten Duftklang, der bei mir wahrscheinlich deswegen in erster Instanz durchgefallen ist, weil er gänzlich unspektakulär-unaufdringlich ist und erst dann nicht nur „nett“, sondern richtig schön wird, wenn man ganz genau hinriecht und sich ihm hingibt. Cargo de Nuit ist dann (für mich zumindest) ein wundervoller, beseelter, kuschliger Duft, ein Duftnebel im Wald, so zart, dass er einer transparenten, zartgrünen Puderwolke gleicht. Ja, er hüllt ein, ja, er macht selig. Und ja, er ist dabei absolut nicht laut. Mit beispielsweise der Infusion d’Iris Cèdre teilt er Dezenz und Seriosität, ist aber wärmer, nahbarer, während letzterer Duft meines Erachtens etwas artifizieller und distanzierter wirkt (was ich dort aber sehr schön finde).
Das alles macht Cargo de Nuit für mich zu einem Duft, der sich wunderbar auf der Arbeit tragen lässt, auch und gerade wenn man viel Kontakt mit anderen Menschen hat. Diese Funktionalität ist ja ohnehin vielen Prada-Düften eigen (z.B. zahlreiche Infusiones oder der L’homme). Cargo de Nuit passt irgendwie fast immer. Auf der Arbeit, in der Freizeit, bei einer Verabredung. Nur für ein „lautes Ausgehen“ wäre er zu leise. Ich empfinde ihn zudem im Vergleich zu zahlreichen „Infusionen“ als wirklich unisex, oder sagen wir: geschlechtsneutral.
Einmal, an einem kühlen Sommerabend, habe ich ihn mir auf einen kuschlig-weichen Pulli gesprüht. Und da entstand eine ganz eigene Magie. Bei mir ist Cargo de Nuit auf der Haut recht flüchtig (oder ich adaptiere zu schnell), aber auf Kleidung ist er eigenwilligerweise wie eine ausdauernde, sanfte Wattepuderwolke, lecker und unaufdringlich, zartsüß und doch gänzlich ungourmandig. Ein Träumchen, wenngleich keines mit der größten Ausdauer. Ich blicke, bei aller Freude über die viele Sonne, doch schon gespannt den frischeren, kälteren Tagen entgegen, an denen dieser Duft wie von Zauberhand einen Eindruck von Kuschligkeit, Gemütlichkeit, Behaglichkeit, Cosiness, Hygge, oder wie auch immer man es nennen mag, erzeugen wird.
Ist er seinen gehobenen Preis wert? Standardantwort: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich muss ehrlich sagen: Vermutlich werden neun von zehn Interessierten nach einem ausführlichen Test enttäuscht sein, weil sie „mehr“ für das viele Geld erwartet hätten. Ich verstehe das. Nur für mich passt er leider einfach ziemlich gut. Er ist nicht spektakulär dröhnend, kein Weltwunder, kein Kunstwerk. Aber er ist einfach sehr gut gemacht – und mit der nötigen Geduld zeigte er mir seine ganze sanfte Subtilität. Ich werde ihn gerne tragen, besonders im Herbst und Frühling, auf der Arbeit oder danach zum Entspannen, um kuschlig umduftet zu sein.
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