Montag, 8:32 Uhr. Ich atmete tief ein und aus, bevor ich den Weg durch das Gebäude in mein Büro antrat.
„Ha, bist du auch schon da?“ bemerkte Hannah, die vermutlich meine Absätze klackern hörte. Ja, ich bin kein Morgenmensch. Eher eine Nachteule. Und am konzentriertesten kann ich arbeiten, wenn schon alle nach Hause abmarschiert sind.
„Es wird ja jeden Tag später, wir haben ZWEI – ZWAHAIII nach halb Neun! Ich bin schon seit 6:30 Uhr hier“, meinte Jessi, die schnippischste von allen aus der Abteilung. Ja schön für dich, dachte ich im Stillen.
Mit verschränkten Armen stellte sie sich in meinen Türrahmen, während ich den Mantel aufhing und den PC einschaltete. Ihre Augen musterten wachsam jede meiner Bewegungen.
„Hast du schon wieder eine neue Handtasche?“ fragte sie ohne sich die Mühe zu machen, ihre Missgunst zu verbergen. Dennoch konnte sie es sich nicht verkneifen, die Tasche mit dem Zeigefinger anzutippen. Sie identifizierte Leder und verdrehte dabei die Augen, als ob es sich um einen infektiösen Fremdkörper handelte. „Dein Parfum kenne ich doch auch irgendwoher…“
Manchmal ist es besser, wenn man sich seinen Teil denkt, anstatt auf dummes Geschwätz zu reagieren. Es erspart sinnlose Konflikte und irgendwann vergeht auch der lautesten Krähe die Lust, auf einer aalglatten, wortkargen Wand herumzuhacken. Macht ihr dann auch keinen Spaß mehr. Nett lächeln und dümmlich gucken. Und Bemerkungen zu meinem Parfum kommentiere ich schon lange nicht mehr. Ich wechsele meine Düfte zwar gerne ab, beachte aber stets dabei, auch hier keine Angriffsfläche zu bieten. Gemotze über Übelkeit, Kopfschmerzen oder gespieltes Gebaren mit Atemnot trugen nicht gerade zum besseren Arbeitsklima bei.
Es ist für meine Nase zwar manchmal etwas langweilig, aber hautnahe sillagearme Frischedüfte sind im Büroalltag relativ konfrontationsarm. Meinen Hang zu starken, orientalischen Parfums habe ich hier auf schmerzhafte Tour gelernt, besser zuhause auszuleben.
Meine Sillage geriet schnell in Vergessenheit, als der neue Kollege vorgestellt wurde. Der Hühnerhaufen schien bei seinem Anblick völlig außer Rand und Band zu sein. Abgesehen vom akkurat sitzenden Anzug und seiner sportlichen Statur, war er wirklich schön anzusehen. Fast schon eine Verschwendung fürs Büro. Die Damen schienen einen regelrechten Wettbewerb auszutragen, wer ihn zuerst durch die Räumlichkeiten führen dürfe und alle wichtigen Dinge erklären könne. Als er den vierten Kaffee dankend ablehnte, hielt es Jessi und Antonia noch lange nicht davon ab, einen weiteren mit klimpernden Augen vor seine Nase zu stellen.
In den nächsten Tagen fand das reinste Schaulaufen statt. Herausgeputzt wie schon lange nicht mehr und immerzu lächelnd drängten die übereifrigen Kolleginnen dem armen Josua ihre Hilfsbereitschaft auf. Irgendwie tat er mir leid und ich hoffte insgeheim, seine Menschenkenntnis möge ihm heller scheinen, als der goldene Modeschmuck der drei aufgeregten Frauen.
Interessant wurde es allerdings, als sich Jessi mal ganz beiläufig bei mir nach dem beliebtesten Damenduft erkundigte. Sie war eine schlechte Schauspielerin. Ich gab ihr die Auskunft nach den höchsten Verkaufszahlen im Damenduftsegment:
La Vie est Belle L'Eau de Parfum. Kurze Zeit später schlich sich Hannah in mein Büro und fragte nach einem modernen Duft der zu ihr passen würde. Lady Gaga erschien vor meinem geistigen Auge und so empfahl ich das Parfum, für welches die Sängerin geworben hatte:
Voce Viva Eau de Parfum . Als Antonia auf dieselbe Idee kam und eine blumige Inspiration suchte, wollte ich nicht direkt gemein sein, sondern wies sie subtil mit "My Way | Giorgio Armani" – away aus meiner Tür.
Und dann am nächsten Tag nahm das Unheil seinen Lauf. Der schöne Josua schloss sich in seinem Büro ein, vermutlich wollte er ungestört arbeiten. Die drei, nun überaus bedufteten Grazien tänzelten im Flur auf und ab und schielten auf seine immer noch verschlossene Tür. Kurz vor der Mittagszeit begann ihre Ungeduld neue kreative Blüten zu schlagen. Die eine stellte in der Küche eine prickelnde Zitronenlimonade auf Josuas Platz, die nächste dekorierte einen lieblichen Jasminstrauch neben dem Trinkglas und die dritte wischte die übrig gebliebene Tischfläche mit einem feuchten Tuch 4711 ab.
Sie hielten den Atem an, als sie das Öffnen seiner Tür hörten. Wie auf Kommando griffen sie in ihre Handtaschen und sprühten sich in Windeseile von Kopf bis Fuß mit ihren neuen Dufterrungenschaften ein.
Josua, gerade im Begriff einzutreten „Mahlz…“ und blieb im Türrahmen stehen, drehte sich einmal um die eigene Achse und versuchte erneut einzutreten. Seine Augen hatten die Größe von Untertassen. Es wirkte, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Japsend sagte er „Es ist… es ist…“
„Was ist es?“ rief Jessi aufrichtig besorgt, ja fast schon hysterisch.
„Es ist paradox“, waren seine letzten Worte, bevor er wie ein Baumstamm einfach nach hinten umfiel.
Und wer jetzt fragt, wer schuld ist an der ganzen Misere, kann ich klar sagen: Prada.
Nein, der Duft ist an sich nicht schlecht. Man hat jedoch das Gefühl ihn schon zu kennen. Er wirkt auf mich wie ein Mix der oben genannten Düfte, die alle gefällig und tragbar sind aber zusammen keine neue Erkenntnise zu Tage bringen. Beschreiben kann ich ihn nur so: Zitrische Kopfnote mit Jasmin und Orangenblüte ergeben ein süßes Miteinander, dem die Individualität jedoch verloren gegangen ist.