Maggy4u
Top Rezension
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Lights and Shadows
Vincent Micotti, die Nase hinter Ys Uzac, selbst gab zwei Führungen anläßlich einer Paul Klee Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel. Hier wurden unter dem Thema "Die abstrakte Dimension" Werke Klees ausgestellt, die Vincent in seiner Führung unter dem Titel "Paul Klee, Duftende Erinnerungen" aufgriff. In diesem Kontext wurde auch der Duft als Hommage an Paul Klee geschaffen und präsentiert. Klee selbst war in seinem Leben nicht nur ein gefeiertes Mitglied der Blauen Reiter, Wegbereiter der abstrakten Kunst und enger Freund Kandinskys. Er schrieb Tagebuch und so sind viele seiner Gedanken zu Farben und Abstraktion für die Nachwelt in seinen Worten erhalten geblieben. So beschäftigte er sich sehr intensiv damit das geheimnisvolle Zwischenreich zwischen der realen Erscheinung und dem Wesen der Dinge sichtbar machen zu wollen. Eben die abstrakte Dimension.
Blickt man nun auf den Bildband zur Ausstellung, findet man zwei Namen wieder. Zum einen wirkte Vincent Micotti hier ebenfalls mit, aber auch Teodor Currentzis, Stardirigent und olfaktorischer Partner und Pate bei den Düften Air16 und Theros, erscheint als einer der Autoren. Die beiden Künstler verbindet also mit Klee eine weitere Leidenschaft. Geht man nun in Klees Biographie, erkennt man schnell, dass er als Kind einer Musikerfamilie es auch zu einiger Fertigkeit mit der Violine gebracht hat. Und damit unter anderem sogar zeitweilens seinen Unterhalt bestreiten konnte. Vincent Micotti, ehemals Berufsmusiker, und Currentzis, fanden hier im Genie Klees sicher mehr als nur graphische Anknüpfungspunkte.
Klee selbst schrieb in seinem Tagebuch einst: "Farbig fesselt uns nicht die Beleuchtung sondern das Licht. Licht und Schatten ist graphische Welt. An Phänomenen reicher als ein sonniger Tag ist die diffuse Helligkeit leichter Verschleierung."
Der Flakon und auch seine Verpackung sind kleine Meisterwerke an sich. So ziert das schwere Glas ein Symbol eines Baums. Ein Tagebucheintrag eines Nachmittags auf seiner Tunesienreise 1914 findet sich auf einem gefalteten Zettel im inneren der Box. Erzählt von Farben, Düften, Eindrücken und wohlriechendem Holz, das verbrannt wird. In dieser Zeit fand Klee nachhaltig zu seiner Farbigkeit.
Ein weiterer Eintrag auf der Rückseite der Verpackung zitiert Klee 1915. Hier gibt sich Klee selbst mehrdimensional und verweist auf die Trümmer eines Krieges in sich selbst, den er hinter sich ließ und nun "Abstrakt mit seinen eigenen Erinnerungen" umgehen gelernt hat. Es sind also wieder die abstrakten Dimensionen in der Wahrnehmung, die es für uns zu erfassen gilt, um diesen Duft ggf. auch besser einordnen zu können. (Die entsprechenden Zeilen habe ich dem Parfum als Foto hinzugefügt.)
Gleich vorab. Ich halte dieses Parfum für ein olfaktorisches Bild, das Vincent Micotti erschaffen hat. Zu Beginn gezeichnet von mut(will)iger Dissonanz der Akkorde. Man ist gewillt bestimmten Duftklängen eine Ebene des Schattens oder des Lichts zuschreiben zu wollen und doch ist eigentlich in jedem Moment eben die abstrakte Dimension "dahinter" die zu beiden Welten oder genau die oben bereits beschriebene Zwischenwelt zwischen dem Realen und dem Erlebten entwirft.
Der Rhabarber, der grün und unreif, rau und doch lebendig, uns gleich zu Beginn empfängt, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Fragt man sich doch gleich, "aha, interessant", aber will ich so duften? Lösen wir uns also von einem designten Duft, der "nur" gefallen will, sondern lassen wir uns schon hier auf eine Erfahrung ein. Die reale Welt kennen wir ja bereits. Nach einer Weile wird das schroffe, bitter-grüne, des Rhabarbers ergänz durch eine unreife, sehr unterschwellige Süße. Ich vermute hier die Pflaume aus der Akkordeliste. Man könnte aber auch einfach, unreifes Steinobst, schreiben.
Im weiteren Verlauf harmonisiert sich tatsächlich der anfänglich dissonante Eindruck hin zu einem Duftbild, das durch Papier und metallische Tinte eine weiter Dimension findet und vermutlich die akribische Tagebuchpassion Klees beschreiben soll. Auch hier schrieb Klee nicht lyrisch, sondern teilweise sehr abstrakt über Erlebtes und dessen Wirkung auf ihn.
Im Drydown "beruhigen" sich weiter die teilweise konträren Eindrücke und lassen uns in ein fast orientalisch anmutendes Bett aus warmen Holzräuchernoten und minimal, fruchtiger Süße fallen. Hier wird das Thema der für Klee so prägenden Tunesienreise aufgenommen und erklärt die Dattel im Akkordereigen.
Die Hommage an Paul Klee ist kein einfaches, aber dafür sehr gelungenes Parfum. Es steht für ein Thema im Leben eines künstlerischen Wesens, dessen Vermächtnis nicht nur in über 10.000 Werken unsere Welt verändert hat, sonder mit diesem Duft eine weitere Dimension erlebbar macht. Die abstrakte Dimension.