Der Begriff „Ghalia“ stammt aus dem arabischen und bedeutet so viel wie „kostbar“ oder „von unschätzbarem Wert“. Er fungiert sowohl als weiblicher Vorname – wenn auch eher selten – als auch als Beschreibung für extrem wertvolle Dinge, die eigentlich den Königshäusern der Emirate vorbehalten sind.
Wer schonmal in den Genuss gekommen ist, einen Duft von EO zu testen oder gar zu besitzen, weiß dass Ensar, Adam und Co. in Sachen Luxus und Qualität keine Kompromisse eingehen. Das spiegelt sich neben der außergewöhnlichen Duft-Erfahrung natürlich auch im Preis wieder.
Wenn aber nun noch der Zusatz „Ghalia“ im Namen auftaucht, kann man einiges erwarten denn das bedeutet neben der Tatsache, dass Ensar auf diese Kreation ganz besonders stolz ist nämlich auch, dass hier wiedermal Material aus dem „Royal Archive“ von Sultan Qaboos, der bis zu seinem Tod im Jahre 2020 Sultan von Oman war, seinen Platz gefunden hat. Im Fall von Iris Ghalia sind es uralter Hirschmoschus aus Tibet und „Royal Ambergris“.
Die aktuelle Version ist schon die dritte Auflage dieses Duftes. Leider bekam ich meine erste Probe erst nachdem beide Versionen bereits ausverkauft waren. Wochenlang jagte ich einem Flakon hinterher aber niemand dachte auch nur daran ihn zu verkaufen. Vor einigen Wochen dann kam die Nachricht, dass es nun eine dritte, angeblich nochmals verbesserte Version geben wird. Ein „Encore“ der Ursprungs-Version. Wo der Unterschied zwischen IG1 und IG2 lag? Im Original wurden drei Inhaltsstoffe verwendet, die in der zweiten Auflage weggelassen wurden, um ihn weniger animalisch und damit „massentauglicher“ zu machen. In der dritten und aktuellen Auflage kommen diese drei Inhaltsstoffe nun wieder zum Einsatz.
1. „Hyraceum“ oder auch „Africa Stone“: Hierbei handelt es sich um die versteinerten Fäkalien des aus Süd-Afrika stammenden Klippschliefers. Diese meist Jahrhunderte alten Fragmente werden gesammelt, in Alkohol gelöst und in Form einer Tinktur dann unter anderem als Fixativ in hochwertigen Parfums verwendet.
2. Castoreum oder auch Bibergeil: Dieses Sekret aus der Drüse eines Bibers wird als extrem ledrig, rauchig und animalisch beschrieben. Sie dient oftmals als Basis in klassischen Leder-Akkorden.
3. Muskrat: Hierbei handelt es sich prinzipiell um die gleiche Art von Sekret wie dem Bibergeil, allerdings handelt es sich hier um einen verwandet Art, der Bisamratte. In Reinfrom wird dieser Stoff als noch animalischer und von Ensar selbst als „unfassbar abstoßend“ beschrieben.
Wer sich an dieser Stelle (zurecht) Gedanken um die Ethik der Verwendung solch tierischer Inhaltsstoffe macht, dem sei gesagt, dass Ensar Oud mittlerweile ausschließlich auf Altbestände der arabischen Königsfamilien zurückgreift. Zu damaligen Zeiten wurden diese Tiere nicht nur aufgrund dieser kostbaren Inhaltsstoffe gejagt, sondern wurden als Ganzes verwertet und dienten unter anderem als Nahrung.
Genug Vorgeschichte – kommen wir zum Duft selbst.
Ich muss zugeben, dass das Opening „ungeübte Nasen“ ein wenig fordern oder zeitweise sogar überfordern kann. Eine Explosion von Eindrücken. Zum einen eine eine florale, leicht pudrige aber dennoch weiche, fast schon cremig-buttrige Iris, zum anderen fruchtig, spritzige Noten wie schwarze Johannisbeere und Pfirsich. Als wäre dies nicht genug, wird dieser Cocktail dann auch noch von einem ganzen Battalion aus Animalik kontrastiert. Im Opening kommen hauptsächlich Ambergris und Moschus zur Geltung. Der Ambergris sorgt für einen leicht salzigen, mineralischen Einschlag. Der tibetische Moschus für eine leicht süßlichen, prickelnde Note. Ich muss sagen, dass ich die tibetische Moschus Variante immer als süßlich prickelnd, fast schon kandiert wahrnehme. Für mich hat sie kaum Ähnlichkeiten mit sibirischem Moschus, der oftmals einen leicht urinösen Touch mit sich bringt.
Sobald sich der anfängliche „Sturm“ ein wenig gelegt hat, entfaltet der Duft seine unfassbare Schönheit. Die Kombination aus Iris, Früchten und blauem Lotus erzeugt für mich eine Bild von frisch aufgebrühtem Schwarz- oder Earl Grey Tee. Die Gewürze geben eine gewisse Tiefe und sorgen dafür, dass das Opening nicht zu dünn wird. Nach einigen Minuten kommt dann auch der Moschus wieder durch. Er verleiht dem Duft eine spezielle Süße und Spitzigkeit. Der anfänglich eher herbe Tee wandelt sich dadurch fast schon in einer Art leicht gesüßten, natürlichen Pfirsich-Eistee.
Im Laufe der ersten 1-2 Stunden wird der Duft dann wieder herber und rauchiger. Zeitweise kämpft sich auch eine trocken, ledrige Note aus dem Hintergrund durch. Castoreum und Hyraceum kreieren hier eine olfaktorische Struktur, die mich an trockenen Pfeifentabak mit leichtem Vanille-Aroma erinnert. Das hier zwar nicht gelistete aber definitiv spürbare Maroke-Oud der Adlerholz Gattung „Aquilaria Filaria“ sorgt in der Basis mit für eine ordentliche Portion dunklen aber dennoch nicht kratzigen Rauch, der zusammen mit steinig, mineralischer Ambra als perfekter Gegenspieler zur fruchtig-floralen Puder-Iris fungiert.
Allgemein kann man sagen, dass in diesem Duft keine Note die andere erdrückt. Alles scheint mal wieder perfekt ausbalanciert. Ensar selbst beschreibt Iris Ghalia als seine bisher größte Herausforderung. Laut seiner Aussage gab es keinen Duft, den er so oft verworfen und neu aufgebaut hat wie diesen. Iris sei nicht nur einer der teuersten Inhaltsstoffe (ca. 70.000-90.000 € /kg) sondern auch eine der am schwersten zu „zähmenden“ überhaupt.
Auch im Drydown sind die Kopfnoten vor allem in der Duftwolke um einen herum noch immer gut wahrnehmbar. Der Duft bleibt von Anfang bis Ende irgendwie ganzheitlich und scheint sich nie in einzelne Bestandteile aufzulösen. Dies bedeutet aber nicht im geringsten, dass der Duft linear wäre. Er verhält sich fast wie ein Chamäleon. Mal zeigt er sich fruchtig, ledrig. Mal rauchig, floral. Mal pudrig, spritzig. Jede Nuance immer mit einem perfekten Gegenspieler im Gepäck. Quasi Ying und Yang im Spray-Format. Trotz der Iris als Hauptcharakter ist Iris Ghalia selbstverständlich nicht im geringsten mit den klassischen Iris-Vertretern wie Prada L’homme oder Dior Homme Intense, Parfum etc. vergleichbar. Ich sehe Gerüche in Farben und Strukturen und dieser Duft erzeugt in meinem Kopf Bilder von blau-violetten Aquarellen auf Leinwand.
Projektion und Haltbarkeit sind für einen 100% natürlichen Duft extrem gut! 12-14 Stunden sind hier locker drin. Die ersten 5 Stunden projiziert IG unfassbar stark aber auch danach wird der Duft nie ein „Skin-Scent“. Natürlich kann er nicht mit Synthetik-Biestern à la Montale etc. mithalten aber das ist auch gar nicht deren Intention.
Trotz der zeitweise wirklich satten aber meiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt übertriebenen Animalik ist dieser Duft einer der „alltagstauglichsten“ Kreationen von EO, die ich besitze und kenne. Er wird von meinen Mitmenschen extrem positiv wahrgenommen und ist von all meinen EO-Düften derjenige mit dem größten „Compliment-Factor“ und neben EO02 Kashmir und EO03 mein persönlicher Liebling. Müsste ich mich aus meiner Sammlung für einen einzigen Duft entscheiden, wäre es wohl dieser hier. Er vereint einfach so viele komplexe Eindrücke und Emotionen, dass man einige Zeit braucht um ihn wirklich vollends zu verstehen.
Zugegeben… neben vielen Releases in letzter Zeit, die mich gar nicht gepackt haben, ist Ensar mit Iris Ghalia 3.0 ein weiteres Meisterwerk gelungen. Zumindest für meine Nase.