Ein typischer Parfumo
1 EINLEITUNG
Nachfolgend beschreibe ich einen zwar exemplarischen, gleichwohl aber auch meinen persönlichen Werdegang als Parfumo in kleinen Abschnitten.
Möge sich der eine oder andere in einigen Passagen vielleicht wiedererkennen, denn: Ich habe das Gefühl, ich bin in Vielem inzwischen ein recht typischer Parfumo...
2 MÄNNER UND PARFÜM?
Lange Zeit dachte ich, es wäre irgendwie seltsam, sich als Mann viel aus Parfüm zu machen, es also nicht nur zu tragen, sondern gleich mehrere verschiedene davon zu besitzen, weitere neue zu testen, gar noch darüber zu lesen oder zu schreiben... Ich erzähle das auch nicht jedem, bis heute.
Schließlich geht es um etwas scheinbar Überflüssiges, Dekadentes, vielleicht Künstliches. Keiner meiner männlichen Freunde macht so etwas (oder sagt es ebenfalls nicht, aber Badezimmer können ja auch sprechen).
Seitdem ich auf Parfumo bin, weiß ich aber: Das ist nicht seltsam, das macht ein typischer Parfumo eben so.
3 KINDHEIT
Schon immer war die Nase MEIN Erinnerungs- Träum- Schwärm- und Orientierungsorgan. Das ist nun wirklich nicht bei jedem so, einige haben eine große Gabe, sich Stimmen jahrelang zu merken, oder Gesichter nach Jahrzehnten und trotz Alterungsspuren wiederzuerkennen, oder Geschmäcker zu memorieren, aber bei mir waren es schon immer Düfte. Meine Kindheit ist im Duftgedächtnis abgespeichert, vom Geruch meines Plastik-Kinder-Fahradsitzes am Fahrrad meiner Mutter auf dem Weg zum Kindergarten, über den Spielplatz mit Pfefferminztee hin zum Freibad mit Chlor und Frucht-Lolli über Zündplättchen-Pistolen, die Neubau-Wohnung mit Schimmel von der Tapete und Grillgeruch aus dem Erdgeschoss, von Roulade und Zimt an Weihnachten, über Strandurlaub mit Sonnenmilch, Pommes und Majo, Schule mit Butterbrot und Apfelschnitz bis hin zur Jugend mit ihren ganz anderen, ganz neuen, ganz aufregenden Gerüchen.
Wenn ich auf Parfumo die Kommentare durchstöber, wird mir klar: Mit der Verankerung des Duftgedächtnisses in der Kindheit bin ich nicht alleine, da bin ich einer von vielen. Das ist bei einem typischen Parfumo einfach so.
4 JUGEND
Als 12-Jähriger habe ich bei einem Nordseeurlaub mein erstes Parfüm benutzt. Adidas Adventure. Ich habe es bis ins kleinste Detail noch heute in der Nase (schlimmes Zeug, muss man sagen, wenn man kurz versucht, objektiv zu sein, aber untrennbar mit dem wunderschönen Urlaub und dem ersten Mal verliebt Sein verknüpft).
Danach kamen die synthetisch-minimalistischen CKs und Armanis der 90er, aber von meiner Seite her nie sehr reflektiert ausgewählt, meist auf die Kopfnote oder sogar die Werbung vertrauend gekauft.
Und irgendwann habe ich zufällig und aus Langeweile in einem Kaufhof Creeddüfte durchprobiert und bin beim Royal Water hängengeblieben.
Dass einen die ersten Parfums prägen und man sie nie vergisst, habe ich hier manchmal lesen können und weiß dadurch: Das passiert bei einem typischen Parfumo eben so.
5 NEU BEI PARFUMO
Mit dem pfeffrig-wacholdrigen Zitronensaft von Creeds Royal Water auf dem Arm lief ich nach Hause und hatte zum ersten Mal das Bedürfnis, zu verschriftlichen, was ich rieche und zu lesen, was andere darüber denken.
So fand ich diese Seite.
Dass ich den Duft dann auf Parfumo extrem gut bewertet habe und weiter auch noch dachte, die Beschreibungen "frisch gewaschene Wäsche" oder "Straße nach dem Regen" wären wunder wie originelle Analogien und zudem glaubte, nun hätte ich endgültig den einen und besten Duft überhaupt aller Zeiten gefunden und müsste auch noch allen anderen mitteilen, dass sie ihre Suche nunmehr einstellen könnten, ist mir zwar angemessen peinlich, aber ich weiß jetzt, nach Lektüre zahlloser Erstlings-Rezensionen: Das macht ein Parfumo am Anfang halt so.
6 EUPHORISCHE BLINDBUYS
Bevor ich einigermaßen sinnvoll auswählen konnte und mir gezielt Proben bestellte, ließ ich mich nun öfter von einzelnen Kommentaren oder Bewertungen anfixen, steigerte mich in die stabile Idee hinein, der eine oder andere Duft MÜSSE einfach sagenhaft gut sein und kaufte blind drauf los, was meist zu Reue, Enttäuschung, Geldmangel und Verzweiflung führte.
Andererseits kickte es mich irgendwie auch und das Warten auf den Flakon war immer extrem spannend, meist begleitet von der Lektüre aller bei Parfumo dazu verfügbaren Textschnipsel.
Ohne diesen teuren Umweg geht es wohl bei einem typischen Parfumo nicht, wie mich einige Texte im Forum belehrten und trösteten.
7 PARFUM ALS HOBBY
Endlich begann ich daraufhin einigermaßen systematisch Proben zu ordern und lernte, das Testen richtig zu zelebrieren und zu genießen, meist im Freien, in der Natur, im Park mit dem Babywagen unterwegs. Ich lasse mich dabei gerne von Neuem überraschen, folge Empfehlungen, schätze dabei mittlerweile präzise Statements mehr als epische Kommentare, achte auf Anspielungen, Vergleiche und Warnungen. Ich stehe dazu, dass Parfüm ein echtes Hobby geworden ist und weiß, dass das bei jedem typischen Parfumo so ist.
8 ES HÖRT NICHT AUF
"Die Suche muss irgendwann enden, Parfumo ist nur ein temporäres Mittel zum Zweck, eine Übergangsphase, bis man seinen Duft gefunden hat, dann loggt man sich für immer aus und genießt seinen Fund", dachte ich, was natürlich totaler Käse ist (eine sehr seltene Note in Parfums). Man ändert leider seine Duftvorlieben fast permanent und außerdem gibt es zu viele zu gute Düfte und außerdem ist es, ja doch, auch eine Art Such-Sucht, im Sinne von der Weg ist das Ziel, die Vorfreude die größte Freude. Nachdem ich einige Dutzend Male in Kommentaren etwas von "heiligem Gral" und "endlich angekommen" las, der Historie des Nutzers aber danach durchaus noch muntere weitere jahrelange Suche entnehmen konnte, wurde mir klar: Das ist wohl ein typisches Zwischenstadium eines jeden Parfumos.
9 LESEN IST FAST WIE RIECHEN
Seit einigen Wochen komme ich mir manchmal vor wie im Film Matrix, wo es den Programmierern der Trainingssoftware mittlerweile reicht, den Code aus Nullen und Einsen zu überfliegen, um die schöne Frau im roten Kleid plastisch vorm inneren Auge zu haben. So reicht mir die Duftpyramide um mir in etwa vorzustellen, was für ein Duft mich erwarten würde. Hinter einzelnen Wörtern stehen Duft-Erlebnisse und damit eine ganze Horde von Assoziationen, Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen. Die Duftnoten sind kleine Klingelschilder zu Wohnungen voller Begeisterung, Verwunderung und Enttäuschung.
Nach der Lektüre einiger Blogs hier merkte ich bald: Mit dieser Entdeckung reihe ich mich ein in die Menge typischer Parfumos.
10 ZWEIFEL
Nur manchmal fragte ich mich, wie es weitergehen sollte, wenn ich las, dass einige erfolgreiche Parfumeure gar kein Parfüm mehr tragen oder einige Parfumos sich von der Masse der gekauften Flakon-Materie regelrecht erdrückt sahen, sich nach jahrelangem Testen plötzlich unwohl sowohl mit Designern und Nische fühlten, wenn ich zudem selbst erlebte, dass die Qual der Wahl einen unglücklich machen kann, dass sich ernste Zweifel am dekadenten Hobby regen, dass "Besitzen wollen" und "Düfte" zwei Welten sind, die sich fast schon ausschließen.
Insgesamt reichte es mir dann aber meist, nach einem Blick in den einen oder anderen Blog festzustellen: Ich bin mit solchen gelegentlichen "Problemen" ein ziemlich typischer Parfumo.
11 UNVOLLSTÄNDIGES PROFIL
Bei all der Zeit, die ich auf dieser Seite mittlerweile verbracht habe, habe ich absolut überhaupt keine Mühe investiert in die ganzen Angaben über mich selbst, was ich getestet habe und trage, die Merkliste, den Souk, usw. Das stimmt alles hinten und vorne nicht und bleibt als letztes unbearbeitet, damit ich mich nicht zu nerdig fühle.
Wenn ich beim einen oder anderen User die "getestet"-Angaben mit der Anzahl der Kommentare vergleiche, würde ich jedenfalls mal sagen: Da bin ich einer relativ typischer Parfumo.
12 SPAß
Es ist schön, wenn das kurze abendliche Defragmentieren auf der Couch nicht in Verbindung mit einem hirnfreien Handyspiel steht, sondern mit dem Denken an Düfte, mit Recherche, Bestellung, Beschreiben, Vergleichen, Formulieren etc.
Die Community ist unkompliziert, herzlich, witzig, unterhaltsam... Im Grund eine Art Selbsthilfegruppe. DANKE DAFÜR! UND KOMMT GUT INS NEUE JAHR!
(P.S.: Würde ich mir die Mühe machen und suchen, würde ich vermutlich einen Blogbeitrag finden, der meinem recht ähnlich ist, da ein typischer Parfumo wahrscheinlich irgendwann nunmal sowas schreibt).