Abschlussbericht nach 3 Jahren Parfumo Intensivtäterschaft - Teil 01: Die Nische hält für mich nicht, was sie verspricht
Nachträglich wird dieser Blog als Teil 01 meines "Abschlussberichtes" zu meiner dreijährigen Parfumo-Intensivtäterschaft deklariert. Caligari, 08.12.2019
Mit einiger Berechtigung könnten jetzt viele denken: "Der meint wohl seine Sammlung?". Doch hier träfe das Gegenteil zu. Die schon längst Übererfüllte wartet schon seit langem sehnsüchtig auf das Handeln ihres Besitzers, der offenbar zu schwach ist, ihm gefällige Düfte rauszuwerfen, obwohl das endlich Übersicht und Praktikabilität mit sich brächte. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier auch noch Thema sein wird.
Heute geht es um die Unterscheidung zwischen Mainstream und Nische. Oder Nische und nicht Nische. Das Etikett "Nische" wird zumindest vom Handel und sicherlich von vielen Konsumenten gern genommen, suggeriert es doch wunderbar einen Abstand zum Gewöhnlichen. Wer will das schon sein? Gewöhnlich. Dann doch eher unique! Ich bin nun seit drei Jahren "Intensivtäter" und hatte schon sehr bald Zweifel an diesem Etikett. Und nach drei Jahren halte ich ehrlich gesagt gar nix mehr davon. Man könnte denken, dass die Grenze zwischen den beiden Welten zumindest an der Größe bzw. der Verbreitung der Marke festzumachen wäre. Aber auch das ist angesichts der Zugehörigkeit vieler Marken zu großen Konzernen reine Augenwischerei. Wenn die Label nicht schon aus dem Konzern heraus geboren wurden, so haben sie zumindest bei ihrer Einverleibung auch einen Teil ihrer Eigenständigkeit abgegeben. Im Gegenzug haben sie dafür weltweite Vertriebsstrukturen bekommen, die für mich jede Assoziationen mit dem Begriff "Nische" tilgen.
Jetzt wäre noch die Möglichkeit ein Nischendasein zu attestieren, wenn die Marke bzw. deren Produkte sich deutlich vom "Rest" durch ihren Duft, ihre Extravaganz abgrenzen würden. Dies ist für mich bei sehr vielen, hier sehr en voguen, ich möchte schon sagen gehypten Marken allerdings überwiegend nicht der Fall. Mit wenigen Ausnahmen habe ich diesbezüglich seit ca. 1 1/2 Jahren mehr Enttäuschung denn Erfolge erlebt. Parallel dazu machte ich jedoch reziproke Erfahrungen mit einer anderen Kategorie von Düften, auf die ich weiter unten eingehen möchte und die ursächlich für die Überschrift zu diesem Blog sind. Denn mir reicht die Unterscheidung zwischen Nische und nicht Nische (= Mainstream?) nicht mehr aus.
Ausschlaggebend war, und das Fass zum Überlaufen gebracht hat, heute der Test einer Probe von "New York Patchouli" von Bond No. 9. Die erste Vokabel, die mir nach 30 Sekunden in den Sinn kam war "Frechheit". Nun, vier Stunden später würde ich dies revidieren und daraus ein "absolute Frechheit" machen. Verglichen mit der Erfahrung aus mittlerweile mehr als 2.000 getesteten Düften ist das wirklich NICHTS. Es ist ein Duft und es stinkt auch nicht. Dahingehend ist man also schon mal keinem (Etiketten-)Schwindel aufgesessen. Aber! Der Flakon hat einen Listenpreis von 365,00 € für 100 ml. Was ich rieche ist ein sehr durchschnittlicher, frischer Blumenmix. Künstlich, linear und so oder sehr ähnlich schon 20 Mal gerochen. Den Begriff ''Patchouli'' als Hauptnamengeber zu verwenden schlägt dem Faß, welches ja bereits zum Überlaufen gebracht wurde, endgültig den Boden aus. Diese Note, die auf Viele einen Reiz ausübt, wird von mir (und auch anderen!) überhaupt nicht wahrgenommen. Entlarven lässt sich in diesem Fall der Missbrauch des Begriffes "Nische" noch an einem weiteren Merkmal. Dem sogenannten "Straßenpreis". Eine große Preissuchmaschine findet aktuell mit 155,10 € das günstigste Angebot. Über weite Strecken der vergangenen 12 Monate lag dieser sogar bei nur ca. 135 €. Das sind ca. 63 % Rabatt, ganz ohne Black Friday. Wie seriös ist eigentlich eine solche Preisgestaltung und welchen Wert soll man denn so einem Artikel überhaupt noch beimessen?
Es gibt Düfte der Eigenmarken im Discounter, im Drogeriemarkt und natürlich die sogenannten Designerdüfte. Alles Massenware, die ehrlicherweise ohne dem Etikett "Nische" werben. Auch hier schwanken die Preise bei einem Sale, liegen aber nicht konstant bei ca. einem Drittel des Listenpreises. Das ist gegenüber den selbstdefinierten Nischen schon geradezu ehrlich. Jeder weiß im Voraus, dass es sich nicht um "überwiegend natürliche Zutaten" handelt, und dass man schon beim Weg vom Laden zum Auto einem begegnen könnte, der den eben gekauften Duft auch trägt. Egal. Es riecht gut und im Prinzip gilt: WYSIWYG und das Bezogene liegt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Rahmen des Erwartbaren.
Ich hoffe es wurde deutlich, dass es mir nicht um die Verurteilung des Konsumenten geht. Jeder soll sein Geld ausgeben für das, was er für richtig hält. Es ist eine Kritik an den Vorgauklern von Eigenschaften, die für mich so nicht geliefert werden.
Und nun komme ich zurück auf die seit ca. 1 ½ Jahren gemachten Erfahrungen, die sich parallel zu den o. g. Beobachtungen zutrugen und weiterhin -tragen. Es gibt da draußen Tüftler, die ohne fremde Vorgaben und Einflüsse vor sich hin basteln. Viele haben bei ihrer Arbeit keinen bestimmten Rezipienten vor Augen. Sie experimentieren viel und verwerfen das Meiste davon. Nur ganz wenige dieser Experimente machen sie auch anderen zugänglich. Oft sind die Mengen sehr beschränkt, da sie überwiegend auf natürliche Rohstoffe zurückgreifen. Wenn hier mal ein Duft eine unerwartete Nachfrage erfährt, dann ist es für den Produzenten schon fast ein Ärgernis. Denn er kann dann nicht einfach beim Großhändler anrufen, um in unbegrenzter Menge die notwendigen Chemikalien nachzubestellen. Angesichts dieser Umstände sollte sich doch auch jeder einmal Fragen wie es sein kann, dass viele dieser "Nischen"-Hersteller ihre Düfte jahrelang, scheinbar unbegrenzt in gleichbleibender Qualität anbieten können.
In den meisten Fällen kann ich mittlerweile feststellen, ob ich einen komplexen, überwiegend aus natürlichen Rohstoffen bestehenden Duft vor mir habe, oder eben einen undefinierbaren, ziemlich linear verlaufenden Chemiebaukasten. Beides kann gut riechen und vor allem dem Träger zufriedenstellen. Günstige "Verschleiß"-Düfte, teure "Maßanzüge". Beides ist für mich ehrlich, in Ordnung und liegt innerhalb eines nachvollziehbaren Preis-/Leistungsverhältnisses. Überteuerte Chemiebaukästen für die Maximierung des Shareholder-Values mit dem Feigenblatt "Nische" und der Kraft der Überzeugung, die alleine aus dem Labelnamen herrühren soll, werden von mir nicht mehr unterstütz.
Zusammen mit einem guten Parfumo-Kumpel und Mitstreiter in
dieser Sache bin ich zur Überzeugung gekommen: Nische ist (für uns) tot. Lang
lebe Indie bzw. Independent.