Erst als ich Aggelikis Kommentar las, wurde ich an "Carat" erinnert. Überall standen in meiner Teenagerzeit in den Drogerien die schönen Flakons mit "Carat". Da es keine Selbstbedienung gab, bestaunte ich den Flakon mit seiner Hexaedersilhouette nur von Weitem und in Schaufenstern. Ich mochte schon immer Edelsteine. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, ob ich "Carat" je getestet habe. Und wenn, wie ich ihn fand. Vermutlich so wie ich alle derartigen Düfte damals fand: Nichts für mich, mag ich nicht, zu dolle, so riecht man/ich als Teeager nicht.
Nun hat mir Aggeliki dankenswerterweise eine kleine Abfüllung zukommen lassen.
Bei "Carat" handelt es sich um einen floralen Chypre der 50/60er Jahre. "Carat" beginnt mit aldehydischem Seifengeruch, fein pudrig, kaum zitrisch.
Es ist aber möglich, dass sich die Kopfnote im Laufe der Jahre bis zu einem gewissen Grade verflüchtigt hat. Es ist ja ein echter Vintage und noch dazu eine Abfüllung davon.
Danach wird der Duft leicht krautig, herb, grün, was ich erholsam und beruhigend finde. Ich denke schon: "Ein moderater klassischer Chypre, nicht zu wuchtig und dröhnend, etwas cremig, leichtblütig." Leider wird diese etwas kühlere Periode im Duftverlauf durch aufdringliche Weißblüher abgelöst, die sich eine Zeitlang im Vordergrund auslüften. Das kann man so nennen, weil die Weißblüher, hauptsächlich wohl Jasmin und/oder Maiglöckchen, Narzisse, Hyazinthe oder von allen, das kann ich nicht so genau wissen, nach einer Weile einer schönen cremigen und aromatischen Harz-, Ambra- sowie Blütenmischung das Feld räumen. In dieser Phase erscheint mir "Carat" als Duftzwilling von "Tosca Parfüm".
Hölzer kann ich nicht erkennen. So finde ich "Carat" sehr schön.
Und im Prinzip bleibt "Carat" auch so cremig, harzig, sanfblütig und auch aldehydisch mit einer moderaten Sillage. Jedoch schleicht sich da von Zeit zu Zeit ein Kater heran und lässt einen Duftspritzer los: Zibet. Und dann kommt auch immer wieder ein echter Moschusstier vorbei und reibt sein Hinterteil an dem imaginären eckigen Fels. Wenn die abwechselnd ihre Duftmarken gesetzt haben verschwinden sie wieder und es duftet erneut lieblich. Aber wie so Tiere sind, sie kommen wieder vorbei und wenn sie ihre Duftmarke nicht wieder finden, setzen sie noch eine um das Revier deutlich zu markieren.
Das darf bitte nicht als Nörgelei aufgefasst werden. So sind nun mal die Düfte früher gewesen. Animalisch am Schluss durch authentische Tierdüfte. Ich stelle das nur fest. Wir sind das einfach nicht mehr gewöhnt. Und wir kennen heute dafür Oud, viel aasiger riechende Weißblüher, Efeu, starken Tuberosenduft beispielsweise.
Wenn ich mir viele moderne Düfte für damals vorstelle bin ich sicher, dass ich die wirklich absolut schrecklich gefunden hätte, weil ich das nicht gewohnt war.
Düfte wie "Carat" oder "Tosca" mochte ich nicht wegen des starken Aldehydgeruchs und weil ich sie alle so künstlich und nicht nach richtigen Blumen riechend fand. Und weil alle "Damen" so rochen. Ich wollte jung duften.
Bis zum Ausklang dieser Düfte, etwas "Tosca", habe ich nie gewartet sondern sie ganz schnell wieder abgewaschen.
Erneut stelle ich fest, dass ich heute diese Generation der Düfte viel lieber habe, als die Donnerdüfte, die dann in den 70/80/90er Jahren des letzten Jahrhunderts so überaus zahlreich auf den Markt geworfen wurden.
Guerlain, Chanel, Givenchy waren für mich als Teeager und auch die nächsten Jahrzehnte nicht mal präsent, schon gar nicht verfügbar. Das erste Parfüm, ein richtiges, das ich kennen lernte nach denen wie "Carat" "Tosca" und anderen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, war "Ô de Lancome". Und ich mochte es nicht, wie fremd war mir das. Aber ich habe es ganz selten getragen, ein Geschenk meiner Schwester, weil es modern war, neu, ganz anders.
"Carat" hat eine sehr gute Haltbarkeit und eine mittelmäßige Sillage. Es ist ein rein femininer Duft. Ich meine, man kann ihn heutzutage durchaus wieder tragen, wenn man ihn noch irgendwo auftreiben kann und er nicht gekippt ist.