19.07.2020 - 03:12 Uhr
MonsieurTest
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Genial geschneiderter Kakao-Weihrauch-Amber-Umhang verzaubert Würz-Klassiker in Kuschelkönig
Mit diesem warm schmeichlerischen, elegant wirkenden sowie zum Kuscheln einladenden Duft gelang Azzaro ein erstklassiger Herrenduft. Ein ideales Parfum für den Abend in Oper oder Theater und alles, was folgt. Es verbreitet eine beschwingte, verführerische Aura nebst einem Hauch nicht animalischer Erotik. Ich stelle dieses so seriöse wie weiche Parfum (beinahe) auf eine Stufe mit Guerlains ‚Heritage‘ und dem von mir sehr geliebten ‚L’Instant de Guerlain pour homme‘, mit dem es den unsüß-herben Kakao teilt. Wobei das Guerlain‘sche ‚Instant‘ seine dunkle Schokolade mit Sternanis und Jasmin einen Ticken süßer rahmt als Azzaros Amber Fever, welches Muskatellersalbei und dezenten Weihrauch durch seinen Kakao zieht.
Eigentlich hatte ich ja gewisse Schwierigkeiten mit (dem klassischen) Azzaro: In den späten 80s verbrauchte ich mal einen Flakon. Bald verdrängten es verführerischere, orientalisch angehauchte Reize: Lagerfeld Classic, YSL Jazz – oder bezaubernde Frischlinge wie das Eau pour homme von Armani. Allesamt sahen auch optisch und farblich irgendwie moderner, freundlicher, weniger braun aus ihren Gehäusen. So etablierte sich eine Abneigung gegen dieses vielschichtig dunkle Fougère und ein – im Rückblick irriges – Urteil verfestigte sich: Azzaro sei altbacken, bieder, irgendwie gestrig. Es bedurfte einiger Lektüren und vorsichtiger Neu-Tests in den vergangenen Jahren, um das klassische Azzaro zu wertschätzen als das, was es gewiss ist: ein oder gar DAS klassische Aromatic Fougère, Inbegriff raffiniert ausgewogener grün-holziger Würzigkeit aus 20 Zutaten.
Amber fever ist in fast allem anders und doch in manchem vergleichbar oder womöglich gar merklich verwandt, wenn auch: heutiger, gefälliger. Der Flakon ist ähnlich (gleiche Form, farblich variiert) und präsentiert das recht eigenständige Amber Fever schon dadurch als Flanker des Oldschool-Vorgängers von 1978. Eine leicht angeschrägte, kantige 70er Jahre Kiste – die Autos um 1980 verloren auch alle ihre Kurven und wurden für einige Jahre: kantig. Was einst fortschrittlich war, ist heute retrofuturistisch.
Die Zutatenliste weist kaum Überschneidungen auf: Muskatellersalbei ist bei beiden da, jedoch nicht dominant. Beide zeigen freilich Ähnlichkeit in ihrer Würzigkeit. Wobei diese Würze beim Amber Fever weitgehend auf einem zurückhaltend temperierten Weihrauch ohne Schärfe beruht, während der Klassiker durch Kümmel, Kardamom, Wacholder, Lavendel, Moos, Zeder und Anis breiter und schärfer würzte. Der alte hatte dadurch mehr Kanten; er reizt meine Nase auch in Kopf- und Herznote mit einer gewissen wacholdrigen Kümmelig- und Überkrautigkeit. Wohingegen Amber Fever von Anfang bis Ende rund und weich erscheint, ohne dabei schlaff oder gar zu gefällig zu wirken.
Das Amber Fever brauchte keinesfalls lange oder umwegige Heranführungen, um mich zu erobern. Es ergänzt seine herbe Würzigkeit mit minimaler Süße und jener eleganten Tiefe, welche Kakaonoten liefern im Verbund mit zarten Weihrauchschleiern, die sich im Verlauf in den Vordergrund arbeiten. Das leicht grünliche Muskatellersalbei wird von herbfrischen Kakaonoten umarmt und gibt dem ganzen vom Auftakt an eine, wie ich finde, dunkle, warme Note. Ein Abrutschen in zeitgenössische Übersüße wird standfest vermieden: nur ein Hauch von Süße begleitet den herben Kakao und den ambrierten Weihrauch.
Das klassische Azzaro stelle ich mir gut an einem Geschäftsmann oder Wissenschaftler im Arbeitseinsatz vor, während das Amber Fever seinen Auftritt eher in den Abendstunden und intimeren Settings zelebrieren mag. Beide tendenziell im Erwachsenenprogramm. Amber Fever betrachte ich als Kuschelduft, als Sympathie- und Lockmittel fürs Ausgehen. Es weist eine angenehm moderate Sillage sowie gute Haltbarkeit auf.
Dieser Azzaro-Flanker wurde offenbar nur limitiert vertrieben. (Warum bloß, so gut und zeitlos wie der ist?) Deswegen sollten sich Interessierte womöglich nicht zu lange mit Zögern aufhalten. Auch die Einschätzungen der werten Kollegen hier bei Parfumo weisen darauf hin, dass der Duft den wenigen, die ihn unter der Nase hatten, gefällt. Weswegen womöglich – beim kaum in Parfumläden anzutreffenden Fieber-Wasser, das in Deutschland wohl gar nicht vermarktet wurde – auch ein Internet Blindkauf in Betracht gezogen werden könnte.
Seine Einsatzgebiete sehe ich eher im Bereich geselliger oder intimer Zusammenkünfte als zur Arbeit. Er passt aufgrund einer gewissen Schwere und Dichte wohl besser in Herbst und Winter als im Sommer. Ich trug ihn gerade wieder an verregneten Sommertagen im Home Office und genoß seine wärmende Gemütlichkeit. An Jüngeren kann ich mir Amber Fever viel besser vorstellen als das klassische Azzaro. An Frauen, die nicht süß oder blümelig auftreten möchten, würde ich ihn auch mögen.
Kurzum: Ein toller Duft!
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