Helena1411
Hilfreiche Rezension
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Frühling im Juli
Die Luft flimmert. Eine sengende Sonne verwandelt alles in gleißende Hitze, erbarmungslos schickt sie Strahl um Strahl, als wolle sie allem und jedem beweisen, welch unbändige Energie in ihr stecke. Wahrnehmungen verschwimmen, glühend-heiß flirren optische Täuschungen über die Landschaft hinweg.
Und er bahnt sich seinen Weg. Langsam und stetig, ohne Unterlass, wenn auch beschwerlich. Die Hitze ist sein Metier, sein Lebensfeld, seine Existenz. Und dennoch ist sein Vorankommen auch für ihn eine Anstrengung sondergleichen, kostet es ihn sein ganzes Durchhaltevermögen bei dem Gefühl, unter der einem Feuerball gleichen Sonne nicht auf der Stelle zu verdunsten und für immer im Nichts zu verschwinden.
Und so gibt er nicht auf, rollt förmlich Stück für Stück weiter, nicht gewillt, diesen Kampf aufzugeben.
In seine eiserne Konzentration, sein Ziel um jeden Preis erreichen zu wollen, stiehlt sich urplötzlich der vollkommen unerwartete und noch vielmehr unpassende Gedanke an Frühling.
Grün ist der allererste Gedanke, der ihm in den Sinn kommt. Warum um alles in der Welt denn grün? Vielmehr wäre es doch eher die Assoziation von Gelb, vielleicht noch ein leuchtendes Orange-Gelb oder mit Blick auf die verdörrte, sich nach Wasser verzehrende Landschaft auch ocker-braun-gelb. Wieso nur grün? Und zeitgleich liegt da ein Geruch von Gras in der Luft, grasigem Gras, grünem Gras. Feucht und etwas erdig. Und zeitgleich frisch. Ähnlich dem Geruch von frischem Gras im Frühling nach einem leichten Regenschauer, der von einer erste Wärme verstrahlenden Sonne vertrieben worden ist, sodass diese grasige Erdfeuchte aufsteigt und eine zarte Dunstglocke über der erblühenden Landschaft bildet. Auch das neu sprießende Blattgrün schüttelt die letzten Regentropfen ab und streckt sich der Frühlingssonne entgegen, darin bestrebt, etwas zu dieser Duft-Komposition beitragen zu können.
Wie nur kommt er auf diese Gedanken? In all dieser schier unerträglichen und geradezu alles niederdrückenden Hitze?
Und doch bleibt das Bild, nein, vielmehr erscheinen noch zarte Maiglöckchen und gerade erblühte Pfingstrosen in dem Gebilde.
Woher nur weiß er um den Duft von Maiglöckchen? Oder gar von Pfingstrosen? Er erinnert sich nicht. Aber er ist da, dieser Geruch.
Und während er schwerfällig seinen Weg fortsetzt, gesellt sich noch ein etwas wurzelig-holziger Geruch, fast schon waldig, hinzu, der jedoch den alles überlagernden Duft nach Grünem, nach feuchtem Gras, nach frisch geknospten Blättern nur hintergründig untermalt.
Frisch, so frisch. Frühlingsfrisch. Das sind seine letzten Gedanken, bevor der Schweißtropfen am Handgelenk in Richtung Zeigefinger entlangläuft und von demselbigen auf den glühendheißen Asphalt heruntertropft, um dort in Sekunden zu verdunsten.