24.03.2016 - 19:25 Uhr
Yatagan
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Yatagan
Top Rezension
61
Im Geheimversteck
Wenn ich diesen Duft verwende, dann muss ich unwillkürlich immer an mein erstes, wirklich ungewöhnliches Erlebnis mit ihm denken.
Bei einem Parfumo-Treffen im Rhein-Main-Gebiet zog es uns alle in eine legendäre Parfümerie, die von einer längst über 80 Jahre alten Damen geführt wurde. Jeanette, so ihr Künstlername (denn nichts anderes war sie), hatte den Ruf, vielen Kunden nach kurzer Befragung und Beratung mit außerordentlich hoher Trefferquote einen Duft empfehlen zu können, der perfekt passte, im besten Falle zu einer zweiten Haut werden konnte.
Wer das für Hokuspokus hält, dem erzähle ich immer gerne folgende kleine Geschichte; man verzeihe den Exkurs: Einmal war meine Frau mit mir in besagtem Laden und wollte, neugierig geworden, die Beratungskompetenz von Jeanette testen. Nun muss man zuvor noch wissen, dass meine Frau schon vor Jahren zu meinem Leidwesen darauf bestand, dass sie sich oftmals ohne Duft am wohlsten fühle, dass kein Duft so richtig zu ihr passe. Nach kurzer, scheinbar oberflächlicher Befragung entschied Jeanette tatsächlich zielsicher: "Du brauchst eigentlich keinen Duft! Du kommst sogar besser ohne Düfte aus!" Doch damit nicht genug: Jeanette empfahl meiner Frau dann trotzdem noch einen eher seltenen Damenduft, auf den wir selbst niemals gekommen wären und der gut zu Frauen passe, so Jeanette, die häufig bewusst auf Duft verzichten. Meine Frau trägt ihn noch heute gern.
Ich kenne Parfumos, die von der Nordseeküste und aus Südtirol anreisten, um sich von Jeanettes olfaktorischen Kompetenzen zu überzeugen. Und sie wurden überzeugt.
Allerdings muss man doch einräumen, dass es auch einige gab, die enttäuscht den Laden wieder verließen, ohne ihren Wunderduft gefunden zu haben. Ich selbst etwa habe allzu gerne dort eingekauft, konnte mich aber nie so recht auf die Empfehlungen von Frau Jeanette verlassen. "Du kennst einfach zu viel", lautete einmal ihr Urteil.
Hätte sie mir allerdings vor Jahren Niagara empfohlen, ich wäre ihm wohl früher verfallen. Tatsächlich geschah nämlich folgendes: Ein Parfumo-Freund ließ sich wieder einmal von Jeanette beraten, fragte aber auch nach älteren, seltenen, vom Markt verschwundenen Düften. Die meisten wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Jeanette über die Jahre etliche Schätze gehortet hatte. Tatsächlich schloss sie, wenn man Glück hatte und sie den potentiellen Käufer für würdig befand, ihre Wandschränke hinter der Vertäfelung auf und öffnete quasi ein Geheimversteck, in dem die erstaunlichsten Duft-Juwelen lagerten. Auf die Frage, was der eine oder andere Duft koste, antwortete sie meist nur: "Gib mir 40 Euro", auch wenn die Düfte inzwischen bereits gesuchte Raritäten waren und in einschlägigen Foren teuer gehandelt wurden.
So geschah das auch mit Niagara. Er wurde preiswert (und fair) an besagten Freund verkauft, sicherlich glücklich nach Hause getragen und wahrscheinlich von Anfang an gewürdigt. Ich selbst aber kannte und schätzte den Duft damals noch gar nicht, wusste nur, dass er bereits hohe Preise erzielte. Lange Zeit hatte ich ihn vergessen.
Erst vor einigen Monaten begann ich damit, mich nachdrücklich für diesen Duft zu interessieren. Vielleicht lag es an den Kommentaren, vielleicht am außergewöhnlichen Flakon, vielleicht aber auch an alten, wiederkehrenden Erinnerungen an jenen Tag des Parfumotreffens im Sommer. Tatsächlich gelang es mir, ihn nach etlichen Wochen Wartezeit zu einem fairen Preis zu kaufen.
Nun wurde mir klar, warum unser Duftkollege damals begeistert zugeschlagen hatte.
Bei Niagara handelt es sich nicht um einen aquatisch-frischen Duft, wie der Name suggeriert, sondern um einen zitrisch-krautigen Kauz, der vielleicht einfach nur ein origineller Fougere-Duft wäre, hätte er nicht deutliche Noten von Frucht, die von pudrigen Akzenten unterlegt sind, und der Herznote des Duftes somit eine eigenwillige Rahmung verleihen.
Klar? Natürlich nicht, denn dieser Duft ist in gewisser Weise ein Singulär.
Wollte man Negatives über ihn sagen, dann müsste man zugeben, dass er in seinen schlechteren Momenten wie ein Duschgel riecht, das Du in einer Drogerie preiswert gekauft hast. Aber auch Billigware kann gut riechen und die Stimmung aufhellen.
Wollte man Positives über ihn sagen, dann müsste man die außerordentlich harmonische Abstimmung der Komponenten erwähnen: Kopfnote zitrisch-fruchtig, Herznote koniferig-grün, aber mit einer dunklen, weniger harzigen, vielmehr fougereartigen Note, Basisnote holzig und würzig, ohne jemals durch einen billigen Mainstream-Twist ruiniert zu werden.
Was wurde nun aus Jeanette? Wenige Wochen nach unserem Besuch berichtete die örtliche Lokalzeitung anlässlich einer Ehrung (Bürgermedaille der Stadt) über ihre Schätze im Geheimversteck hinter der Wandvertäfelung. Einige Tage später kam es prompt zu einem Einbruch, bei dem alle wertvollen Düfte entwendet wurden.
Jeanette gab nicht auf, verkaufte weiter, obwohl sie längst die 80 überschritten hatte, und setzte sich erst vor wenigen Wochen zur Ruhe, als das Gebäude, in dem ihr Laden lag, vollständig saniert und umgebaut wurde.
*für Jeanette G. Gerhardt: Danke!*
Karfreitag 2016
Bei einem Parfumo-Treffen im Rhein-Main-Gebiet zog es uns alle in eine legendäre Parfümerie, die von einer längst über 80 Jahre alten Damen geführt wurde. Jeanette, so ihr Künstlername (denn nichts anderes war sie), hatte den Ruf, vielen Kunden nach kurzer Befragung und Beratung mit außerordentlich hoher Trefferquote einen Duft empfehlen zu können, der perfekt passte, im besten Falle zu einer zweiten Haut werden konnte.
Wer das für Hokuspokus hält, dem erzähle ich immer gerne folgende kleine Geschichte; man verzeihe den Exkurs: Einmal war meine Frau mit mir in besagtem Laden und wollte, neugierig geworden, die Beratungskompetenz von Jeanette testen. Nun muss man zuvor noch wissen, dass meine Frau schon vor Jahren zu meinem Leidwesen darauf bestand, dass sie sich oftmals ohne Duft am wohlsten fühle, dass kein Duft so richtig zu ihr passe. Nach kurzer, scheinbar oberflächlicher Befragung entschied Jeanette tatsächlich zielsicher: "Du brauchst eigentlich keinen Duft! Du kommst sogar besser ohne Düfte aus!" Doch damit nicht genug: Jeanette empfahl meiner Frau dann trotzdem noch einen eher seltenen Damenduft, auf den wir selbst niemals gekommen wären und der gut zu Frauen passe, so Jeanette, die häufig bewusst auf Duft verzichten. Meine Frau trägt ihn noch heute gern.
Ich kenne Parfumos, die von der Nordseeküste und aus Südtirol anreisten, um sich von Jeanettes olfaktorischen Kompetenzen zu überzeugen. Und sie wurden überzeugt.
Allerdings muss man doch einräumen, dass es auch einige gab, die enttäuscht den Laden wieder verließen, ohne ihren Wunderduft gefunden zu haben. Ich selbst etwa habe allzu gerne dort eingekauft, konnte mich aber nie so recht auf die Empfehlungen von Frau Jeanette verlassen. "Du kennst einfach zu viel", lautete einmal ihr Urteil.
Hätte sie mir allerdings vor Jahren Niagara empfohlen, ich wäre ihm wohl früher verfallen. Tatsächlich geschah nämlich folgendes: Ein Parfumo-Freund ließ sich wieder einmal von Jeanette beraten, fragte aber auch nach älteren, seltenen, vom Markt verschwundenen Düften. Die meisten wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Jeanette über die Jahre etliche Schätze gehortet hatte. Tatsächlich schloss sie, wenn man Glück hatte und sie den potentiellen Käufer für würdig befand, ihre Wandschränke hinter der Vertäfelung auf und öffnete quasi ein Geheimversteck, in dem die erstaunlichsten Duft-Juwelen lagerten. Auf die Frage, was der eine oder andere Duft koste, antwortete sie meist nur: "Gib mir 40 Euro", auch wenn die Düfte inzwischen bereits gesuchte Raritäten waren und in einschlägigen Foren teuer gehandelt wurden.
So geschah das auch mit Niagara. Er wurde preiswert (und fair) an besagten Freund verkauft, sicherlich glücklich nach Hause getragen und wahrscheinlich von Anfang an gewürdigt. Ich selbst aber kannte und schätzte den Duft damals noch gar nicht, wusste nur, dass er bereits hohe Preise erzielte. Lange Zeit hatte ich ihn vergessen.
Erst vor einigen Monaten begann ich damit, mich nachdrücklich für diesen Duft zu interessieren. Vielleicht lag es an den Kommentaren, vielleicht am außergewöhnlichen Flakon, vielleicht aber auch an alten, wiederkehrenden Erinnerungen an jenen Tag des Parfumotreffens im Sommer. Tatsächlich gelang es mir, ihn nach etlichen Wochen Wartezeit zu einem fairen Preis zu kaufen.
Nun wurde mir klar, warum unser Duftkollege damals begeistert zugeschlagen hatte.
Bei Niagara handelt es sich nicht um einen aquatisch-frischen Duft, wie der Name suggeriert, sondern um einen zitrisch-krautigen Kauz, der vielleicht einfach nur ein origineller Fougere-Duft wäre, hätte er nicht deutliche Noten von Frucht, die von pudrigen Akzenten unterlegt sind, und der Herznote des Duftes somit eine eigenwillige Rahmung verleihen.
Klar? Natürlich nicht, denn dieser Duft ist in gewisser Weise ein Singulär.
Wollte man Negatives über ihn sagen, dann müsste man zugeben, dass er in seinen schlechteren Momenten wie ein Duschgel riecht, das Du in einer Drogerie preiswert gekauft hast. Aber auch Billigware kann gut riechen und die Stimmung aufhellen.
Wollte man Positives über ihn sagen, dann müsste man die außerordentlich harmonische Abstimmung der Komponenten erwähnen: Kopfnote zitrisch-fruchtig, Herznote koniferig-grün, aber mit einer dunklen, weniger harzigen, vielmehr fougereartigen Note, Basisnote holzig und würzig, ohne jemals durch einen billigen Mainstream-Twist ruiniert zu werden.
Was wurde nun aus Jeanette? Wenige Wochen nach unserem Besuch berichtete die örtliche Lokalzeitung anlässlich einer Ehrung (Bürgermedaille der Stadt) über ihre Schätze im Geheimversteck hinter der Wandvertäfelung. Einige Tage später kam es prompt zu einem Einbruch, bei dem alle wertvollen Düfte entwendet wurden.
Jeanette gab nicht auf, verkaufte weiter, obwohl sie längst die 80 überschritten hatte, und setzte sich erst vor wenigen Wochen zur Ruhe, als das Gebäude, in dem ihr Laden lag, vollständig saniert und umgebaut wurde.
*für Jeanette G. Gerhardt: Danke!*
Karfreitag 2016
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