Siena im Winter – eine irgendwie abstruse Vorstellung.
Als ich diese Stadt besuchte schien die Sonne, von keiner Wolke verschattet – Siena glühte.
Aber es soll ja tatsächlich auch in Italien einen Winter geben – mit grauem, verhangenem Himmel, zugiger Kälte und Schnee in den Bergen.
Und wenn diese Stadt dann auch nur ansatzweise nach diesem Duft riecht – dann lohnt der Besuch, allein des olfaktorischen Erlebnisses willen, auch im Winter.
Freilich ist die Verlinkung des Duftes mit der Stadt Siena nur als Abstraktion zu verstehen, als Idee wie Siena im Idealfall vielleicht duften könnte: nach auf Kohlen gerösteten Maroni, schwarzen Oliven, frisch gebackenen Teigwaren, nach gedörrten Pilzen und dem kühlen, mineralischen Geruch feuchten Straßenpflasters. Doch allein diese Idee duftet ganz hervorragend – zumindest für mein Empfinden.
Andere mögen den Geruch von Blut und kaltem Metall entdecken - ich nicht.
Für mich ist der Duft weich, aromatisch, irgendwie heimelig, ja appetitanregend. Dabei ist er ein gutes Stück entfernt von den üblichen Gourmand-Düften mit ihren Kaffee-, Karamell- und Süßgebäck-Nuancen. Er ist vielmehr unsüß, oder allenfalls vergleichbar einem schlichten Croissant, mit hintergründiger Süße.
Überhaupt hat ‚Sienne l’hiver’ einen eher ungewöhnlichen Duft-Charakter. Nur widerwillig ließe er sich einer bestimmten Gruppe zuordnen, um sich dieser gleich darauf wieder zu entziehen. Er ist kein Orientale, kein Fougère, kein eindeutiges Chypre und ein Soliflor schon gar nicht. Ein Einzelgänger ist er, entfernt verwandt mit einem aktuellen Genre, dem Gourmand-Chypre, dabei deutlich erkennbarer Nachfahre großer Mimosen-Düfte wie Guerlains ‚Après l’ondée’ und F.Malles ‚Une Fleur de Cassie’.
So ist es denn auch ein gewaltiger Mimosen-Akkord mit seinen trockenen, an den Geruch von Papier erinnernden Blütenakzenten, der sich zunächst entfaltet, sprüht man ‚Sienne l’hiver’ auf. Pudrige Iris gesellt sich dazu, bald auch holzige und rauchige Anklänge. Alles scheint wie in Milch getaucht, ohne scharfe Kanten und harsche Oberflächen. Vielmehr verschmelzen die Aromen zu einer weichen, herb-aromatischen Melange, die – zumindest mich – tatsächlich an winterliche Situationen erinnert: an kühle, Kohlenrauch geschwängerte Luft, an beheizte Stuben, ein herzhaftes Mahl und noch ofenwarmen Kuchen.
Im weiteren Verlauf tritt eine dezente, ledrige Nuance zutage, die vermutlich von etwas Castoreum herrührt und eine leichte animalische Ahnung mitbringt. Dennoch sind es vor allem die holzigen und rauchigen Aspekte die den Duft zur Mitte hin dominieren, und ihn zusehends an Sinnlichkeit und Wärme verlieren lassen.
Nach wenigen Stunden – ‚Sienne l’hiver’ ist leider nicht sehr haltbar – bleibt ein kühler, Akkord zurück, der an weihrauchgesättigtes Kirchengestühl erinnert. Die abendlichen Feuer sind unterdes erloschen, das Mahl verspeist, und längst hat sich tiefe Nacht über die Stadt gelegt.
Hier, in den letzten, verhauchenden Zügen dieses Duftes ist deutlich Betrand Duchaufours Handschrift erkennbar. Noch einmal zitiert er ‚Avignon’, seinen zentralen Weihrauch-Duft, doch gerade der Beginn von ‚Sienne l’hiver’ zeigt, wie weit er sich von diesem Werk schon entfernt hat. So ist es denn auch eher das später erschienene ‚Dzongkha’, das gewissermaßen Pate gestanden hat, zumindest was die meisterliche Verwendung der Iris, in Kombination mit milchigen und rauchigen Nuancen betrifft. Beide Düfte eint aber auch eine innewohnende Ausgeglichenheit und Ruhe, trotz widerstreitender, eher gegensätzlicher Noten, die einmalig ist. Ihr Volumen ist dabei deutlich reduziert, was sie zu zurückhaltenden, stillen Begleitern macht.
Auf die Frage, zu welchen seiner Düfte er, Bertrand Duchaufour, die stärkste Beziehung habe, antwortete er in einem Interview einmal: „One of the favorite ones might be Dzongkha, because of its story, of its connection with Buddhist world, with Himalayas, Tibet and Nepal. I feel an affinity with Buddhism, with its spirituality. I also feel close to Africa, to its art, to a special way of thinking that is closer to truth than ours, and so I feel connection to Timbuktu. But the best perfume that I did so far is Sienne d'Hiver for Eau d'Italie. It is a story of Tuscany during winter. Its complex accords and harmonies are the apotheosis of sophistication. Its creation represented the perfect dialog between brand owners and a perfumer.“ *
Ich teile seine Einschätzung, wenngleich ich mir den Duft, vor allem dessen erste Phase (an der ich mich kaum satt riechen kann!), länger anhaltend wünschte.
* http://perfumesmellinthings.blogspot.com/2008/07/interview-with-bertrand-duchaufour.html