13.11.2019 - 08:45 Uhr
Helena1411
104 Rezensionen
Helena1411
Top Rezension
37
Der Gefängnisschlüssel
Ein Gefängnis.
Kalt. Unwirklich.
Kräftezehrend. Unsichtbar.
Mit dem man an jeden Ort ungehindert gehen kann.
Das einen allzeit begleitet.
Mit dem jedwedes Gefühl außen vor bleibt.
Das einen von allem abschottet.
Mit dem man gefangen ist.
Das einen festhält.
So sitzt sie da und denkt nach. Über das Gefängnis. Über ihr Gefängnis. Ein anatomisches Gefängnis aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen. Aus ihrer Haut, ihren Muskeln, ihren Sehnen und ihren Knochen.
„Die Gedanken sind frei...“, so besingt es ein deutsches Volkslied aus dem 18. Jahrhundert, welches in der letzten Version von Hoffmann von Fallersleben bis heute bekannt ist. Die Melodie schwirrt schwermütig, Noten tanzen traurig, Worte wandern wehmütig. Sind sie wirklich frei? Es fühlt sich nicht so an. Nicht in dem Gefängnis. In ihrem Gefängnis.
Was hat sie heute eigentlich bislang gemacht? Angestrengt grübelt sie, doch nur Bruchstücke des Tages lassen sich zu einem lückenhaften Puzzle zusammensetzen. Institutionalisierte Automatismen, daraus besteht das Leben, denkt sie, als sie aus genau solch einem heraus an ihrem Handgelenk riecht. Auch das nur eine wiederkehrende Funktion.
Ein Geruch. Ein Puzzleteil mehr, überlegt sie, denn sie muss eben gerade einen Duft aufgelegt haben. Ganz automatisch, wie jeden Tag. Das lässt das Gefängnis zu.
Ein Bild. Von Koniferen, etwas Grün zwischen Daumen und Zeigefinger, leicht zerrieben. Der Duft steigt ihr in die Nase. Frisch. Grün. Fast schon mit einem Hauch Zitrik. Sie muss an die Koniferen im Garten der Eltern denken, an schattenspendendes Grün, an das Vogelgezwitscher aus dem Inneren, an Kindheitswohligkeit.
Der Duft wandelt sich in ein anderes Bild. Sie sieht sich mit ehemaligen Freunden in den damals gerade aufkommenden Latte Macchiato & Flavored Coffee-Tempeln sitzen, lachend, einen Spiced Chai Tea Latte zwischen den Händen haltend. Der Geruch von scharfem Zimt vermengt mit warmer Milch und einem Klecks Zimtsahne liegt ihr in der Nase. Eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten, an Unbeschwertheit, an Freundschaftsglückseligkeit.
Und wieder eine Veränderung im Geruch. Etwas Fruchtiges kommt hinzu. Sie erkennt es sofort: Pfirsich. Ein Haupt-Duftbestandteil ihres früheren Signaturduftes. Welcher sie begleitet hat bei ihrer ersten Liebe. Welcher sie erinnert an das Schweben, die Schmetterlinge, die tatsächlich ins Gefängnis dringen konnten - gab es da überhaupt schon eines? -, an ein Überglücklichsein, an Liebestaumelfreuden.
Lange, lange Zeit bleiben diese beiden Haupt-Gerüche und damit die Gedanken an Freundschaftsglückseligkeit und Liebestaumelfreuden.
Es verändert sich nur langsam, als würde alles balsamisch-süßlich-cremiger werden, vielleicht ein Hauch Vanille zum Zimt, vielleicht ein wenig mehr Zimtsahne, vielleicht ...
Kindheitswohligkeit, Freundschaftsglückseligkeit und Liebestaumelfreuden lassen das Gefängnis erzittern. Die Gedanken, so scheint es ihr, laufen aus dem Ruder, nehmen ein Eigenleben an, scheren sich nicht um das anatomische Gefängnis aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen.
Einen Duft aufzulegen scheint automatisierte Routine zu sein, ihn zu riechen jedoch nicht.
Und das Gefängnis öffnet sich.
Kalt. Unwirklich.
Kräftezehrend. Unsichtbar.
Mit dem man an jeden Ort ungehindert gehen kann.
Das einen allzeit begleitet.
Mit dem jedwedes Gefühl außen vor bleibt.
Das einen von allem abschottet.
Mit dem man gefangen ist.
Das einen festhält.
So sitzt sie da und denkt nach. Über das Gefängnis. Über ihr Gefängnis. Ein anatomisches Gefängnis aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen. Aus ihrer Haut, ihren Muskeln, ihren Sehnen und ihren Knochen.
„Die Gedanken sind frei...“, so besingt es ein deutsches Volkslied aus dem 18. Jahrhundert, welches in der letzten Version von Hoffmann von Fallersleben bis heute bekannt ist. Die Melodie schwirrt schwermütig, Noten tanzen traurig, Worte wandern wehmütig. Sind sie wirklich frei? Es fühlt sich nicht so an. Nicht in dem Gefängnis. In ihrem Gefängnis.
Was hat sie heute eigentlich bislang gemacht? Angestrengt grübelt sie, doch nur Bruchstücke des Tages lassen sich zu einem lückenhaften Puzzle zusammensetzen. Institutionalisierte Automatismen, daraus besteht das Leben, denkt sie, als sie aus genau solch einem heraus an ihrem Handgelenk riecht. Auch das nur eine wiederkehrende Funktion.
Ein Geruch. Ein Puzzleteil mehr, überlegt sie, denn sie muss eben gerade einen Duft aufgelegt haben. Ganz automatisch, wie jeden Tag. Das lässt das Gefängnis zu.
Ein Bild. Von Koniferen, etwas Grün zwischen Daumen und Zeigefinger, leicht zerrieben. Der Duft steigt ihr in die Nase. Frisch. Grün. Fast schon mit einem Hauch Zitrik. Sie muss an die Koniferen im Garten der Eltern denken, an schattenspendendes Grün, an das Vogelgezwitscher aus dem Inneren, an Kindheitswohligkeit.
Der Duft wandelt sich in ein anderes Bild. Sie sieht sich mit ehemaligen Freunden in den damals gerade aufkommenden Latte Macchiato & Flavored Coffee-Tempeln sitzen, lachend, einen Spiced Chai Tea Latte zwischen den Händen haltend. Der Geruch von scharfem Zimt vermengt mit warmer Milch und einem Klecks Zimtsahne liegt ihr in der Nase. Eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten, an Unbeschwertheit, an Freundschaftsglückseligkeit.
Und wieder eine Veränderung im Geruch. Etwas Fruchtiges kommt hinzu. Sie erkennt es sofort: Pfirsich. Ein Haupt-Duftbestandteil ihres früheren Signaturduftes. Welcher sie begleitet hat bei ihrer ersten Liebe. Welcher sie erinnert an das Schweben, die Schmetterlinge, die tatsächlich ins Gefängnis dringen konnten - gab es da überhaupt schon eines? -, an ein Überglücklichsein, an Liebestaumelfreuden.
Lange, lange Zeit bleiben diese beiden Haupt-Gerüche und damit die Gedanken an Freundschaftsglückseligkeit und Liebestaumelfreuden.
Es verändert sich nur langsam, als würde alles balsamisch-süßlich-cremiger werden, vielleicht ein Hauch Vanille zum Zimt, vielleicht ein wenig mehr Zimtsahne, vielleicht ...
Kindheitswohligkeit, Freundschaftsglückseligkeit und Liebestaumelfreuden lassen das Gefängnis erzittern. Die Gedanken, so scheint es ihr, laufen aus dem Ruder, nehmen ein Eigenleben an, scheren sich nicht um das anatomische Gefängnis aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen.
Einen Duft aufzulegen scheint automatisierte Routine zu sein, ihn zu riechen jedoch nicht.
Und das Gefängnis öffnet sich.
24 Antworten