21.07.2022 - 04:43 Uhr

Ttfortwo
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Ttfortwo
Top Rezension
30
Teppich, fliegend. Antik. Fein.
Rêve Indien gibt es gefühlt schon immer im Fragonard-Portfolio, vermutlich wurde es auch einige Male reformuliert. Ich spreche von der aktuell verkauften Version und diese – aktuelle Versionen meine ich – gelten ja im allgemeinen als lediglich nachgelagerte Wahl. Dazu später mehr.
Ich hatte vor vielen, vielen Jahren mal ein entzückendes Schächtelchen mit zehn 2-ml-Parfum-Flascherln direkt bei Fragonard in Grasse mitgenommen, das war weit vor meiner Parfumo-Zeit. Die damalige Version von Rêve Indien war enthalten, ich habe sie aber nicht verwendet, weil sie mir für mich zu süß erschien. Und irgendwann habe ich – wie dämlich kann man sein? – die nicht verwendeten Flascherln zusammen mit der entzückenden Schachtel entsorgt. Was gäbe ich jetzt darum, sie noch zu haben, fast alle Düfte sind inzwischen eingestellt und die wenigen, die es noch gibt, sind ganz sicher mehrfach auf links gewendet und aufgearbeitet.
Es fällt mir daher auch schwer, zu entscheiden, ob die damalige Version wirklich deutlich süßer war als die aktuelle, vielleicht hat sich meine Duftauffassung einfach nur geändert. Immerhin habe ich alle möglichen klassischen Orientalen getragen, von KL über den Kracher Opium bis hin zu Magie Noire, alle mit einer gewissen, wenn auch staub-furz-knochentrockenen Süße.
Zurück zur aktuellen Version. Rêve Indien wird aktuell ausschließlich in einer Eau de Toilette-Version verkauft mit atemberaubenden 200 Millilitern Inhalt für moderate 44 Euro und bewegt sich damit – preislich gesehen – auf unterstem Drogeriepreisniveau.
Zum Glück aber nur preislich gesehen. Der Duft an sich ist bestes Parfumhandwerk und ganz wunderbar. Die zitrische Eröffnung kann beinahe vernachlässigt werden, unser Teppich fliegt nur kurz an Zitronen und Bergamotten vorbei (beide winken gut gelaunt) und rauscht dann mit elegantem Schwung in die Herznote.
Jetzt hat der er richtig Tempo aufgenommen und besegelt in beschwingten Kurven einen orientalischen Markt, ich rieche Würziges (keinen Zimt übrigens und dankenswerterweise), Harziges, Knarziges, Ledriges und trockensten Irispuder – das staubt nur so. Die Blüten Rose und Jasmin vermag ich nicht einzeln zu erfassen, sie sind perfekt verknüpft im Muster des Teppichs. Das alles ist eher trocken und leicht herb, mit nur einer winzigen Süße (unklebrig, ausbalancierend), harzige Myrrhe und rauchiger Weih, dazu dunkles Patchouli , fein verarbeitet.
Ein schönes, filigranes Muster hat er, der Teppich, in weichen, geerdeten Tönen, dunkelbunt - aber nicht dunkel - und mit vielen altgolden wirkenden Akzenten.
Wie viele Eaux de Toilette zieht Rêve Indien zunächst einen wahrhaft mächtigen duftenden Schweif hinter sich her, wird aber sehr schnell moderater und verbleibt dann für einige Stunden mit sehr konvenierender Intensität. Haltbarkeit im sehr guten Mittel. P/L allerdings gigantisch.
Der Teppich ist keine Spitzenknüpfkunst. Aber gleich drunter. Kein moderner Duftteppich, er interpretiert ein sehr klassisches und etabliertes Duftschema. Aber das macht er ganz ausgezeichnet und er kann fliegen, das können bekanntlicherweise nur die aller-, allerwenigsten.
Und deshalb (und um auf meinen ersten Satz zurückzukommen) ist diese, die aktuelle Version von Rêve Indien, keine schlechte Wahl – unabhängig davon, wie ältere Versionen geduftet haben mögen. Meine Cheapy-Empfehlung für Liebhaber:innen konservativ angelegter, moderat orientalischer Düfte, trocken, harzig, ein bißchen herb, altgolden, warm, umarmend - und fast ohne Süße.
...
Nachtrag - einfach, weil Herrn Siebenkäs' Hinweis auf eine spezifische Eigenart älterer fliegender Teppiche wichtig ist und nicht unerwähnt bleiben darf (Vielen, vielen Dank dafür!):
Ältere fliegende Teppiche sind, da hat er ganz recht, manchmal ein wenig bockig. Wie wir alle wissen, steuert man fliegende Teppiche, indem man einige Fransen des vorderen Randes in die Hände nimmt und sie - und damit den Rand - entweder leicht nach oben (dann steigt der Teppich), nach unten, nach rechts oder links bewegt. Ein gut erzogener fliegender Teppich folgt diesen Bewegungen mit müheloser Anmut und Leichtigkeit. Ältere fliegende Teppiche könnten das auch. Sie wollen es aber nicht immer. Sie zeigen manchmal gerne, daß sie Charakter haben und einen eigenen Willen und Kante.
Wie auch bei diesem Duft: Der ist nicht charakterlos schön, sondern schön mit kleiner Kante, da ist das prominente Patchouli, da sind die Ledernoten, die herben Harztöne. Da raucht es auch ein bißchen. Es ist halt ein älterer Teppich.
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