Axiomatic
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Die dunkle Säule
Wo Licht scheint, gibt es auch Dunkelheit. Eine Conditio sine qua non, unabdingbare Voraussetzung.
Jacomo, dieser dunkle Jakob jenseits eines Linsengerichts, der Himmelsleiter und der steinernen Friedenssäule soll mit himmlischen und menschlichen Wesen gerungen haben.
Gewaltig ist der Duft allemal.
Christian Mathieu offeriert eine eigenwillige Komposition.
Ich werde mit der leicht veränderten Version von 2011 vorliebnehmen, da sie die ursprüngliche abgelöst hat.
Um es vorweg zu nehmen, der jetzige Duft hat einen animalischeren Klang. Ansonsten ist er wie gewohnt dunkel.
Schon die Eröffnung des Duftes sorgte 1980 für Furore. Keine einzige Hesperide, keine Leichtigkeit.
Galbanum und Kardamom - ich tippe auf die herbe, geschlechtliche, schwarze Unterart - räuchern ungehobelt ein. Sehr markant und männlich. Kreuzkümmel würzt ein wenig tierisch nach, schwitzt aber nicht zu sehr. Hier ist er, der kämpferische Körper, geschunden und vernarbt.
Die einzige und notwendige Lichtquelle bietet der gediegene Lavendel. Doch es ist ein ultraviolettes Licht, welches den Körper astral einhüllt.
Ein Schattenspiel. Die herben schwarzen Konturen erreichen einen Zustand des violetten Schwebens.
Bekleidet wird der Körper mit schwarzem Leder, welches aber gut gegerbt und abgerundet eine treffliche Figur hergibt, ziemlich tailliert.
Und nun beginnt ein ungewöhnlich spannender Gegenpol in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen, ein wahrer Kraftakt.
Eichenmoos wird leicht mit Zimt, mehr Gewürznelke und Variationen an Roseneindrücken - jene mit holzigen Dornen bewachten, sanften Blütenblätter - gewürzt. Diese helle, seifige und gediegene Antwort pflegt den gemarterten Körper. Sehr sanft und unaufdringlich heilt sie die Wunden und stimmt hoffnungsvoll.
Zwischen harter Strenge und salbungsvoller Liebe entstand eigentümliche Schönheit. Zuversicht und Glaube wurden geprüft und sind wiederhergestellt worden.
Den Abschluss begleitet ein schnörkelloses Patchouli. Gegen Ende wird er immer präsenter als Erinnerung an das Irdische. Die lange Nacht des Kampfes ist vorüber. Hinkend verbleibt der gezeichnete Körper auf der Erde. Doch die Seele hat ungeahnte Höhen erreicht.
Der Flakon erfuhr eine gelungene Umgestaltung. Glich er ursprünglich mit schwarzem Korpus - hier der Name in großen weißen Lettern aufgedruckt - und weißem Kippdeckel einem großen Feuerzeug, bringt das neue Design das Duftthema besser zur Geltung.
Kein Kippdeckel mehr, auch keine markante Aufschrift.
Stattdessen eine schwarze Säule mit einem silbernen Band samt eingestanzter Bezeichnung. Sehr klar, formschön und kräftig. Das Material der Oberfläche ist eigenwillig matt und sanft, eine Wonne für den Tastsinn.
Vom kleinen Sprühkopf bekommt man eine kurze aber dichte Duftwolke, sehr präzise.
Die Haltbarkeit ist im oberen Bereich gut vertreten, hält doch der Duft locker einen Tag durch.
Nicht so die Sillage. Das Duft-Kielwasser zieht sich nach der zweiten Stunde auf Körpernähe zurück, bleibt aber dort deutlich wahrnehmbar. Einfach bewegen und schon hinterläßt man eine dezente Duftspur.
Um meinen Eindruck der unterschiedlichen Versionen plastischer wiederzugeben, bemühe ich einen stets nachdenklichen, oft mißverstandenen Schwimmer.
Er versucht immer so spät wie möglich abends seine Bahnen zu schwimmen, so ist er ungestörter. Die Dunkelheit des Abends verhilft der Beckenbeleuchtung zu einer mystischen Stimmung, das Wasser leuchtet einladend.
Es sind diese kostbaren Augenblicke, welche ihm am meisten Freude und Einkehr bereiten.
Erschöpft nach dem Training läßt er sich auf der Wasseroberfläche treiben. Die pechschwarze Nacht an den Hallenfenstern, das bläuliche Licht im Wasser, das leise Plätschern der Wellenbewegungen, alles fügt sich zu einem Ganzen. Und er schwebt darin.
In der Umkleide erinnert er sich an vergangene Abende. Umhüllt von Jacomo, seinem treuen Begleiter, wird ihm die zeitliche Dimension bewußt. Der irdische Raum erfährt ständige Veränderung.
Seine jetzige schwarze Jacke ist etwas anders geschnitten, das Leder fühlt sich aber immer noch vertraut an.
Mit schwarzer Ray Ban vergnügte er sich früher auf einer spärlich beleuchteten Tanzfläche. Es gab was Verbindendes mit den anderen. Sie trugen auch Sonnenbrillen in der Dunkelheit. Und als die Zeile fiel, hoben sie die Hand schützend vor einer unsichtbaren Sonne.
All day hiding from the sun, waiting for the golden one…
„Seconds“ von Human League war nie mystischer…
Heute merkt er auch die Veränderung bei Jacomo, er ist körperbetonter, hat mehr Fundament.
Beim Sonnenschutz ist er der Marke treu geblieben, nun ist es eine schwarze Aviator.
Dank AirPods kann er kabellos als letzter Badegast die Schwimmhalle für ein paar Minuten mit Klang füllen, ohne dass jemand es hört.
„PDA“ von Interpol.
Er sieht sein Spiegelbild im dunklem Fenster, das Licht des Beckens zeichnet seine Konturen spektral.
Der andere ist da und doch nicht.